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Erst, wenn es ans Geld geht, denkt er nach. Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.

© Reuters

Deutschland und die Türkei: Zeit für smarte Sanktionen gegen Erdogans Herrschaft

Ein Land, das unbescholtene Menschenrechtler ins Gefängnis steckt, das Gewaltenteilung und Rechtsstaat abschafft, kann kein Beitrittskandidat der EU sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

In den Beziehungen zur Türkei kann es nicht weitergehen wie bisher: realpolitisch nüchtern. Nicht für Deutschland, nicht für Europa. Die Zumutungen und Rechtsbrüche haben ein Ausmaß erreicht, das sich mit dem üblichen diplomatischen Krisenmanagement nicht beheben lässt. Die prinzipielle Veränderung des Umgangs verlangt eine prinzipielle Antwort: die Neubestimmung des Verhältnisses der EU zur Türkei.

Ein Land, das unbescholtene Menschenrechtler wie Idil Eser von Amnesty International, unbescholtene Friedensaktivisten wie den Berliner Peter Steudtner, unbescholtene Journalisten wie Deniz Yücel ins Gefängnis steckt, das ausländische Investoren willkürlich der Spionage bezichtigt, das die Gewaltenteilung und den Rechtsstaat abschafft, kann kein Beitrittskandidat der EU sein. Mit einem solchen Land sollte die EU auch nicht über die Ausweitung der Zollunion verhandeln. Der Respekt vor den Grundrechten, der Demokratie und dem Rechtsstaat sind unverhandelbare Voraussetzungen für eine vertiefte Partnerschaft.

Präsident Erdogan zeigt keine Einsicht in diese Zusammenhänge. Das hat der Besuch seines Außenministers Cavusoglu und seines Europaministers Celik bei der EU-Kommission erneut bestätigt. Sie geben Lippenbekenntnisse für die Zivilgesellschaft und Pressefreiheit ab, wollen aber willkürlich entscheiden, wen sie als Journalisten und wen als „Pseudojournalisten“ betrachten, wann ein Eintreten für Verfolgte legitim und wann es „Terrorismus“ sei. Das ist empörend. In hanebüchener Umkehrung der Konditionalität fordern sie: Falls die EU Zweifel an der Garantie der Grundrechte und am Rechtsstaat in der Türkei habe, sei es am besten, in den Beitrittsgesprächen die Kapitel 23 und 24 zu Justiz und Grundrechten zu eröffnen. Diese Gespräche liegen zu Recht auf Eis. Die Türkei erfüllt die Vorbedingungen nicht. Die EU sollte sich ehrlich machen und den Beitrittsprozess zwar nicht beenden, aber offiziell einfrieren.

Entzug von Fördermitteln wirkt

Denn zugleich ist wahr: Die guten Argumente, die für Dialog im Geiste der Realpolitik sprechen, haben ihre Berechtigung nicht verloren. Es hat sich jedoch ihr Stellenwert verändert gegenüber dem prinzipiellen Argument, dass die EU und Deutschland ihre Werte nicht verraten dürfen und gegenüber ihren Bürgern glaubwürdig bleiben müssen.

Ja, Deutschland und die EU brauchen Gesprächsforen mit der Türkei; nur können das keine Beitrittsgespräche mehr sein. Ja, die Türkei bleibt ein strategischer Nachbar der EU, ein wichtiger Wirtschaftspartner und auch ein Partner im Umgang mit den Migrationsströmen. Brüssel darf aber Bedingungen stellen und sie durchsetzen. Europa muss bei Verstößen nicht beide Augen zudrücken und sollte Sanktionen nicht scheuen, wenn Besserung ausbleibt. Dies ist keine Abkehr vom notwendigen und berechtigten Pragmatismus in der Außenpolitik, sondern ein neu begründeter Pragmatismus. Er packt Erdogan da, wo er empfindlich reagiert: bei seinen Interessen.

Generell muss die EU smarter werden, wenn sie Partner wie die Türkei und Mitglieder wie Polen und Ungarn, die Absprachen brechen, wirksamer sanktionieren will. Die Verträge helfen da oft nicht weiter, denn sie sind so unvollkommen wie das ganze europäische Projekt. Offiziell vorgesehene Strafen wie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, das – vielleicht – mit dem Entzug von Stimmrechten enden könnte, beeindrucken niemanden. Inoffizielle Drohungen wie der Entzug von Fördermitteln schon. Die EU-Behörden können Förderanträge wohlwollend oder sehr akribisch prüfen; entsprechend fließen mehr oder weniger Euro-Milliarden nach Polen.

Ähnlich mit der Türkei. Die Drohungen der Bundesregierung, mit Hermes-Bürgschaften restriktiver umzugehen und Touristen vor Urlaub in der Türkei zu warnen, haben Erdogan aufgeschreckt. Ähnlichen Erfolg wird die EU haben, wenn sie die Vertiefung der Zollunion infrage stellt. Es ist Zeit für smarte Sanktionen gegen Erdogans Diktatur.

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