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Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD).

© dpa

Wehrbeauftragter Hans-Peter Bartels: „Wir müssen uns von der Kleinstaaterei verabschieden“

Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels über die Aufstockung der Armee, Probleme mit den USA und die künftigen Herausforderungen für die Bundeswehr. Ein Interview.

Herr Bartels, ist durch den Terror und die Flüchtlingskrise das Bewusstsein gewachsen, dass Auslandseinsätze erforderlich sind?

Jedenfalls gibt es durch die Krisen um uns herum ein deutlich gewachsenes Bewusstsein dafür, dass wir militärisch stärker werden müssen. Bürgerkriege und Terror umgeben Europa ja inzwischen wie ein Ring aus Feuer.

Brauchen wir also wieder eine größere Bundeswehr?

Zunächst mal müssen die bestehenden Lücken geschlossen werden. Noch erreichen wir nicht einmal die alte Sollstärke von 170.000 Soldaten. Und auch bei der Ausstattung ist die Bundeswehr längst nicht bei 100 Prozent.

Die Ministerin hat in beiden Fällen doch schon Pläne vorgelegt.

Die Ministerin will die Bundeswehr innerhalb von sieben Jahren um 7000 Soldaten aufstocken. Das wäre ein Aufwuchs im Schneckentempo. Dabei brauchen wir die Soldaten und die Ausstattung jetzt, für die Aufgaben, die die Bundeswehr heute erfüllen muss. Das muss möglich sein!

Wenn genug Leute bereit sind, zur Bundeswehr zu gehen ...

Auf eine zu besetzende Stelle bei der Bundeswehr bewerben sich im Durchschnitt vier Interessenten. So schlecht sieht es also gar nicht aus. Allerdings gibt es extreme Mangelbereiche: Rettungskräfte, IT-Spezialisten und zum Beispiel Techniker für die Marine sind schwer zu finden. Künftig will die Bundeswehr Kooperationen mit der Wirtschaft eingehen. Das finde ich gut. Zeitsoldaten könnten so die Sicherheit bekommen, dass sie nach dem Ausscheiden aus dem Dienst mit ihrem Werdegang eine klare Perspektive in der Privatwirtschaft haben.

Läuft es bei der Ausstattung besser? Der Verteidigungsetat ist in diesem Jahr deutlich erhöht worden.

Vom in der Nato vereinbarten Ziel, mindestens zwei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, ist Deutschland noch immer weit entfernt. Um dies zu erreichen, müsste der Etat auf über 60 Milliarden Euro steigen. Die Planungen sehen einen Aufwuchs auf knapp 40 Milliarden Euro bis 2020 vor. Irgendwo dazwischen liegt wahrscheinlich die deutsche Wahrheit.

Bisher haben die USA viele Defizite ihrer Nato-Partner aufgefangen. Der künftige Präsident Donald Trump hat aber klar gemacht, dass er dazu nicht mehr bereit ist. Was bedeutet das für Europa?

Das hängt jetzt erst mal von Trumps tatsächlichem Programm ab und dann natürlich von den strategischen Überlegungen der Nato insgesamt. Die neue Nato-Planung soll wohl bis zum kommenden Sommer vorliegen. Klar dürfte sein, dass es an der Ostflanke des Bündnisses, die ja identisch mit der EU-Außengrenze ist, erhebliche Unsicherheiten gibt. Unsere Partner dort fühlen sich massiv bedroht. Die Nato muss hier Präsenz zeigen – eine rotierende Präsenz in Übereinstimmung mit dem Nato-Russland-Vertrag. Denn den Dialog mit Russland führt man heute besser aus einer Position der Stärke heraus. Deutschland wird, was die europäischen Nato-Fähigkeiten angeht, angesichts seiner Größe und seiner Wirtschaftskraft besonders gefordert sein, Stichwort Follow-on-Forces: Was steht an Nato-Verteidigung konkret hinter den Eingreifkräften der Nato-Response- Force? Eine offene Frage.

Wie lässt sich das mit den finanziellen Defiziten in Einklang bringen?

Ohne zusätzliche Mittel geht es nicht, aber wir müssen uns in Europa auch endlich von der verteidigungspolitischen Kleinstaaterei verabschieden. Die deutsch-niederländische Heeres-Zusammenarbeit hat hier vielleicht Vorbildcharakter. Das deutsche und das niederländische Heer fusionieren praktisch. Auch Tschechien, Österreich oder Frankreich haben Interesse an einer stärkeren Zusammenarbeit mit Deutschland. Und wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen, kann Polen ein Superpartner für die Bundeswehr sein. Das polnische Heer ist schon zu einem nicht unerheblichen Teil mit deutschem Material ausgerüstet.

Glauben Sie wirklich, dass Europa ausgerechnet dabei vorankommt?

Die jüngsten EU-Beschlüsse sprechen dafür. Sie beinhalten ein einstimmiges klares Bekenntnis zu einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik, also zu einer vertieften Kooperation einzelner Mitglieder auf freiwilliger Basis. Und ein gemeinsames zivil-militärisches Hauptquartier soll kommen – auch wenn es zunächst noch nicht so heißt. Ich würde das sogar als historischen Schritt bezeichnen.

Wie erklären Sie sich die Einigkeit?

Angesichts der Beunruhigungen aus den USA und auch im Angesicht des EU-Austritts Großbritanniens ist wohl allen klar, dass die europäische Verteidigungspolitik effektiver werden muss. Dabei wirkt der Brexit fast wie ein Katalysator. Großbritannien hat gerade in diesem Bereich immer auf der Bremse gestanden.

Was bedeuten diese Veränderungen konkret für die Bundeswehr? Kann sie ihre Sonderstellung als Parlamentsarmee behalten?

Eine weitere Europäisierung bedeutet natürlich auch, dass man sich nach und nach auf gemeinsame Standards einigt. Deutschland hat Gutes anzubieten. Das Prinzip Parlamentsarmee erfreut sich übrigens jetzt schon immer größerer Beliebtheit bei unseren Partnern.

Die Bundeswehr soll Teil der Gesellschaft sein. Sind also auch die populistischen Strömungen dort schon angekommen?

Jede Diskussion, die in der Gesellschaft geführt wird, wird auch in der Bundeswehr geführt. Ich sehe allerdings nicht, dass sich die Bundeswehr durch die aktuellen Debatten im Kern verändert.

Allerdings sind bei der AfD einige ehemalige Offiziere in Spitzenpositionen aktiv.

Viel mehr aktive und ehemalige Soldaten bekleiden Funktionen in anderen Parteien. Soldaten sollen sich ja ausdrücklich in der demokratischen Gesellschaft engagieren. Das geschieht.

Was ist mit Islamisten, die zur Bundeswehr gehen, um sich als Kämpfer für den „Islamischen Staat“ ausbilden zu lassen?

Solche Fälle gab es. Das Problem ist erkannt. Die Lösung lautet: Alle Soldaten müssen sich künftig schon bei der Einstellung einer Sicherheitsüberprüfung stellen – und nicht erst, wenn sie sicherheitsrelevante Positionen übernehmen.

Der Bundestag hat den Afghanistan-Einsatz verlängert. Gleichzeitig wurden erste Afghanen abgeschoben. Begründet wird dies damit, dass Deutschland militärisch und zivil viel für den Wiederaufbau des Landes getan hat. Ist das in Ordnung?

Unser Engagement dort war längst nicht so erfolgreich, wie wir es uns gewünscht hätten. Afghanistan ist kein sicheres Land. Deshalb hat die internationale Gemeinschaft auch beschlossen, sich weiter um die Stabilisierung zu bemühen, zivil und militärisch, vor allem durch Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte.

Parallel zu den Einsätzen, ist die Bundeswehr auch in der Flüchtlingshilfe aktiv. Eine zusätzliche Belastung?

Dieser Einsatz neigt sich nun dem Ende zu. Zeitweise waren bis 9000 Soldaten für die Flüchtlingshilfe abgestellt, im Dezember leisteten noch gut 500 Amtshilfe. Ende März soll dann endgültig Schluss sein. Rückblickend kann man sagen, dass alle beteiligten Institutionen gut zusammengearbeitet und Enormes geleistet haben, bei allem Hin und Her und Gerumpel, das es am Anfang gab. Artikel 35 des Grundgesetzes, der den Einsatz der Bundeswehr im Innern regelt, hat sich hier bewährt. Ein paar praktische Verbesserungen sind natürlich immer möglich.

Zum Beispiel?

Wenn ein Pionierzug Notunterkünfte aufbaut, braucht der dafür sicher keine Anweisungen eines ehrenamtlichen Helfers.

Das Gespräch führte Ulrike Scheffer.

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