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Die Opfer. Asia Bibi und der liberale Politiker Salman Taseer. Foto: AFP

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Pakistan: Versunken im Fundamentalismus

Eine zum Tode verurteilte Christin, ein ermordeter Liberaler – in dem asiatischen Atomstaat geben muslimische Hardliner den Ton an.

Wie ein Dieb huscht Ashiq Masih ins Zimmer, das alte Wolltuch, das er über den Kopf geworfen hat, tief ins Gesicht gezogen. „Es ist sicherer nach Einbruch der Dunkelheit“, hat der 50-Jährige mit den grauen Bartstoppeln gesagt. Wir treffen uns in einem christlichen Slumviertel, am Rande einer Provinzstadt in Pakistan. Von der dunklen Gasse stolpert man direkt in den einzigen Raum, der zugleich als Wohn-, Ess- und Schlafzimmer dient. Auf dem Fernseher steht ein Holzkreuz, an den Wänden hängen Bilder von Christus und der Jungfrau Maria. In der Ferne hört man den Ruf des Muezzins.

Unruhig blickt Ashiq um sich. Die Angst hat sich in sein Gesicht gegraben. Seit Monaten hält er sich mit seinen drei Töchtern und seinem Sohn versteckt. Alle paar Tage wechseln sie den Unterschlupf. Ashiq ist der Mann von Asia Bibi – jener Christin, die Anfang November zum Tode am Galgen verurteilt wurde. Nicht weil sie gestohlen hat, nicht weil sie gemordet hat, sondern weil sie anstößige Sätze über den Propheten Mohammed gesagt haben soll. Blasphemie lautet die Anklage. Ein Mullah hat ein Kopfgeld ausgesetzt. „Die Situation ist sehr, sehr kritisch“, sagt ihr Anwalt besorgt. Die ganze Familie sei in Lebensgefahr – und alle, die ihr helfen.

Begonnen hatte alles mit einem banalen Zwist zwischen Nachbarinnen. Die Familie stammt aus Ittanwali, einem Dorf in der Provinz Punjab. Fast alle hier sind Muslime, nur zwei christliche Familien leben am Ort. Im Juni 2009 war Asias Ziege ausgebüxt und hatte den Futtertrog einer Nachbarin zerstört, die einer höheren Kaste angehört. Die Frauen zanken sich. 20 Tage später pflückt Asia Früchte auf dem Feld, als der Landherr sie zum Wasserholen schickt. Als sie selbst Wasser aus dem Eimer schöpft, weigern sich die Nachbarin und andere Frauen, zu trinken. Das Wasser sei „verseucht“, weil es eine Nichtmuslimin angerührt habe. Es kommt zum Streit. Dabei soll Asia die verhängnisvollen Sätze gesagt haben: Der Prophet Mohammed habe seine erste Frau Chadidscha nur wegen ihres Geldes geheiratet. Und der Koran sei kein heiliges Buch, sondern eine menschengemachte Idee. So steht es in der Anklageschrift. Vielleicht hat sie aber auch nur referiert, was als geschichtlich gesichert gilt: dass Mohammed arm (wie sie selbst) gewesen sei, bevor er seine Arbeitgeberin, die reiche Witwe Chadidscha, heiratete. Vielleicht hat sie auch gar nichts von alledem gesagt, wie sie nun beschwört. Fünf Tage später klagt Dorfmullah Qari Salim sie über Lautsprecher der Blasphemie an. Ein Mob rottet sich zusammen und verprügelt Asia vor den Augen ihrer Kinder. Die Polizei nimmt sie fest, der Mullah erstattet Anzeige. Ihre Familie flieht aus dem Dorf. Nur ein paar Kleider, ein paar Trinkbecher und zwei Bibeln besitzen Ashiq und die Kinder nun noch.

„Distriktgefängnis von Sheikhupura“ steht über dem blau-roten Stahltor. Irgendwo dahinter sitzt Asia in Einzelhaft, seit 18 Monaten. Anfang November verurteilte ein Richter sie zum Tode. Er zog nicht einmal in Betracht, dass die Nachbarin sie fälschlich beschuldigt haben könnte. Ihr Anwalt legte Berufung ein. Asia ist nun Aktenzeichen „FIR NO. 326/2009“. „Kaste: Christ“ steht dahinter. Vielleicht ist es ein Versehen – Christ ist keine Kaste. Aber es sagt viel über den Status aus. Die Großeltern von Asia und Ashiq waren Hindus und konvertierten unter den Briten zum Christentum, um dem Kastensystem zu entfliehen. Viele Christen waren Dalits, wie die Unberührbaren heute heißen, und gelten als „unrein“. Auch in Pakistan lebt das Kastensystem vielerorts fort – Christen stehen ganz unten in der Hackordnung.

Etwa 2,4 Millionen Christen leben in der Islamischen Republik Pakistan. Zur Messe dürfen die Kirchen weiter die Glocken läuten. Doch ein böser Geist macht sich breit in dem 172-Millionen-Einwohner-Land, das nach dem Wunsch seines Gründungsvaters Jinnah Angehörigen aller Religionen eine Heimat sein sollte. „Schwarze Gesetze“ nennen Menschenrechtler die Blasphemieparagraphen. Sie stammen von dem Militärdiktator Zia ul-Haq, der von 1977 bis 1988 regierte und die unselige Islamisierung begann.

Ihr Bannstrahl trifft nicht nur Christen. In Pakistan werden zusehends alle religiösen Minderheiten verfolgt – auch muslimische. Moscheen der Ahmadis sind Ziel blutiger Anschläge, heilige Schreine der Sufis werden in die Luft gesprengt. Nicht nur Christen, Hindus und Sikhs leben in Angst, auch die muslimischen Shias. Laut der Zeitung „Express Tribune“ sitzen derzeit in der Provinz Punjab 130 Menschen wegen Blasphemievorwürfen hinter Gittern – nur acht davon seien Christen. Die anderen seien Muslime. Zwar wurde noch nie jemand wegen Blasphemie tatsächlich hingerichtet, aber über 30 Menschen wurden von Fanatikern gelyncht.

Salman Taseer hat Asia Bibi im Gefängnis besucht. Er hat sich mit ihr fotografieren lassen, hat öffentlich gefordert, sie zu begnadigen, und das Blasphemiegesetz kritisiert. Taseer hat seinen Mut nun mit dem Leben bezahlt. Als der 66-Jährige am Dienstag in der Hauptstadt Islamabad am populären Kohsar-Markt in sein Auto steigen will, eröffnet einer seiner eigenen Leibwächter, der Elite-Polizist Mumtaz Qadri, das Feuer auf ihn. Fotos zeigen den vollbärtigen Attentäter später mit dem seligen Grinsen des Gotteskriegers. Er habe Taseer getötet, weil er die Blasphemiegesetze ändern wollte, sagt der 26-Jährige beim Verhör aus. Salman Taseer war nicht irgendwer. Er war eine der letzten großen Stimmen der Liberalen in Pakistan. Der Gouverneur der wichtigsten Provinz Punjab war einer der einflussreichsten Politiker des Landes, ein Veteran der Bhutto-Partei PPP – und eine Ausnahmegestalt. Er war ebenso ein Freund des Ex-Militärherrschers Pervez Musharraf wie ein enger Vertrauter von Präsident Asif Ali Zardari. Ein Lebemann, der die schönen Seiten des Lebens liebte, den Wein, die Frauen, die Kunst. Und einer, der sich nicht den Mund verbieten ließ.

Taseer wusste, dass sein Leben in Gefahr ist. Aber er werde sich den Religiösen nicht beugen, twitterte er noch am 31. Dezember. „Even if I’m the last man standing“ – selbst wenn ich der letzte Mann bin, der noch steht. Mehr als 20 Salven hat Qadri auf Taseer abgefeuert – ohne dass einer der anderen Sicherheitskräfte ihn stoppte. Sie ließen ihn einfach gewähren. Angeblich hatte er sie eingeweiht. Und sich zusichern lassen, dass sie nicht auf ihn schießen würden.

Binnen Stunden feierten über 2000 Menschen Qadri auf Facebook als Helden. Auf dem Weg zum Gericht wurde der Attentäter von einer Menschenmenge bejubelt und mit Rosenblüten beworfen. Öffentlich priesen religiöse Führer den Mörder. Selbst einige Journalisten gingen so weit, Taseer selbst die Schuld an seinem Tod zuzuschreiben. Völlig geschockt schrieb Jahanzaib Haque, Internetredakteur beim liberalen „Express Tribune“, auf Twitter: „Wir bekommen 50 Prozent Leserkommentare herein, die den Leibwächter preisen ... bin damit beschäftigt, sie zu löschen ... Ich fühle mich krank.“ Der Atomstaat Pakistan, so scheint es, ist dabei, den Kampf gegen den Fundamentalismus zu verlieren. Die Liberalen werden nach und nach mundtot gemacht.

Das ist nicht mehr das Pakistan von Pervez Musharraf. So viel Dreck der Militärherrscher am Stecken hatte, Musharraf war einer, der von einem modernen Pakistan träumte. Er stemmte sich der Radikalisierung entgegen, oft mehr schlecht als recht und gerade soweit es die Hardliner im Lande zuließen. Vielen Menschen ging die Säkularisierung unter ihm zu weit. Mindestens drei Attentate hat er nur knapp überlebt. Aber er setzte sich für Minderheiten ein, für die Christen, die Ahmadis, auch für die Frauen.

Musharraf konnte dies, weil er das Militär hinter sich hatte, weil er stark war. Die zivile Regierung ist schwach, die Mullahs werden stärker. Die Politiker haben Angst vor ihnen, vor ihren Hasstiraden, ihren Mord- und Krawallaufrufen. „Das wahre Problem ist, dass die Regierung nicht wagt, den religiösen Fanatismus frontal anzugehen“, hatte Taseer gesagt. Selbst Zardari blieb dem Begräbnis seines langjährigen Weggefährten Taseer in Lahore fern. Angeblich hatten seine Astrologen ihm geraten, in der Hafenstadt Karachi und in der Nähe des Meeres zu bleiben, weil er sonst um sein Leben fürchten müsse. Unrecht haben sie damit wohl nicht. Die Hoffnung, dass die Blasphemiegesetze abgemildert werden, ist gesunken. Dabei werden sie missbraucht, um religiöse Minderheiten einzuschüchtern und zu terrorisieren. Oder um sich unliebsamer Nachbarn zu entledigen.

Ashiq knetet seine Hände. Asia vermisse die Kinder sehr, sagt er und schluckt. „Sie weint viel.“ Wie sieht sie aus? „Sie ist sehr schön“, sagt die zwölfjährige Isha und hält erschrocken die Hand vor den Mund, weil sie so vorlaut war. Sittsam sitzen die drei Mädchen, schwarze Tücher über den Kopf gelegt, auf der Kante des Bettes, das fast den ganzen Raum einnimmt. Noch vor wenigen Wochen hatten sie gehofft, dass der Albtraum bald endet. Es gab Berichte, dass Zardari die 45-jährige Mutter von fünf Kindern – die älteste Tochter ist bereits verheiratet – begnadigen wird. Doch das Gericht von Lahore stoppte dies. Asias Fall müsse erst den Weg durch die Instanzen gehen, befanden die Richter.

Ashiq ist mit den Nerven am Ende. Die Nachricht von Taseers Tod hat ihn wie ein Donnerschlag getroffen. Mit Taseer haben Asia und ihre Familie ihren wohl mächtigsten Fürsprecher verloren. Welcher Richter wird es nun noch wagen, Asia freizusprechen, wenn er selbst die Rache der Fanatiker fürchten muss? Der Fall Asia Bibi ist zur Machtprobe, zur Richtungsentscheidung für ein ganzes Land eskaliert. Die islamischen Fanatiker wollen ein Exempel statuieren – um es den Moderaten und den Minderheiten zu zeigen. Und Asia Bibi ist die Geisel, das Bauernopfer in diesem Ringen.

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