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Unter Kontrolle der Kurdenrebellen. Ein PKK-Kämpfer patrouilliert in den irakischen Kandil-Bergen. Archivfoto: AFP

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Politik: Vergeltung aus der Luft

Die Türkei bombardiert Stützpunkte der kurdischen PKK-Rebellen im Irak

Am zweiten Tag in Folge hat die Türkei mit Artillerie und Luftwaffe mehrere Stützpunkte und das Hauptquartier der PKK-Kurdenrebellen im Nachbarland Irak angegriffen. Seit Beginn des Bombardements wurden nach einer Mitteilung des Generalstabs vom Freitag insgesamt 352 Ziele unter Feuer genommen. Kampfjets warfen bunkerbrechende Bomben auf das Hauptquartier der PKK in den irakischen Kandil-Bergen rund 100 Kilometer südlich der türkischen Grenze ab. Laut Presseberichten öffnete der Iran den Kampfflugzeugen des Nato-Staats Türkei seinen Luftraum; der Irak sei dagegen nicht informiert worden. Die Angriffe bilden die türkische Reaktion auf einen PKK-Anschlag, bei dem am Mittwoch neun Mitglieder der türkischen Sicherheitskräfte starben.

Bei dem Anschlag in der Provinz Hakkari nahe der irakischen Grenze benutzten die PKK-Kurdenrebellen eine schwere Panzermine, um einen Militärkonvoi zu stoppen und weitere Truppen in einen Hinterhalt zu locken. Bei Ankunft der angeforderten Verstärkung für die Soldaten zündeten die Rebellen weitere Sprengsätze.

Unter dem Druck einer empörten Öffentlichkeit, die seit Juli den Tod von 40 Soldaten bei PKK-Angriffen zu beklagen hatte, machte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach dem Anschlag deutlich, dass er nun auf Härte setzen will. „Es wird nicht mehr geredet, sondern gehandelt.“ Im Nationalen Sicherheitsrat in Ankara beschlossen Regierung und Militärs, dass der seit 1984 andauernde Kampf gegen die PKK ab sofort „effizienter und entschlossener“ geführt werde.

Die PKK benutze den Nordirak als sicheres Rückzugsgebiet und Ausgangsbasis für Anschläge, erklärte der türkische Generalstab. Doch Ankara werde die Rebellenorganisation jagen, „bis sie unschädlich gemacht worden ist“. Der Nationale Sicherheitsrat rief alle Parteien auf, sich eindeutig von der PKK zu distanzieren. Gemeint war die legale Kurdenpartei BDP, die von vielen als politischer Arm der PKK gesehen wird.

Neue Spannungen sind genau das, was die PKK braucht. Politische Reformen, zu denen die Zulassung kurdischer Fernsehsender und die Einrichtung kurdischer Lehrgänge an den Universitäten gehörten, hätten die Kurdenrebellen in die Defensive gebracht, sagte der PKK-Experte Mehmet Yegin von der Ankaraner Denkfabrik Usak dem Tagesspiegel. Die Regierung Erdogan habe mit ihrem vor einigen Jahren vorgestellten, nach Protesten türkischer Nationalisten jedoch auf Eis gelegten Reformprogramm für die Kurdenfrage die Existenz der PKK unterminiert, sagte Yegin: „Wenn die Reformen erfolgreich sind, braucht man keine PKK mehr.“

Wenn es auch die PKK-Hardliner waren, die mit dem jüngsten Anschlag die neue Eskalation auslösten, so muss sich auch die Regierung Erdogan kritische Fragen gefallen lassen. Im Wahlkampf vor der Parlamentswahl im Juni hatte Erdogan den Nationalisten herausgekehrt und behauptet, es gebe kein Kurdenproblem mehr – was im verarmten Kurdengebiet nicht gut ankam. Hunderte kurdische Politiker stehen vor Gericht, die BDP boykottiert das Ankaraner Parlament. Trotz aller Reformzusagen und eingeleiteter Verbesserungen des Staates hat die PKK keine Probleme damit, neue Kämpfer anzuwerben.

Neue politische Initiativen, die das ändern könnten, sind vorerst nicht zu erwarten. Die Regierung in Ankara diskutiert über effizientere Methoden der Terrorbekämpfung, etwa durch den verstärkten Einsatz von Spezialeinheiten der Polizei, nicht aber über weitere Reformen. Ob die Türkei den Kurdenrebellen mit höherem militärischen Druck beikommen kann, ist fraglich. „Wir sind eine Guerrilla mit 30 Jahren Erfahrung“, sagte ein PKK-Vertreter laut pro-kurdischen Medien. „Mit den Luftangriffen werden sie nichts ausrichten.“

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