zum Hauptinhalt

Vor dem Referendum in Rumänien: Putsch per Stimmzettel

Am Sonntag stimmen die Rumänen über die Amtsenthebung ihres Präsidenten ab. Das Volk wird zum Vollstrecker in einem knallharten Machtkampf. Wie tickt der Karpatenstaat?

Am Sonntag gehen die Bürger Rumäniens zu den Urnen. Sie sollen in einem Volksentscheid darüber abstimmen, ob ihr Staatspräsident Traian Basescu noch im Amt bleiben darf. Ihm wirft die von Victor Ponta geführte Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Nationalliberalen in 14 Punkten Verfassungsbruch vor – aufgrund dieser Liste hat das Verfassungsgericht das Referendum gutgeheißen. Der Wahlkampf im Vorfeld des Referendums hinterließ den Eindruck von politischem Chaos und irritierte die EU sowie einer Reihe der Mitgliedsstaaten, auch Deutschland.

Wie könnte die Abstimmung ausgehen?

Es deutet alles darauf hin, dass die Liberaldemokraten (PDL), die den vom Amt suspendierten Präsidenten Basescu unterstützen, den Volksentscheid boykottieren werden. Basescu selbst, mit dem die PDL alle entscheidenden Schritte abspricht, reagierte auf den von Parteichef Vasile Blaga initiierten Aufruf „an die Parteimitglieder und unsere Sympathisanten“ lammfromm: Er möchte seinen Anhängern keine Empfehlung bezüglich des Volksentscheids geben, aber er akzeptiere die Entscheidung der Leitungsspitze der Partei.

Basescus politische Feinde, Regierungschef Victor Ponta und Interimspräsident Crin Antonescu, versuchen hingegen ihrerseits, jeden Rumänen irgendwie an die Urnen zu holen. Die Einwohnermeldeämter machen Überstunden, damit abgelaufene Personalausweise noch schnell verlängert werden können, auch am Ferienort wird die Stimmabgabe möglich sein. Denn Basescus Gegnern ist klar: Ein Boykott der Abstimmung erhöht die Wahrscheinlichkeit, den suspendierten Präsidenten im Amt zu halten – weil zur Gültigkeit des Volksentscheids 50 Prozent plus eine Stimme der in den Wählerlisten Eingetragenen nötig sind.

Und da zeigt sich ein Problem für die Basescu- Gegner: In den Wählerlisten sind rund 18 Millionen Bürger eingetragen. Durch Emigration und negative Bevölkerungsentwicklung sind es aber real nur 15,5 Millionen. Laut Gesetz müssten neun Millionen Bürger abstimmen, doch in Wirklichkeit sind statt der 50 Prozent 65 bis 70 Prozent Beteiligung nötig, damit der Volksentscheid überhaupt gültig ist. Die Volkszählung vom Oktober 2011 mit den reellen Zahlen bestimmt erst ab 1. Januar 2013 die Wählerlisten. Voraussichtlich wird der Volksentscheid vom Sonntag also wegen des fehlenden Quorums vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt werden – und Basescu würde im Amt bleiben. Das Gericht hatte den Dringlichkeitserlass der Regierung zur Änderung des Referendumsgesetzes aufgehoben, wonach die Stimmen von 50 Prozent der Wahlbeteiligten plus einer Stimme über das politische Schicksal Basescus entscheiden sollten.

Ungeachtet dessen gingen bislang alle Demoskopen in ihren Umfragen von einer Abwahl des Präsidenten aus. Um die 60 Prozent seien gegen seinen Verbleib im Amt, hieß es. Selbst Basescu bezweifelte nicht, dass die Mehrheit der Teilnehmer am Referendum gegen ihn stimmen werde.

Worum geht es in dem Konflikt?

Kaum jemand kann heute in diesem Land sagen, woran sich der Krieg zwischen Basescu und dem als Frontmann angetretenen, 20 Jahre jüngeren Regierungschef Ponta entfacht hat. Es ist einfach ein Machtkampf. Inhalte spielen keine Rolle. Das typische „Cine pe cine?“, auf deutsch etwa „Wer schlägt wen?“, wurde seit der Phanariotenzeit im 17. und 18. Jahrhundert zum bis heute unveränderten byzantinisch-balkanischen Politikverständnis. Die Hauptfrage war und ist: Wer besetzt den Thron, wer setzt wen ab? Es ist gekennzeichnet durch das Fehlen einer Dialogkultur, die Sehnsucht nach einer Vaterfigur und die Verneinung derselben. Der Parlamentarismus ist unterentwickelt und traditionslos. Es herrschen politische Inkonsistenz, Brüchigkeit politischer Umgangsformen und Schwammigkeit der Parteiideologien. Die liberaldemokratische Partei PDL zum Beispiel war kurz nach dem EU-Beitritt Rumäniens unter Schirmherrschaft Basescus von links nach rechts gedriftet, von den europäischen Sozialisten zur Europäischen Volkspartei. Keine Partei in Rumänien erweist sich als ideologiefest. Selbst die ethnische Partei der Ungarn (UDMR) glänzte zwischen 1990 und 2012 als ununterbrochener Partner in Regierungskoalitionen, unabhängig von deren Couleur.

Da in der „politischen Klasse“ Rumäniens alles Gerede unverbindlich ist, artet das in Streiterei und Unversöhnlichkeit aus, in Zerstrittenheit, in Unduldsamkeit, in die Unfähigkeit, politische Kompromisse zu schließen. Nur aus solcher Sicht ist der Dauerkonflikt dieser Hauptkontrahenten zu verstehen. Das Parlament ist der Tatort des Feilschens um die Macht. Die Demokratie ist ein Vorwand für das Tauziehen um die Macht. Darum geht es Basescu, darum geht es Ponta.

Was man dem Präsidenten verübelt

Was wird dem Präsidenten vorgeworfen?

Das Wählervolk identifiziert Basescu mit den Sparmaßnahmen, die „seine“ Partei in Absprache mit dem IWF, der Weltbank und der EZB getroffen hat. Sie äußern sich in Lohnkürzungen aller Staatsangestellten, Abspeckung des Staatsapparats, Kürzung und Besteuerung der Renten sowie zahlreichen weiteren unpopulären Maßnahmen. Basescu sagt dazu: „Da niemand diese Maßnahmen bekanntgeben wollte, habe ich es getan. Der Dank dafür: Nun werde ich damit gleichgesetzt.“ Sein hochpoliertes Saubermann-Image wirkt nur unter Intellektuellen. Er selbst bezeichnet sich gern als „Macher“, als Player, der sich in alles einmischt und über die Gesetzestreue wacht.

Das bringt in einem Volk wenig Zustimmung, wo der Freischärler, der Haiducke und Zechpreller stets einen besseren Ruf genossen als der Polizist und der Hüter der Ordnung. Allerdings werden im Volk auch die Gegner Basescus als Vertreter der Macht, also als „Feinde“, empfunden. Am Sonntag ist aber prioritär, dass demjenigen, der „uns“ die Sparprogramme aufgehalst hat, ein Denkzettel verpasst wird. Per Absetzung.

Wie ist die wirtschaftliche Situation?

Der Wechselkurs der Landeswährung, des Leu, erreicht täglich neue Negativrekorde gegenüber Euro, Dollar und Schweizer Franken. Mindestens 700 000 Bürger oder Familien, die Kredite in Euro zurückzuzahlen haben, sind von dieser Entwicklung betroffen. Sie müssen immer mehr Lei für die selben Raten in Euro zahlen. Regierungschef Ponta beschwichtigt, nach dem Referendum höre der Sinkflug des Leu auf. Gleichzeitig sind die ausländischen Direktinvestitionen zurückgegangen. Nationalisten, die von „ausländischen Attacken“ gegen Land und Währung sprechen, finden zunehmend Gehör im Volk. Ponta kontert mit dem Versprechen, steuerliche Erleichterungen einzuführen. Für 2012 sagt man Rumänien eine Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts von 1,3 bis 1,5 Prozent voraus, für 2013 von 2 bis 2,5 Prozent.

Ansonsten tun die Rumänen, was sie schon immer getan haben: sie zerbrechen sich nicht viel den Kopf über Lösungen für ihr Land, sie gehen lieber ins Ausland. Immer noch gilt: Lieber als Arbeitsloser in Deutschland leben, denn als Arbeitender in Rumänien.

Wie ist das Verhältnis zur EU?

Zu den Feindbildern, die nicht ohne Zutun der in jüngster Vergangenheit Regierenden aufgebaut wurden, gehört auch die EU. Alle unpopulären Maßnahmen wurden und werden von den Politikern mit Druck aus Brüssel begründet. Und die harschen Kritiken, die aus Brüssel kommen, werden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten interpretiert.

Die von der EU gerügte Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit durch die juristisch tönernen Maßnahmen der Regierung Ponta und einer Parlamentsmehrheit, wird von den Bürgern weithin fatalistisch beurteilt: Die da Oben tun sowieso immer nur das, was sie wollen. So lange uns das politische Chaos nicht direkt trifft, interessiert es uns auch nicht.

Die Wochenzeitung politisch interessierter Intellektueller „22“ titelte allerdings bereits vergangene Woche: „Adio Europa!“

Der Autor Werner Kremm arbeitet im Banat als Redakteur der Bukarester Tageszeitung „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“. Er ist Gründungsmitglied der „Aktionsgruppe Banat”, der auch die spätere Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller nahestand.

Werner Kremm

Zur Startseite