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Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke (m.) und die Spitzenkandidatin der CDU, Julia Klöckner.

© dapd

Wahl-Kommentar: Tektonische Verschiebung in der Parteienlandschaft

Für die Grünen kommt es nun darauf an, wie sie an der Spitze regieren. Die FDP muss sich neu erfinden, die CDU kann zumindest ein wenig profitieren - von der Schwäche anderer. Die größten Sorgen muss sich die SPD machen.

Es ist passiert, wirklich passiert. In der Bundesrepublik wird es den ersten grünen Ministerpräsidenten geben. Nicht, dass der nicht konservativ wäre; das ist er. Nicht, dass er nicht ein Ergebnis der Ereignisse in Japan wäre; das ist er auch. Vielmehr ist es so, dass die Grünen die Gewinner des Tages und die Sieger dieser Monate sind, weil sie nachhaltig wirken. Sie haben über Jahre das Thema bewirtschaftet, Ökologie im Verbund mit Ökonomie, und damit sind sie nun auf der Höhe der Zeit. Die ökologische und soziale Marktwirtschaft ist als Topos so modern wie konservativ, so dass es sowohl zu Lasten der bisherigen Großen, der CDU und der SPD, geht.

Darin liegt die jetzt gewissermaßen endgültig kodifizierte tektonische Verschiebung in der Parteienlandschaft. Die SPD muss sich die allergrößten Sorgen machen. Ihr Potenzial wird immer schwieriger zu bestimmen. Sie scheint allmählich in ihre Bestandteile zerrieben zu werden; eine klare Verbindung zwischen den Sozialkonservativen, Sozialliberalen und Grünsozialen ist nicht auszumachen, noch ist sie so einfach herzustellen. Weil dieses Manko heute deutlich wird, kann die SPD als Partei von nichts profitieren, und sei es, dass die anderen, die Linkspartei eingeschlossen, verlieren.

Die CDU muss, anders als die SPD, nicht viele Denkschulen gewissermaßen sozialemanzipatorisch vereinigen, sondern hat das Problem, dass sie meistens nur über eine einzige Meinung verfügt – die obendrein an der Spitze gebildet wird. Diese Meinung aber wechselt inzwischen bei großen Themen zu schnell, als dass noch alle Traditionswähler erreicht würden. Nur die Über-60-Jährigen verharren bei ihr in einer Art politischer Paralyse, während andere sie wegen des mangelnden Angebots an Orientierung nicht wählen. Oder wechseln. Die CDU hat im Gegensatz zur SPD, der sie im Abschmelzen ihrer Stammwählerschaft grundsätzlich ähnelt, aber noch den Trost, dass sie von der Schwäche anderer profitieren kann, auch auf Kosten der SPD. Wo sich politische Strukturen überlebt haben, konnte die Strahlkraft einer politischen Person inhaltliche Auszehrung lange überdecken. Nicht mehr. Auch nicht mehr in Rheinland-Pfalz. In Baden-Württemberg hat das schon früher begonnen.

Bei der FDP ist es nicht übertrieben zu sagen, dass sie sich inhaltlich wie personell neu erfinden muss. Die Grünen haben sie an ihren empfindlichsten Stellen getroffen, und Besserung ist nicht direkt absehbar. Das Ökonomische ist der FDP als Domäne nicht geblieben, auch das Liberalsoziale ist verkümmert, und Bürgerrechtsliberalität wird ihnen länger schon bestritten. Die Liberalen haben bis heute den Fehler gemacht, sich nicht unverwechselbar zu machen. Dazu kommt, dass sie selbst in der Außenpolitik Angriffsflächen bieten wie noch nie, bis hin zu verheerender internationaler Kritik.

Für die Grünen kommt nach diesem historisch zu nennenden Tag alles darauf an, wie sie an der Spitze regieren. Die SPD muss, überlebensnotwendig, ein inhaltsgetriebenes und nicht populistisches Programm finden, mit dem sie sich der gefährlichen Reibung entwindet. Die Grundsatzfrage der CDU, die Antwort, welche Bandbreite sie sich im politischen Spektrum zutrauen kann, bleibt nicht nur bestehen, sondern wird eklatant. Das zumal, weil sie sich den auch gefährlichen Grünen in dem Maß weiter öffnen muss, in dem ihr die FDP als Koalitionär abhanden kommt. Alles zusammen lässt das für die kommende Zeit erhebliche Nachbeben erwarten.

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