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NPD-Demo in Berlin

© dpa

Neonazi-Terror: Welche Chancen hat ein NPD-Verbot?

Wegen V-Männern platzte das erste Verfahren. Nun wird ein Ausweg gesucht

Von Frank Jansen

Die jüngsten Erkenntnisse über das Ausmaß des Neonazi-Terrors haben die Debatte über ein Verbot der NPD wieder entfacht. Die Partei gilt als geistiger Nährboden für rechtsextremistische Gewalt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat nun den Eindruck erweckt, ein Verbot der NPD sei auch unter Beibehaltung von V-Leuten möglich – genau daran war aber das Verbotsverfahren im Jahr 2003 gescheitert.

Wie könnte der von Innenminister Friedrich angedeutete „Mittelweg“ aussehen?
Friedrich bleibt skeptisch, ob ein Verbotsverfahren durchsetzbar wäre. Der Minister hat auch in dem Interview, das er jetzt der „Rheinischen Post“ gab, nur gesagt, es werde geprüft, „ob es einen gangbaren Mittelweg“ gäbe. Parallel untersucht eine „Prüfgruppe“ im Kanzleramt Chancen und Risiken eines zweiten Verfahrens. Sollte der Entscheid positiv sein, könnte Friedrich sich kaum verweigern.
Ein mögliches Szenario zur Vorbereitung eines Verfahrens schildern Experten so: Die Verfassungsschutzbehörden verzichten auf alle V-Leute, die in Vorständen der NPD sitzen. Außerdem wird im Verbotsantrag nur belastendes Material verwandt, das komplett „V-Mann-frei“ ist. Das könnte allerdings, warnen Fachleute, Argumente kosten, mit denen beim Bundesverfassungsgericht die „aggressiv-kämpferische“ Haltung der NPD zu belegen wäre. Umso wichtiger erscheinen da, welche Ergebnisse die Ermittlungen im Fall der Jenaer Terrorgruppe ergeben. Verdichten sich die Hinweise auf Verbindungen zur NPD, wäre das schon ein gravierender Hinweis auf für ein aggressiv-kämpferisches Auftreten gegen die demokratische Grundordnung.
Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass alle Bundesländer einem Anlauf zu einem weiteren Verfahren zustimmen müssen. Doch zumindest Hessen ist strikt gegen ein neues Verfahren. Beim nächsten Treffen der Innenministerkonferenz im Dezember, Hessen ist der Gastgeber, „dürfte es hoch hergehen“, heißt es in Berlin.

Wie würde ein „Abziehen“ der V-Leute aus der NPD konkret aussehen?
Da die V-Leute zur rechtsextremen Szene zählen, kann man sie nicht abziehen. Der Fachbegriff beim Verfassungsschutz lautet „abschalten“. Der Nachrichtendienst, konkret der V-Mann-Führer, bricht den Kontakt zu einem Neonazi ab, der gegen Geld dem Verfassungsschutz aus den braunen Milieus berichtet hat. Es finden keine Treffen mehr statt, es wird mit dem Ex-V-Mann nicht mehr telefoniert und die Zahlung von Honoraren für Auskünfte wird eingestellt. In der Regel hält die Funkstille. Es gab allerdings Fälle, in denen V-Mann-Führer sich doch wieder an den einstigen Spitzel wandten, wenn anders keine Informationen aus einem bestimmten rechtsextremen Spektrum zu bekommen waren.
Offen bleibt, wie viele Länder bereits V-Leute aus den Führungsetagen der NPD abgeschaltet haben, um einen zweiten Anlauf für ein Verbotsverfahren zu erleichtern. Im Februar 2009 verkündete Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der Stadtstaat sowie Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein hätten bereits die V-Leute in den Vorständen der NPD abgeschaltet. In allen vier Ländern stellte damals die SPD den Chef der Innenverwaltung. Körtings Ministerkollegen reagierten jedoch verärgert. Über den Umgang mit V-Leuten sprechen Minister nur ungern, da der rechten Szene keine Information über das Ausmaß staatlicher Überwachung zukommen soll.
Ob Berlin und die weiteren drei Länder alle V-Leute aus den oberen Ebenen der NPD abgeschaltet haben, bleibt zudem unklar. Denkbar ist, dass die Verfassungsschutzbehörden NPD-Mitglieder, die auch jenseits der Partei in der gewaltbereiten Neonazi-Szene aktiv sind, heute noch als Spitzel führen.

Was bewirken V-Leute, sind sie verzichtbar?
Wann und wo die Behörden dank der Informationen von V-Leuten Gefahren für die innere Sicherheit abwenden konnten, bleibt der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Hält der Verfassungsschutz solche Vorgänge nicht geheim, wäre die Enttarnung von V-Leuten zu befürchten. Ein Fall ist dem Tagesspiegel jedoch bekannt geworden. Es waren V–Leute, die dem Verfassungsschutz den Hinweis auf zwei Aachener Neonazis gaben, die am 1. Mai 2010 mit Sprengsätzen nach Berlin gefahren waren, um einen Anschlag zu verüben. Die Täter flüchteten und konnten im September 2010 dank der Tipps der V-Leute festgenommen werden.
Ein kompletter Verzicht auf V-Leute würde die Sicherheitsbehörden von einem Großteil interner Informationen aus extremistischen und terroristischen Szenen abschneiden. Es blieben die personalaufwändige Observation einzelner Personen und die technische Überwachung, zum Beispiel durch den Mitschnitt von Telefonaten. Solche Methoden können nur fallweise angewandt werden. Ein permanenter Informationsfluss aus einem Milieu von Politfanatikern heraus ist ohne V-Leute kaum möglich. Eine denkbare Alternative, das Einschleusen von Undercover-Agenten, ist ebenfalls heikel.

Könnte ein NPD-Verbot noch von einem europäischen Gericht gekippt werden? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich mehrmals mit dem Verbot einer Partei befasst. Meist ging es um die Türkei. Im Jahr 1998 urteilten die Richter, das sieben Jahre zuvor ausgesprochene Verbot der Vereinigten Kommunistischen Partei der Türkei sei ein Verstoß gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Versammlungsfreiheit. Auch in anderen Fällen war der Gerichtshof anderer Meinung. Bestätigt wurde hingegen das Verbot einer baskischen Partei, die mit der ETA liiert war.

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