Politik: Warten auf die Chefs
Bei der Pflegereform kommt die Koalition nicht voran – die Partner behindern sich gegenseitig
Berlin - Nächster Anlauf für die mehrfach verschobene Pflegereform? Bei dem Treffen der Koalitionsspitzen am Freitag steht, auch wenn die Chancen auf Einigung gering sind, das Dauerstreitthema mit auf der Tagesordnung. Allmählich nämlich müssen die Regierenden Nägel mit Köpfen machen. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat fest versprochen, die Reform im ersten Halbjahr 2012 in Kraft treten zu lassen. Oder das, was von den vollmundigen Absichtserklärungen dann noch übrig geblieben ist.
Ohne die Koalitionsoberen aber geht es bei der heiklen Materie offenbar nicht. Zwei Jahre Debatte haben zu nichts anderem geführt, als dass CDU, CSU und FDP in ihren pflegepolitischen Positionen weiter auseinanderliegen als beim Regierungsantritt. „Lichtjahre“ seien sie in der Koalition inzwischen voneinander entfernt, spotten die Grünen. Das „Jahr der Pflege“, ausgerufen von Bahrs Vorgänger Philipp Rösler, sei zum „Jahr des Nichtstuns“ geworden.
Tatsache ist, dass der FDP- Minister nach dem letzten Störmanöver des bayerischen Koalitionspartners auf die für September angekündigte Vorlage eigener Eckpunkte ganz verzichtet hat. Und seither auf den großen Konsens wartet. „Wenn wir was vorlegen, muss es oben abgestimmt sein“, lautet die neue Devise seines Hauses. Dazu aber fehlte es den Parteichefs in Zeiten der Euro-Krise bislang an Energie.
Zumal die eingeschlagenen Pflöcke nur mit Mühe wieder herauszukriegen sein dürften. Im Koalitionsvertrag klang alles noch recht einhellig. Man wollte die Pflegebedingungen „konsequent überprüfen und entbürokratisieren“, pflegende Angehörige unterstützen, mehr Transparenz bei den Leistungen, eine neue Definition von Pflegebedürftigkeit, die endlich auch Demenzkranke berücksichtigt. Und vor allem: eine zukunftsfeste Finanzierung. Das Umlageverfahren, so hieß es, solle durch Kapitaldeckung ergänzt werden – „verpflichtend, individualisiert und generationengerecht“.
Warum die CSU Letzteres unterschrieben hat, war schon nach wenigen Wochen nicht mehr nachvollziehbar. Von einem ergänzenden Kapitalstock als Demografiereserve wollten die Bayern ganz schnell nichts wissen. Und von einem individualisierten schon gar nicht. Auch in der CDU sind sie inzwischen bei einer „kollektiven Rücklage“ angelangt. Aber wie soll die aussehen? Natürlich von den Arbeitgebern mitfinanziert, sagen die einen um Fraktionschef Volker Kauder. Als Pauschalprämie, aufzubringen allein von den Versicherten, meinen die anderen um den Gesundheitsexperten Jens Spahn. Fünf Euro pro Nase und Monat, dazu höhere Fördersätze für Riester- Rentner. Nur die FDP beharrt weiter auf individualisierter Pflichtvorsorge – wobei ebenfalls unklar ist, was genau sie damit meint. Schließlich wird nicht jeder pflegebedürftig. Was geschieht in diesen Fällen mit dem angesammelten Kapital?
Dann das Umlagesystem. Die Sozialpolitiker der Union nennen eine Reform ohne höhere Beitragssätze Augenwischerei. Die FDP jedoch erklärt Anhebungen zum Tabu, die CSU-Spitze auch. Teile der CDU wollen sich, weil sie wissen, dass es nicht ohne mehr Geld geht, mit drei Milliarden Euro aus der Rentenversicherung bedienen. Auch Spahn schlägt einen Verschiebebahnhof vor: Die medizinische Behandlungspflege in Heimen sollten künftig die Krankenkassen übernehmen. Die CSU schließlich will die Betreuung Demenzkranker ganz auslagern und aus Steuern finanzieren lassen, zusammen mit der kommunalen Eingliederungshilfe für Behinderte. Alle aber wissen, dass ein solcher Komplettumbau Jahre dauern würde. Ein „bewusstes Störmanöver“, um alles zu hintertreiben – so interpretiert es die FDP.
Wie die widersprüchlichen Ideen zusammengehen sollen, weiß momentan keiner. Die Oppositionsfraktionen sehen die Streiterei mit Wonne. Sie empfehlen ihre Konzepte einer Pflegebürgerversicherung – und werben damit, dass es dann für alle gerechter und günstiger würde. Mit der Einbeziehung der privat Versicherten und aller Einkunftsarten sowie einer Erhöhung der Bemessungsgrenze von 3712 auf 5500 Euro ließen sich die Beiträge dauerhaft niedrig halten, rechneten am Mittwoch die Grünen vor. Damit sei man konsequenter als die SPD, die sich an Beiträge auf Mieten und Kapitaleinkünfte nicht herantraue. Von der Idee einer Demografiereserve dagegen sollten sich die Grünen verabschieden, empfahl ihr Fraktionsvize Fritz Kuhn. Eine Studie des Bremer Zentrums für Sozialpolitik habe ergeben, dass ein solcher Kapitalstock Nachhaltigkeit nur vorgaukle und die sinkende Zahl der
Beitragszahler auf Dauer nicht kompensieren könne.
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