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Vier Bundesländer zahlen, zwölf nehmen - das wird zur festen Faustregel des Länderfinanzausgleichs.

© Kitty Kleist-Heinrich

Vier Zahler, zwölf Nehmer: Bayern und Hessen wollen gegen den Länderfinanzausgleich vorgehen

In den wirtschaftsstarken Bundesländern wächst die Unzufriedenheit mit dem intransparenten Ausgleichsystem. Vor allem Bayern und Hessen begehren auf. Berlin könnte zum Hauptziel der Angriffe aus dem Süden werden.

Ein klein wenig hat Alexander Dobrindt geschummelt, als er jetzt mal wieder eines der Lieblingslieder der CSU angestimmt hat: die Ode gegen den Finanzausgleich. 300 Euro zahle jeder Bayer in die föderale Verteilungskasse ein – vom Säugling bis zum Greis. Nach dem Abschluss für 2011 waren es gut 292 Euro, nun ja, ein bisschen aufrunden muss erlaubt sein. Aber ob Dobrindt die richtige Vergleichszahl gewählt hat? Für sich genommen klingt die Summe von 292 Euro nicht wirklich dramatisch. Nimmt man die Kinder und Alten weg und zählt nur die, die auch Steuern zahlen, kommt man freilich schon auf eine deutlich höhere Summe pro Kopf. Insgesamt haben die bayerischen Steuerzahler im vorigen Jahr 3,663 Milliarden Euro in den Ausgleichstopf abführen müssen. Die wirkliche Dramatik des Vorgangs lässt sich erkennen, wenn man diese Summe in Relation zu den gesamten Einnahmen des Landes setzt: 42,5 Milliarden Euro waren für 2011 geplant, die Finanzausgleichzahlungen machen somit knapp neun Prozent aus.

Die Hälfte der Ausgleichsmasse von 7,3 Milliarden Euro im reinen Länderfinanzausgleich (also ohne die zusätzlichen Zuschüsse des Bundes) kam 2011 also aus Bayern. Auch weil Baden-Württemberg seit einiger Zeit wirtschaftlich etwas schwächelt (der Finanzausgleich orientiert sich ja an den Steuereinnahmen) und 2011 nur 165 Euro je Einwohner überweisen musste. Und weil Nordrhein-Westfalen, einst die Power-Region der Republik und über Jahrzehnte ein verlässlicher Ausgleichszahler, seit einem Jahrzehnt zunehmend den Anschluss verliert und Gefahr läuft, zum Dauernehmer zu werden. Größter Zahler war 2011 Hessen mit 297 Euro je Kopf. Zu den drei Hauptgeberländern im Süden und der Mitte kommt noch ein hanseatisches Anhängsel im Norden, das aber trotz seines immensen Reichtums nur mit 35 Euro je Hamburger dabei ist.

Vier Zahler, zwölf Nehmer – das wird langsam zur Dauerregel. Kein Wunder also, dass man in München, Wiesbaden und Stuttgart gegen das (auch reichlich intransparente) Ausgleichssystem angeht. Und zwar über die Parteigrenzen hinweg. In Hessen focht einst der sozialdemokratische Ministerpräsident Hans Eichel in vorderster Front gegen das aus seiner Sicht zu hohe Ausgleichsniveau, seine Nachfolger von der CDU taten und tun es auch. In Baden-Württemberg sind Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Finanzminister Nils Schmid (SPD) allenfalls im Ton moderater als ihre schwarzen Vorgänger. Aber auch sie halten das gegenwärtige System für reformbedürftig.

Aus Gebersicht heißt das Hauptziel natürlich: höherer Selbstbehalt. Möglicherweise werden sie das über eine weitere Klage in Karlsruhe erreichen wollen, wo sie vor gut einem Jahrzehnt schon einmal zumindest einen Teilerfolg errungen haben. Die Aussichten einer weiteren Klage werden in den Ländern allerdings sehr unterschiedlich eingeschätzt. Grün-Rot in Stuttgart setzt daher stärker als die schwarz-gelben Koalitionen in Bayern und Hessen auf Gespräche mit dem Bund und den Nehmerländern. Die setzen natürlich auf den Status quo: Der Bund will über die ohnehin schon hohen Ausgleichszahlungen aus der Bundeskasse hinaus nicht höher belastet werden, die Nehmer pochen darauf, nicht schlechter gestellt zu werden. Wobei der Osten natürlich schon jetzt damit rechnet, die derzeitige Privilegierung 2019 zu verlieren, wenn der Solidarpakt (und damit auch das gegenwärtige Finanzausgleichsystem) ausläuft. Wie die mittlerweile möglicherweise schon zu üppige Extrafinanzierung der Ost-Länder wirkt, zeigt sich darin, dass Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern relativ mühelos zu ausgeglichenen Haushalten imstande sind. Zum Ärger einiger Kassenwarte im Westen.

Berlin könnte ein Hauptziel der Angriffe aus dem Süden werden.

Vor allem die Geber setzen auf eine dritte Runde der Bundesstaatsreform – nach der Neuordnung von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern 2006 und der Schuldenbremse 2009. Im Kreis der Landesfinanzminister rechnet man aber nicht damit, dass die Reformgespräche noch vor der Bundestagswahl 2013 beginnen. Doch eigentlich läuft die Zeit schon davon, denn 2016 sollte (wegen der nötigen Vorausplanung der Haushalte ab 2019) ein Ergebnis vorliegen. Und ob eine Neuordnung des Finanzausgleichs im gleichen strammen Tempo verhandelt werden kann wie die Schuldenbremse, das ist ungewiss. Um ein bisschen Druck zu machen, hat Hessens Regierungschef Volker Bouffier (CDU) nun von allen Ländern gefordert, für die Ministerpräsidentenkonferenz im März eine Daten- und Faktensammlung vorzulegen.

Wohin die Reise gehen wird, ist in Umrissen immerhin schon zu erkennen. Es wird nicht nur um Wirtschaftsdaten und Einnahmeposten gehen, sondern auch um Ausgaben. Die West-Länder werden von wachsenden Lasten für die Beamtenpensionen gedrückt – der Osten dagegen hat dieses Problem in einem weit geringeren Ausmaß, weil man nach 1990 vor allem bei den Lehrern weniger verbeamtet hat. Der Aufbau Ost als Argument fällt zudem künftig weg – einen infrastrukturellen Extrabedarf können die Regionen zwischen Ostsee und Erzgebirge nicht mehr geltend machen. Die Geberländer werden zudem darauf dringen, die Haushalte der Nehmerländer zu durchforsten. Wo die Ausgaben im Vergleich höher liegen als bei den Gebern, oder wo Extrawürste gebraten werden, da dürfte es Diskussionen geben. Ob es zu mehr Steuerautonomie für die Länder kommt, wie sie der Süden will – das ist unklar. Die Länder mit unterdurchschnittlichen Einnahmen scheuen das Thema, höhere Steuern für die eigenen Bürger möchten sie vermeiden. Die stärkeren Länder werden diese Forderung aber wohl einbringen.

„Eine dauerhafte Subventionierung sparunwilliger Länder ist nicht länger hinzunehmen“, hat Dobrindt als Parole ausgegeben. Und Landeschef Horst Seehofer donnerte in Richtung seiner Düsseldorfer Kollegin Hannelore Kraft (SPD): „Die Schulden im Land kräftig erhöhen und gleichzeitig über den Länderfinanzausgleich mit bayerischem Geld Wohltaten verteilen – das ist verantwortungslos.“

Das selbsternannte weiß-blaue Musterland, das laut Seehofer 2030 komplett schuldenfrei sein soll, will die Schuldenbremse im Grundgesetz für eine Art Prangeraktion nutzen. Länder, die die Schuldenbremse missachten oder darauf zusteuern, die für 2020 angepeilten ausgeglichenen Haushalte zu verfehlen, sollen keine Mittel mehr aus dem Länderfinanzausgleich erhalten. Das dürfte am ehesten bei Schleswig-Holstein, Bremen und dem Saarland der Fall sein. Und natürlich bei der Bundeshauptstadt. Diese vier Länder mussten mit den Haushaltswächtern des Stabilitätsrats ein Sanierungsverfahren vereinbaren. Berlin könnte in der Tat ein Hauptziel der Angriffe aus dem Süden werden. Man muss dafür nur die Zahlen für 2011 anschauen. Gut 40 Prozent der gesamten Summe im Länderfinanzausgleich fließen in nur einen Etat – den von „Spreeathen“. 3,04 Milliarden Euro hat Berlin im vorigen Jahre aus dem Länderfinanzausgleich bekommen – oder 884 Euro für jeden Hauptstädter. Etwa 15 Prozent der Berliner Einnahmen stammen daher. Man könnte auch sagen: Ein Siebtel des Berliner Haushalts wird aus Bayern finanziert.

Der Berliner Senat wird sich also auf harte Forderungen einrichten müssen. Zum Beispiel könnte die Höhergewichtung der Einwohnerzahl der Stadtstaaten um 35 Prozent ins Visier kommen, im Verbund mit mehr Druck in Richtung einer Neugliederung, will heißen: einem Ende der Stadtstaaten, jedenfalls im Falle Berlins und Bremens. In jedem Fall ist klar, dass sich die CSU die Geldflüsse nach Berlin im Landtagswahlkampf 2013 nicht als Argument entgehen lassen wird. Aber selbst ein Regierungswechsel dürfte nur wenig am bayerischen Drängen nach Reformen ändern. Auch von einem Ministerpräsidenten Christian Ude von der SPD wäre im Endeffekt nicht viel mehr föderale Barmherzigkeit zu erwarten als von den Christsozialen. Das Landesinteresse geht vor.

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