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UN-Konvention: Verschleppt, gefoltert, verschwunden

Die UN-Konvention gegen das Verschwindenlassen von Personen ist in Kraft getreten. Damit wird eine Lücke im Völkerrecht geschlossen.

Genf - Zehn maskierte Männer stürmen am 9. Oktober 2004 um sechs Uhr morgens das Haus einer Familie in Tschetschenien. Nur Frauen und Kinder sind anwesend. Die Eindringlinge suchen Männer. Weil sie nicht fündig werden, ergreifen sie die älteste Frau. Sie plündern ihre Opfer aus und machen sich mit der Frau davon. Angehörige versuchen jahrelang, die Vermisste zu finden. Aus Angst vor Verschleppungen flieht die Familie nach Österreich. Bis heute wartet sie auf ein Lebenszeichen der Verwandten – vergeblich. Das berichtet das Österreichische Rote Kreuz. Seit den Kriegen in den vergangenen Jahrzehnten gehören in Tschetschenien Verschleppungen zum traurigen Alltag.

Weltweit zählen die Vereinten Nationen mehr als 50 000 unaufgeklärte Verschleppungen seit Beginn der achtziger Jahre, vor allem in Asien. So meldet Amnesty International hohe Zahlen aus Nepal, Sri Lanka, Thailand, den Philippinen und Indonesien. Meist trifft es politische Aktivisten, Angehörige religiöser oder kultureller Minderheiten oder sozial geächtete Menschen.

Jetzt wollen einige Staaten gegen das Verbrechen vorgehen: Am Mittwoch ist die Internationale Konvention gegen das Verschwindenlassen von Personen in Kraft getreten. Sie schließt eine Lücke im Völkerrecht. „Das Verschwindenlassen ist eines der schlimmsten Verbrechen der Welt“, sagt die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay. „Die Ungewissheit ist für Angehörige wie Folter.“

Die neue Konvention erklärt das Verschwindenlassen zu einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Auch Geheimgefängnisse sollen geächtet sein. Die Übereinkunft definiert das Verschwindenlassen als Festnahme, Entführung oder jede andere Form des Freiheitsentzugs durch den Staat, im Auftrag oder mit Wissen des Staates. Die Verschleppten und alle Menschen, die unter der Verschleppung leiden, haben einen Anspruch auf Entschädigung. Die Opfer haben einen Anspruch auf Aufklärung.

Bislang traten zwanzig Länder dem Abkommen bei, darunter Deutschland. Die USA, China und Russland zögern noch. Der Irak ratifizierte es am 23. November als zwanzigster Staat und schaffte damit die Voraussetzung für das Inkrafttreten einen Monat später. „Ich hoffe, dass alle UN-Mitgliedstaaten diese Konvention schnell unterzeichnen und ratifizieren werden“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Wegen des Verbots von Geheimgefängnissen, sind die Chancen, die Konvention durch den US-Kongress zu bringen, eher gering. Jan Dirk Herbermann

Jan Dirk Herbermann

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