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Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht

© dpa/Maurizio Gambarini

Wagenknecht zu Mecklenburg-Vorpommern: "Linke ist für viele Teil des unsozialen Parteienkartells geworden"

Die Linke-Fraktionschefin wirft Angela Merkel vor, der AfD den Durchbruch gebracht zu haben. Ihre eigene Partei habe Probleme die Wähler zu erreichen, sagt Sahra Wagenknecht.

Von Matthias Meisner

Frau Wagenknecht, warum ist die Linke nicht mehr erste Adresse für Proteststimmen?

Weil es uns offensichtlich nicht ausreichend gelungen ist, uns von den anderen Parteien abzusetzen. Es ist ja interessant, dass Wahlanalysen besagen, dass ein Großteil der Wähler die AfD nicht gewählt hat, weil sie deren Programm so toll finden, sondern aus Enttäuschung über die anderen Parteien. Insoweit ist das gute Abschneiden der AfD natürlich die Quittung dafür, dass in diesem Land seit Jahren in wechselnden Koalitionen Politik gegen die sozialen Interessen der Mehrheit gemacht wird.

Wir allerdings müssen uns fragen, warum Die Linke in den Augen vieler offenbar Teil dieses unsozialen Parteienkartells geworden ist. Das ist ein großes Problem und wir müssen das dringend ändern.

Das heißt, die Linkspartei ist zu angepasst?

Zumindest haben wir offensichtlich nicht genug ausgestrahlt, dass wir eine Partei sind, die eine grundlegend andere Politik anstrebt. Wir stehen ja nicht für eine wachsende soziale Spaltung, für schlechte Löhne, für miese Renten, sondern wir kämpfen für die Wiederherstellung des Sozialstaates. Dafür wurde Die Linke gegründet. Aber diese Abgrenzung gegenüber der Merkelschen Politik, der Politik der großen Koalition, wird uns offensichtlich von vielen nicht mehr abgenommen.

Wir haben gerade in unseren traditionellen Wählerschichten verloren. Bei Arbeitern, bei Arbeitslosen, bei prekären Selbstständigen hat die AfD enorme Ergebnisse. Das sind eigentlich Menschen, die wir erreichen müssen. Deshalb können wir jetzt nicht sagen: Weiter so. Wir müssen uns fragen: Was haben wir falsch gemacht, und das korrigieren.

Die AfD hat es auch in besonderem Maße geschafft, Nichtwähler zu erreichen und für sich zu gewinnen? Was kann die Linkspartei hier lernen?

Die Nichtwähler der letzten Landtagswahl sind früher vielleicht auch Wähler der Linken gewesen. Bei der Bundestagswahl 2009 kam die Linke in Mecklenburg-Vorpommern auf fast 30 Prozent. Wir hatten auch schon Landtagswahlergebnisse deutlich über 20 Prozent. Viele Menschen fühlen sich zu recht von der herrschenden Politik im Stich gelassen, sie haben den Eindruck, dass ihre Interessen nichts zählen. Nicht wenige wählen AfD faktisch in einer Art Notwehr, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch weil sie das Gefühl haben, den anderen Parteien damit die größtmögliche Ohrfeige geben.

Die Linke muss sich fragen: Warum werden wir nicht mehr als die Partei angesehen, die denen eine Stimme gibt, die protestieren und eine sozialere Politik einfordern wollen? Die AfD will das ja inhaltlich gar nicht, sie hat wie die anderen Parteien ein neoliberales, kein soziales Programm.

Vor der Wahl wurden Sie von auch von eigenen Parteifreunden kritisiert. Der Vorwurf: Sie praktizierten so eine Art Umarmungsstrategie gegenüber der AfD, würden deren Stichworte aufgreifen. Können Sie das nachvollziehen?

Das ist völlig absurd. Ich umarme nicht die AfD. Ich kritisiere Frau Merkels Politik, die zu sehr viel Unsicherheit und Ängsten geführt hat, weil sie konzeptionslos ist. Man kann nicht in großer Zahl Menschen nach Deutschland holen und dann die Kommunen und die ehrenamtlichen Helfer mit dem größten Teil der Probleme alleine lassen.

Man muss die Rahmenbedingungen schaffen, dass Integration funktioniert. Das tut diese Regierung nicht, im Gegenteil. Sellering hat das zu recht im Wahlkampf angesprochen, wobei das faktisch ja auch eine Distanzierung von seiner eigenen Partei war, die immerhin in der großen Koalition alles, was Merkel macht, mitgetragen hat. 

Ist die Flüchtlingspolitik von Merkel schuld daran, dass die AfD so groß werden konnte?

Laut Umfragen war das wichtigste Thema für die Wähler tatsächlich die Flüchtlingspolitik, das zweitwichtigste allerdings die soziale Gerechtigkeit. Deswegen kann man es sich nicht zu einfach machen. Im Unmut über die Flüchtlingspolitik eskaliert auch eine jahrelang aufgestaute Wut über die ungerechte Verteilung und die wachsende soziale Spaltung im Land. Aber natürlich hat Merkels Politik seit letzten Herbst in besonderem Maße zu Unsicherheit und Ängsten geführt. Es ist verantwortungslos, im Bundeshaushalt Milliarden zu bunkern und gleichzeitig zuzulassen, dass die Kämmerer in den Kommunen kürzen müssen, um bestimmte Integrationsaufgaben zu finanzieren.

Merkels Politik hat letztlich der AfD den Durchbruch gebracht. Das sieht man auch in der Historie. Die AfD lag im letzten Sommer bei drei Prozent. Viele haben gehofft, dass sich diese Partei nach der Spaltung erledigen könnte. Und jetzt zieht sie in einen Landtag nach dem nächsten ein, in der Regel zweistellig.

In Mecklenburg-Vorpommern ist nun außer einer Fortführung der Regierung aus SPD und CDU auch eine rot-rote Koalition möglich. Sollte ihre Partei das ernsthaft sondieren?

Das Wahlergebnis ist für uns nicht gerade ein Regierungsauftrag. Natürlich kann man Gespräche führen. Aber natürlich könnte sich die Linke nur an einer Regierung beteiligen, die tatsächlich soziale Missstände beseitigt und spürbar die Lebensverhältnisse von Menschen verbessert. Ob das jetzt tatsächlich in Mecklenburg-Vorpommern möglich ist, muss vor Ort sondiert werden.

Sahra Wagenknecht (47) ist Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.

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