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Bei den Asylbewerbern beliebt: Ein Flüchtling hält am Hauptbahnhof München ein Foto von Angela Merkel in den Händen.

© dpa

Verteilung von Flüchtlingen in EU: Nach dem Alleingang kann Angela Merkel nicht auf Hilfe hoffen

Angela Merkel ist Viktor Orbán in der Flüchtlingskrise in die Falle gegangen. Wie sie nun Hilfe von anderen EU-Staaten bekommen will, bleibt schleierhaft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Leber

Angela Merkels Politik der offenen deutschen Grenzen ist gut für die Flüchtlinge. Diese Aussage scheint unumstößlich zu sein – egal, wie schlecht die Unterbringung und Betreuung in deutschen Massenunterkünften auch ist. Was aber wenn gerade das nicht stimmt? Wenn Merkels „Wir schaffen das“-Parolen am Ende dazu führen, dass die Flüchtlinge in ihrer Gesamtheit schlechter dastehen werden? Wenn Europa sogar mehr Flüchtlinge aufnehmen würde, hätte die Kanzlerin sich gegen einen deutschen Alleingang entschieden?

Einen Bruch der europäischen Regeln im Übrigen, der nicht allein mit den Fernsehbildern von campierenden Flüchtlingen in Budapest zusammenhängt. Er begann schon am 25. August, als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) twitterte, dass Deutschland das europäische Dublin-Abkommen auf Syrer faktisch nicht mehr anwendet – laut Bundesinnenministerium, weil die Behörde mit den Verfahren überfordert war, die eine Rückführung in das Land der EU-Einreise vorsehen. Aus einer bürokratischen Ermessensfrage wurde so eine 180-Grad-Wende in der EU-Migrationspolitik, ohne dass Merkel die europäischen Partner einbezogen hätte. Und sie konnte von Menschen weit über Syrien hinaus als Signal verstanden werden, dass der Weg für eine Einwanderung nach Deutschland nun frei ist.

Merkel lief in die Falle, die Orbán ihr gestellt hatte

Im Grunde genommen lief Merkel so genau in die Falle, die Ungarns Regierungschef Viktor Orbán ihr gestellt hatte. Sein Ziel war von Anfang an gewesen, das Dublin-Abkommen wertlos zu machen. Orbáns Ausspruch, die Flüchtlingsfrage sei ein „deutsches Problem“, mag von einem humanitären Gesichtspunkt aus perfide erscheinen. Seine Abschreckungspolitik gegenüber den Flüchtlingen in Budapest aber ging kurze Zeit später voll auf: Aus einem europäischen Problem wurde ein deutsches gemacht.

Nun mag man einwenden, man habe den Flüchtlingen ja helfen müssen, mit denen Orbán sein unwürdiges Schauspiel veranstaltete. Die Situation der Flüchtlinge in Ungarn allerdings war immer noch besser als die derjenigen, die die Fahrt über das Mittelmeer noch vor sich haben. Würde Merkel ihre Politik der offenen Grenzen zu Ende denken, dann müsste sie Asylverfahren bei den deutschen Botschaften in Kabul oder Bagdad mit einer anschließenden Überführung nach Deutschland möglich machen.

Finanzminister Wolfgang Schäuble sagt, Deutschland habe Anfang September mit der Öffnung seiner Grenzen die „Ehre Europas“ gerettet. Ging es womöglich also eher um das deutsche Image, als darum, einen nachhaltigen Ersatz für den Dublin-Vertrag zu finden? Ein neues System, das Flüchtlingen bessere Perspektiven in der gesamten EU verschafft hätte.

Ihr nationaler Alleingang mag die Kanzlerin auf kürzere Sicht moralisch stark erscheinen lassen. Politisch aber hat er ihre Möglichkeiten geschwächt, auf eine neue EU-Lastenverteilung hinzuwirken und damit Europas Aufnahmekapazität insgesamt zu erhöhen. Auf die gesamte EU mit 510 Millionen Einwohnern bezogen erscheint die Diskussion um eine Obergrenze für Flüchtlinge nämlich recht absurd. Auf Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern schon nicht mehr so sehr – allem ehrenamtlichen Einsatz und allem Gerede vom „reichen Land“ zum Trotz. Bereits jetzt werden die Flüchtlinge nicht so intensiv begleitet, wie es für eine erfolgreiche Integration notwendig wäre.

Selbst Merkel sagt, dass es eine freie Wahl des Asyllandes innerhalb der EU nicht geben kann. Im Moment aber passiert genau das. Während Flüchtlinge in deutschen Sporthallen auf engstem Raum untergebracht werden, stehen ein paar Kilometer weiter, in Frankreich, Wohnheime leer.

Für Merkels Alleingang werden andere nicht geradestehen wollen

Wäre die Kanzlerin auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise mit François Hollande und anderen EU-Chefs zusammen zu Orbán geflogen, dann hätte man jetzt vermutlich eine andere Situation. Man hätte Ungarn zu einem besseren Umgang mit den Flüchtlingen ermahnen, gleichzeitig aber auch die schnelle Reform des Dublin-Systems verbindlich zusagen können. Die Renationalisierung von Europas Asylsystem wäre zumindest nicht mit dieser Wucht erfolgt.

Mit welchen Mitteln Merkel nun die EU-Partner zu einer Entlastung Deutschlands bewegen will, bleibt völlig unklar. Moralische Appelle werden wenig fruchten. Erfolgreich erpressen jedenfalls wie die Griechen kann sie den Rest Europas nicht mehr. Die hatten das Kunststück beherrscht, aus ihrer nationalen Staatsschuldenkrise ein europäisches Thema zu machen – und andere in Mithaftung zu nehmen. Die Kanzlerin macht es genau andersherum. Sie nationalisiert ein europäisches Problem. Für ihren Alleingang werden andere Länder nicht geradestehen wollen. Verständlich irgendwie.

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