zum Hauptinhalt
Als Staatsmann: Westerwelle am Montag in Brüssel. Bei den FDP-Gremiensitzungen in Berlin fehlte der Parteichef.

© REUTERS

Schwarz-Gelb in der Krise: Die Qual der Wahlkämpfer

Die Koalition findet nicht zu Geschlossenheit – weder in der Atompolitik noch beim Krieg gegen Libyen. Der Schlingerkurs der Bundesregierung wird nach Sachsen-Anhalt auch die Landtagswahlen in Baden-Württemberg beeinflussen.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Berlin - Eine Woche vor den entscheidenden Landtagswahlen im Südwesten wird in der FDP die Schuld für das miserable Abschneiden in Sachsen-Anhalt unter anderem auf die abrupte Kehrtwende der Bundesregierung in der Atompolitik zurückgeführt. Die Parteiführung signalisierte daher zunächst einmal Zurückhaltung bei der Beschleunigung des Atomausstiegs. FDP-Generalsekretär Christian Lindner sprach von einer „großen Kraftanstrengung“, die bis dahin nötig sei, und maß dem von der Bundesregierung avisierten Weg eine „Dimension Mondfahrt“ zu. Unter Beteiligung des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle hatte die Regierung am Montag vergangener Woche ihr eigenes Laufzeitengesetz für Kernkraftwerke ausgesetzt und einen beschleunigten Ausstieg aus der Energieform angekündigt.

Der FDP-Spitzenkandidat Veit Wolpert sagte am Montag rückblickend, im Wahlkampf in Sachsen-Anhalt habe man nach dieser Kehrtwende, zumal eine Woche vor der Wahl, kaum eine Chance gehabt, das Geschehene auf den Marktplätzen zu erklären. So viele Leute, wie nötig gewesen wären, um alle Fragen zu beantworten, seien einfach nicht aufzutreiben gewesen.

Weder im Präsidium noch im Parteivorstand der Liberalen war jedoch dem Vorsitzenden Westerwelle persönliche Schuld an dem Kommunikations-GAU und schließlich dem Wahlergebnis von nur 3,8 Prozent zugeschoben worden. Westerwelle war allerdings auch nicht anwesend, wegen „Verpflichtungen, die sich aus dem Staatsamt ergeben“, wie Generalsekretär Christian Lindner sagte. Auch Parteivize Rainer Brüderle fehlte aus diesem Grund. Weshalb gemäß Rangordnung Cornelia Pieper die Sitzungen leitete, was von Teilnehmern später als „reichlich absurd“ bezeichnet wurde. Schließlich hat Pieper als Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt das miese Wahlergebnis mit zu verantworten, was eine ehrliche Ursachenanalyse unter ihrer Führung naturgemäß erschwert. Für Überraschung sorgte auch, dass Pieper trotz der Halbierung der Wählerstimmen bekannt gab, erneut für das Parteipräsidium kandidieren zu wollen. Von Generalsekretär Lindner wurde dies auch nur sehr zurückhaltend aufgenommen.

Mit Blick auf die nun anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mahnte Lindner „mehr Rationalität und Realismus“ in der Debatte um den Atomausstieg an. Je schneller die Energiewende erfolgen soll, umso größer seien die zu lösenden Aufgaben, sagte er. Die Investitionen und Strukturveränderungen, die sich aus der Ankündigung der Regierung zur Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien ergäben, seien gewaltig. Das sei „keine ulkige Veranstaltung“, schließlich würden die Investitionen voraussichtlich die Strompreise nach oben treiben. Dies spreche zwar nicht gegen das Gesamtprojekt, betonte Lindner. Er warne jedoch vor überzogenen Erwartungen, etwa einem Atomausstieg in zehn bis 15 Jahren, wie ihn CDU-Umweltminister Norbert Röttgen für denkbar hält. Jeder Fahrplan, trat Lindner auf die Bremse, müsse sich „daran messen lassen, ob er wirtschaftlich, technisch und planerisch machbar ist“. Auch FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle mahnte zur Zurückhaltung. Beim Energieministertreffen in Brüssel sagte Brüderle: „Ein sofortiges Abschalten geht nicht.“ Um die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen, brauche es auch eine intakte Energieversorgung und reibungslos funktionierende Netze in ganz Europa.

Weit weniger kontrovers als die Atomwende wurde in der FDP-Führung die Entscheidung der Regierung aufgenommen, sich im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über einen Kampfeinsatz in Libyen der Stimme zu enthalten. Lindner sprach von einer „schwer abzuwägenden Entscheidung“, die „der Außenminister, die Kanzlerin und der Verteidigungsminister gemeinsam getroffen haben“. Die FDP habe „großes Verständnis“ dafür.

Bei der CDU war von dieser Art Verständnis – wie schon am vorigen Freitag in der Fraktion – keine Rede. Dass sich Deutschland an Militäraktionen gegen Libyen nicht beteiligt, darauf könnten sich alle noch verständigen. Dass die Regierung sich im Sicherheitsrat enthalten hat, werten viele aber als massiven Verstoß gegen Bündnistreue und westliche Solidarität. Da half es wenig, dass Angela Merkel diese Position ausführlich begründete und überdies deutlich machte, dass sie diese Entscheidung genau so gefällt hat wie Westerwelle: „In vielzähligen Gesprächen“, versicherte die Kanzlerin hinterher auch öffentlich, sei dieser Kurs in der Regierung gemeinsam festgelegt worden, Westerwelle und sie hätten sich das sehr genau überlegt. Bei den Partnern sei übrigens verstanden worden, dass es Muammar al Gaddafi nicht gelingen werde, die Gemeinschaft zu spalten. Und verstanden worden sei auch das Signal, dass Deutschland sich statt in Libyen nun in Afghanistan an Awacs-Einsätzen beteiligen will. Damit kann es Merkel gar nicht schnell genug gehen: Noch diese Woche soll der Bundestag beschließen.

Doch die Kritiker blieben bei ihrer Gegenposition. Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen zog im CDU-Vorstand sogar den Vergleich zum Nein der rot-grünen Regierung gegen den Irakkrieg – und zwar zugunsten Gerhard Schröders: Der habe damals wenigstens noch Frankreich auf seiner Seite gehabt. Jetzt habe sich die Bundesregierung ohne jede Not von allen Verbündeten abgesetzt. Auch Philipp Missfelder, Chef-Außenpolitiker der Union, und Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung meldeten Bedenken an. Missfelder hatte am Morgen noch versucht, die Verantwortung komplett bei Westerwelle abzuladen: Der habe entschieden, der habe dem Botschafter in New York das Stimmverhalten vorgegeben, also: „Das muss der Minister mit sich selbst ausmachen.“ Merkel konnte sich nicht anders helfen als die Diskussion mit der etwas gequälten Bemerkung zusammenzufassen, dass es doch gut sei, zu wissen, „wie die Union bei grundsätzlichen Dingen zu stehen hat“.

Dafür blieb der CDU-Chefin eine Debatte über den Atomkurs weitgehend erspart. Der Wirtschaftsflügel hat sich vor der Baden-Württemberg-Wahl ein Schweigegelübde auferlegt und sammelt seine Kampfkraft für die Zeit danach. Die Ministerpräsidenten in den Führungsgremien wollen den zweiten Gipfel mit Merkel an diesem Dienstag abwarten. Die deutet mittlerweile an, dass es bei dem dreimonatigen Moratorium für die Laufzeitverlängerung nicht nur um technische Fragen der Reaktorsicherheit gehen kann. Neu gesprochen werden müsse auch über „die Akzeptanz von Risiken“, sagte Merkel in ihrer Pressekonferenz. Vorstellbar sei, dass die gesamte Regierung dabei einen „Mechanismus findet, der uns über die Gesellschaft etwas sagt“. Was daraus dann folgen soll, blieb freilich unklar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false