zum Hauptinhalt

Volker Kauder im Interview: „Es gibt keine Islamisierung Deutschlands“

Unions-Fraktionschef Volker Kauder spricht mit dem Tagesspiegel über „Pegida“, Muslime und den Abschiebestopp für Flüchtlinge, die eine Lehre machen.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Herr Kauder, die Kanzlerin hat am Donnerstag im Bundestag den Satz „Auch der Islam gehört zu Deutschland“ wiederholt. Warum haben Sie ihr nicht applaudiert?
Angela Merkel hat eine sehr gute Rede gehalten, und ich habe ihr mehrfach und vor allem am Ende wie die gesamte Fraktion Applaus gespendet.

Sie haben 2012 gesagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Hat sich an Ihrer Auffassung etwas geändert?
Nein. Ähnlich wie Bundespräsident Joachim Gauck sage ich, mir sind die Menschen wichtig. Die Muslime gehören zu Deutschland, und in diese Richtung hat sich am Freitag im Übrigen auch die Kanzlerin geäußert.

Warum gehören die Muslime zu Deutschland, aber ihr Glauben, der Islam, nicht?
Grundsätzlich hat jeder Mensch in Deutschland das Recht, seinen Glauben frei und unbedrängt leben zu können. Das ist ein ganz hohes Gut. Das gilt für die Christen, für die Juden, für die Muslime und für die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften. Unser Grundgesetz beschreibt aber auch Grenzen der Glaubensfreiheit. Beim Islam wird derzeit zu Recht die Frage gestellt: Von welchem Islam reden wir? Ist es eine Form des aufgeklärten Islam? Oder ist es die strenge Form, wie er etwa in Saudi-Arabien praktiziert wird? Um einmal nur zwei Konstellationen zu nennen.

Ist der Islam eine Religion, die im Rahmen des Grundgesetzes gelebt werden kann?
Natürlich kann der Islam im Rahmen des Grundgesetzes gelebt werden. Millionen von Muslimen in Deutschland tun das auch. Dennoch sollten die Muslime sich mit der Frage beschäftigen, warum sich so viele gewalttätige und gewaltbereite Menschen auf der ganzen Welt auf den Koran berufen. Die Terroristen schaden doch dem Ansehen des Islam massiv. Diese Auseinandersetzung sollten die Muslime aber selbst führen. Da werde ich mich nicht einmischen. Ich bin nur irritiert, wenn die theologische Elite des sunnitischen Islam an der Al-Azhar-Universität in Kairo einerseits den Terror verurteilt, aber auch andererseits sagt, die erneuten Karrikaturen in "Charlie Hebdo" seien eine unzulässige Provokation. Diese geistlichen Führer sollten in der gegenwärtigen Lage auch einmal unsere Freiheitswerte stärker würdigen. Das gilt auch für die türkische Regierung. Jede Religion muss sich von Zeit zu Zeit auch selbst hinterfragen, ob Standpunkte verändert werden müssen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, hat vor dem Brandenburger Tor klar gesagt, dass sich Terroristen nicht auf den Koran berufen können. Das war wichtig und hat mich wirklich sehr beeindruckt.

Ist das Bekenntnis denn glaubwürdig?
Ja, das ist es. Ich gehe auch davon aus, dass die Diskussion in den muslimischen Organisationen und Gemeinden weitergeht, zumal die Zahl der Salafisten zunimmt. Ich habe den Eindruck, dass die Muslime zu diesen Gesprächen bereit sind. Die Muslime müssen doch ein ureigenes Interesse an dieser Auseinandersetzung über die Inhalte ihrer Religion haben. Manchmal ist im Leben nach einem bestimmten Ereignis nichts mehr so, wie es war. Ich habe die Hoffnung, dass die Muslime in Deutschland nach den Pariser Anschlägen insgesamt die Inhalte der Religion jetzt noch einmal neu betrachten und noch aktiver gegen den Missbrauch ihrer Religion Stellung beziehen.

In Saudi-Arabien wird ein kritischer Blogger im Namen der Religion womöglich zu Tode gepeitscht. Was heißt das für unser Verhältnis zu solch einem Land?
Wir müssen im Dialog mit diesen Staaten darauf bestehen, dass dies gegen Menschenrechte verstößt. Eine Relativierung im Namen der Religion ist nicht akzeptabel. Die Menschenrechte sind in der UN-Charta festgeschrieben, sie sind universell, sie gelten überall.

Haben Sie den Eindruck, dass diese Staaten überhaupt zuhören?
Die USA und die Bundesregierung haben eindeutig Stellung genommen. Das haben die Regierenden dort sicherlich gehört.

Unter dem Namen „Pegida“ machen in Dresden Tausende ihrer Sorge vor einer Islamisierung Deutschlands Luft. Nehmen Sie deren Ängste ernst?
Natürlich nehme ich das ernst und sage bei jeder Gelegenheit: Es gibt keine Islamisierung Deutschlands. Vier Millionen Muslime leben in Deutschland bei einer 80-Millionen-Bevölkerung. Wer da von Islamisierung spricht, der will die Menschen bewusst verunsichern. Die allermeisten Muslime in Deutschland sind zudem integriert. Alle Teile der Bevölkerung sollten noch mehr aufeinander zugehen. Natürlich verstehen es Eltern nicht, wenn die muslimischen Mitschülerinnen ihrer Kinder nicht zum Sport- oder Schwimmunterricht gehen. Und da sage ich auch: Das geht nicht. Wer in Deutschland lebt, der muss sich mit den hier geltenden Gesetzen und Regeln vertraut machen und akzeptieren, dass alle gleich behandelt werden.

Wie gefährlich ist "Pegida"?

Wie erklären Sie sich, dass die Zahl der „Pegida“-Demonstranten weiter zunimmt?
Dieses montägliche Zählen ist ermüdend. Wir sollten noch mehr die in den Blick nehmen, die für ein weltoffenes Deutschland auf die Straße gehen. Letztes Wochenende waren es in Dresden 35000.

Ist über die „Pegida“ ein Zerrbild in der Öffentlichkeit entstanden?
Das will ich nicht beurteilen. Ich will auch die Leute, die da in Dresden auf die Straße gehen, nicht pauschal verurteilen. Auf viele Parolen muss man als Demokrat aber eine deutliche Antwort finden: Wenn ich höre, dass da ein Spruch wie „Sachsen bleibt deutsch“ gebraucht wird, dann muss ich sagen: Das geht nicht.

Gefährdet „Pegida“ die Demokratie?
Nein, überhaupt nicht. Staat und Parteien bekennen eindeutig Farbe. Außerdem gibt es sehr, sehr viele Bürger, die jede Woche wieder klare und unmissverständliche Zeichen gegen diese Leute setzen. Ich habe schon beim Aufkommen dieser AfD...

... der Partei Alternative für Deutschland...
Ja. Schon damals habe ich gesagt, dass ich mich mit denen nicht an einen Tisch setze. Damals bin ich dafür heftig kritisiert worden, und jetzt solidarisieren sich die AfD-Leute mit der Führung von "Pegida2 in Dresden. Da kann ich nur sagen: Das habe ich Euch doch gleich gesagt.

2014 sind so viele Asylbewerber nach Deutschland gekommen wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Irritiert das die Menschen womöglich auch, weil sie von der Politik nicht ausreichend vorbereitet wurden?
Dass die Zahlen so hoch sind, liegt in allererster Linie an Kriegen und Bürgerkriegen. Entstehung und Verlauf sind für niemanden so vorhersehbar gewesen. Wir müssen unseren Bürgern sagen: Diese Menschen wären sicher lieber zu Hause geblieben, aber sie haben in aller Regel Furchtbares erlebt. Die Zahl der Flüchtlinge wird weiter steigen. Solange in Syrien und Irak, aber auch in Afrika Terror herrscht, werden die Menschen davor fliehen.

Wir müssen die Flüchtlinge, die zu uns kommen, aufnehmen und uns um sie kümmern. Genauso klar muss man aber sagen: Wer aus sicheren Ländern, etwa aus Serbien, hierherkommt und Asyl beantragt, der muss rasch wieder ausgewiesen werden können. Dafür haben wir die notwendigen gesetzlichen Regelungen geschaffen. Die Verfahren müssen aber noch mehr beschleunigt werden.

Aus der Wirtschaft kommt die Forderung, jungen Flüchtlingen hier eine Perspektive zu eröffnen durch einen garantierten Abschiebestopp.
Ich kann diese Forderung nachvollziehen.

Keine Abschiebung während einer Ausbildung und für ein paar Jahre danach?
Es gibt schon jetzt Fälle, in denen Unternehmen junge Flüchtlinge beschäftigen, ohne dass ihr Aufenthaltsrecht abschließend geklärt ist. Für den Betroffenen und die Firma wäre es besser, wenn beide rasch Klarheit über den Verbleib hätten. Natürlich muss sichergestellt sein, dass die jungen Menschen wirklich dauerhaft zu der Ausbildung oder einem Schulbesuch bereit sind. Wir brauchen kein neues Ein- oder Zuwanderungsgesetz. Aber wir müssen uns um die Menschen viel mehr kümmern, die schon da sind und noch kommen. Mit denen und aus denen müssen wir etwas machen.

Was heißt das konkret?
Wir müssen sehr schnell die Voraussetzungen schaffen, dass gerade junge Menschen in Ausbildung und Arbeit kommen. Die Wirtschaft sucht sie ja auch. Die Bundesregierung prüft, ob wir dafür ein neues Gesetz brauchen oder eine Verordnung ausreicht. Allerdings hat jedes Ding zwei Seiten. Zugleich muss versucht werden, skrupellosen Schlepperbanden das Geschäft zu nehmen, Flüchtlinge auf krummen Wegen und für viel Geld nach Europa zu schaffen.

Arbeit statt ständiger Abschiebedrohung – das wäre ein Richtungswechsel, oder?
Die Zeiten haben sich verändert. Die Menschen in meinem Wahlkreis zum Beispiel sagen: Wenn die Flüchtlinge herkommen und arbeiten, ist das doch in Ordnung! Die Bürger stehen Zuwanderung heute positiver gegenüber als noch vor Jahren, vorausgesetzt, dass Recht und Ordnung eingehalten werden. Wichtig ist, dass die Politik mit den Bürgern über alle Fragen, die damit zusammenhängen, ständig spricht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false