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Waffenlieferungen an Kurden: Die deutsche Parlamentsbeteiligung geht zu weit

Im Kampf gegen die IS soll die Regierung regieren können: Die Genehmigung von Waffenexporten fällt ins Feld der Exekutive, der Bundestag hat über Waffenexporte nicht zu entscheiden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Dies ist also die Woche der Entscheidung – pardon, der Beratung! Nach allem Anschein setzt sich nach Tagen aufgeregter Debatte, ob und wie der Bundestag an Entscheidungen über deutsche Waffenexporte beteiligt werden müsse, die gute Ordnung durch. Die folgt in einem demokratischen Rechtsstaat, der Deutschland zweifellos ist, den Prinzipien der Gewaltenteilung. Die Regierung, die Exekutive, regiert im Rahmen der Gesetze. Das Parlament, die Legislative, beschließt diese Gesetze und kontrolliert die Regierung. Gibt es Streit, ob eine der Gewalten ihre Kompetenzen überschreitet, entscheidet die Judikative, also die Gerichte.

Rechtlich ist der Fall klar: Die Genehmigung von Waffenexporten fällt ins Feld der Exekutive. Der Bundestag hat darüber nicht zu entscheiden. Er kann Auskunft von der Bundesregierung über deren Politik verlangen und über mögliche Folgen debattieren. Das geschieht in dieser Woche.

Angesichts der komplizierten Verhältnisse im Irak könnte diese Debatte aufklärerische Wirkung haben. Die meisten Abgeordneten wissen – wie auch die meisten Bürger – wenig über das Land, seine konkurrierenden Volks- und Religionsgruppen und die verworrenen Wechselbeziehungen zwischen ihnen. Es gibt keinen Königsweg, um die Jesiden vor den Mördermilizen des „Islamischen Staats“ zu retten und zugleich die Machtbalance zwischen Kurden, Sunniten und Schiiten zu bewahren, damit der gemeinsame Staat überlebt. Fast jede Entscheidung, und gewiss die über Waffenhilfe an die Kurden, hat gute und schlechte Seiten. Woher der Glaube kommt, der Bundestag könne das kompetenter beurteilen als die Regierung, ist nicht ersichtlich. Der Exekutive steht mehr Fachwissen zur Verfügung. Die deutsche Ministerialverwaltung hat hervorragende Qualität.

Beginnt mit den Waffenlieferungen eine neue Ära?

In Großbritannien, dem Mutterland des Parlamentarismus, gilt die Devise, man solle der Regierung „the benefit of the doubt“ geben. Die Regierung soll entscheiden. Auch sie kann irren. Bei der nächsten Wahl werden die Wähler sie bei hoher Fehlerquote abwählen, bei guter Erfolgsquote bestätigen. Gerade Entscheidungen über ein Eingreifen in ein Kriegsgebiet – ob mit Waffenlieferungen oder direktem militärischem Beistand – wird die Exekutive mit größter Sorgfalt treffen.

Nun sagen die Befürworter stärkerer Parlamentsbeteiligung: Erstens stelle die Waffenhilfe für die Kurden den Übergang in eine neue Ära der Außen- und Sicherheitspolitik dar. Zweitens sei es unlogisch, dass die Regierung das Parlament fragen müsse, ehe sie Soldaten entsendet, nicht aber wenn sie Waffen liefert. Gefühlt mag die Herausforderung im Irak ein neues Kapitel bedeuten. Sachlich stimmt das nicht. Vor zwei Jahrzehnten stand Europa vor ähnlichen Entscheidungen. Damals drohte erst der Massenmord an bosnischen Muslimen, dann an Kosovoalbanern. Am Kosovokrieg beteiligte sich die damalige Bundesregierung mit Luftwaffe und Soldaten. Sie tat also mehr, als heute debattiert wird.

Der zweite Einwand ist bedenkenswerter. Doch die Schlussfolgerung aus einem Abgleich der geltenden Praxis bei Bundeswehrmandat und Waffenlieferungen könnte am Ende umgekehrt lauten: dass nämlich die Regierung mehr Entscheidungsfreiheit im Detail benötigt. Richtigerweise soll die Exekutive deutsche Soldaten nicht ohne Zustimmung des Parlaments in Auslandseinsätze schicken. Doch in den vergangenen Jahren hat sich eine Neigung zum Mikromanagement entwickelt, zum Beispiel in Afghanistan. Es kann nicht Aufgabe der Abgeordneten sein, zu beschließen, in welchem Bezirk deutsche Truppen eingesetzt werden, ob man 500 Mann mehr oder weniger braucht, ob es Fallschirmspringer, Jäger oder Minenräumer sein sollen. Ihnen fehlt das Fachwissen. Dies sollte das Entscheidungsterrain der Exekutive sein.

Geradezu schädlich für die deutschen Interessen wird es, wenn Deutschland einerseits gemeinsame europäische Verbände und eine Integration der Rüstungsindustrie fordert, der Bundestag sich andererseits vorbehält, deutsche Soldaten jederzeit aus den gemeinsamen Verbänden abzuziehen, zum Beispiel aus der Awacs-Luftüberwachung. Deutschland steht da im Ruf von Unzuverlässigkeit. Die Fachpolitiker im Bundestag sind sich überwiegend einig. Doch wie so oft fehlt auch hier der Mut, das öffentlich zu sagen.

Im internationalen Vergleich geht die deutsche Parlamentsbeteiligung sehr weit – für eine vernünftige Praxis eher zu weit. Auch deutsche Regierungen verdienen mehr „benefit of the doubt“.

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