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Politik: Was Recht ist

Islamische Verfassung und demokratische Gesellschaft – Suche nach Modellen für die Zukunft

Berlin - In der Verfassung Norwegens steht: „Die Evangelisch-Lutherische Religion soll offizielle Staatsreligion bleiben. Alle Einwohner, die ihr angehören, sind verpflichtet, ihre Kinder in dieser Religion zu erziehen. Der König soll allezeit der evangelisch-lutherischen Religion angehören, sie verteidigen und schützen.“ Keine Trennung von Staat und Kirche – heute gerne der islamischen Welt als Problem vorgehalten – sie existiert auch in Europa und ist kein Einzelfall. Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Finnland und Schweden haben ebenfalls bis heute eine offizielle Staatskirche.

Nicht nur islamische, auch westliche Rechtsordnungen haben einen religiösen Hintergrund, wie die Islamwissenschaftlerin Birgit Krawietz bei einer Tagung über „Islam und Rechtsstaat“, veranstaltet vom Zentrum Moderner Orient und von der Konrad-Adenauer-Stiftung, betonte. Verfassungen muslimischer Staaten enthalten das Bekenntnis zum Islam als Staatsreligion, viele haben auch Vorschriften zum islamischen Recht. Wie Silvia Tellenbach vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht erläuterte, kann aus Sicht der Muslime „von dem Ausgangspunkt des göttlichen Ursprungs von Recht nicht abgegangen werden“. Doch unterhalb dieses Grundprinzips differenziert sich das Bild sehr stark.

Denn der Koran enthält nur wenige unmittelbare Normen, ebenso die Sunna, die Überlieferung der Aussagen des Propheten Mohammed. Auch die Scharia regelt – entgegen landläufiger Meinung – keineswegs alle Rechtsgebiete. Das gilt für das Staatsorganisationsrecht, das Verwaltungsrecht, aber auch für weite Teile des Wirtschafts- und Strafrechts. „Hier gibt es nur allgemeine islamische Prinzipien, zum Beispiel das Prinzip der Schura, der gegenseitigen Beratung, als Grundlage für den Aufbau einer Demokratie“, betonte Tellenbach. „Alles Übrige ist den Menschen überlassen.“

Insofern ist die zentrale Herausforderung der Moderne an die Muslime, „einen Kompromiss zu finden zwischen den Idealen des Islam und den Notwendigkeiten einer demokratischen Gesellschaft“, sagte der indonesische Verfassungsrechtler Masykuri Abdillah, dessen Heimat mit 225 Millionen Muslimen die größte und am stärksten demokratisierte islamische Nation der Welt ist. Die meisten Länder haben den Islam als Staatsreligion in ihrer Verfassung verankert, viele schreiben auch vor, dass der Staatschef Muslim sein muss. Anders als in Iran, Saudi-Arabien, Pakistan oder Libyen ist jedoch die Scharia in Indonesien, aber auch in Tunesien, Algerien, Jordanien oder Malaysia nicht Bestandteil der Verfassung, obwohl dies radikale Muslime immer lautstärker fordern. Faktisch haben die meisten Länder ein Rechtswesen mit europäischen Wurzeln – ergänzt durch islamisches Familien-, Erb- und Strafrecht. Abdillah plädiert daher für einen Kompromiss „von unten“. Die Scharia, die islamische Rechtsordnung, bleibt ohne Verfassungsrang. Als Ausgleich dafür sollte der Staat neben dem islamischen Ehe- und Familienrecht weitere Gebiete wie das Wirtschaftsrecht stärker islamisch regeln.

Dagegen warnte der Rechtswissenschaftler Naseef Naeem, die Wirkung der Religionsklausel zu unterschätzen. Zwar gebe es in Verfassungen islamisch geprägter Länder „lange Listen von Grundrechten, die von denen abendländischer Verfassungen nicht zu unterscheiden sind“. Aber diese Grundrechte seien gebunden an das Postulat, der Islam sei Staatsreligion oder zumindest Hauptquelle der Gesetzgebung. In der Praxis bedeute das, dass die Regierungen mit Verweis auf den Islam „diese Grundrechte, aber auch andere Grundrechte wie Pressefreiheit und Kunstfreiheit fundamental einschränken“ – für Naeem das zentrale Dilemma und Tabu in allen Diskussionen über Islam und Rechtsstaat. „Sobald ein Grundrecht einem Glaubensgrundsatz widerspricht, entscheiden die Richter meistens zugunsten der Glaubensgrundsätze und gegen die Grundrechte des Einzelnen.“

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