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Angeklagt. Ex-Innenminister Adly muss sich wegen der Schüsse verantworten. Foto: dpa

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Politik: Wer den Schießbefehl gab

Ägyptens Ex-Innenminister Adly droht die Todesstrafe – und Mubarak?

Abdullah al Fakharany war bei den Protesten vom ersten Tag an mit dabei. „Vor dem Parlament sank mein Freund plötzlich neben mir tot zu Boden“, sagt er und noch einmal packt ihn das Entsetzen von damals. Ein Schuss hatte den jungen Mann direkt in die Stirn getroffen. „Wir gerieten in Panik, für einen Augenblick sah ich einen grünen Laserpunkt auf meiner Brust. Wir waren damals völlig ahnungslos und wussten nicht, was das bedeutete“, erinnert sich der 21-jährige Medizinstudent heute, der unverletzt davonkam. Wie sein Freund sind während des 18-tägigen Volksaufstandes am Nil mehr als 800 Menschen gestorben, die meisten durch Kugeln in Kopf oder Brust, wie der offizielle Untersuchungsbericht über die Polizeigewalt ermittelte. Scharfschützen der ägyptischen Antiterroreinheit saßen auf dem Dach des Innenministeriums sowie auf Hochhäusern rund um den Tahrir-Platz. Wen sie mit ihren Laserpunkten anvisierten, war oft Sekunden später schwer verletzt oder tot.

Wer aber gab den Befehl dazu? War es der berüchtigte Innenminister Habib al Adly oder kam die Anordnung von ganz oben, vom Präsidenten Hosni Mubarak selbst? Die volle Wahrheit wird die ägyptische Öffentlichkeit möglicherweise bald erfahren. Am Samstag müssen sich Adly und sechs Polizeigeneräle wegen des Schießbefehls vor dem Kairoer Strafgericht verantworten. Der Prozess war von dem Korruptionsverfahren gegen Adly abgetrennt worden, um den Verteidigern mehr Zeit zur Vorbereitung zu geben. Auch wollte Richter Adel Gomaa wegen der Angehörigen in einen größeren Gerichtssaal umziehen. Anfang Mai war der frühere Innenminister, der seit 1997 Mubaraks Unterdrückungssystem aus geheimen Gefängnissen, Folterkellern und Polizeischlägern dirigierte, bereits wegen Selbstbereicherung zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Wird er nun auch beim Schießbefehl schuldig gesprochen, droht ihm die Todesstrafe.

Dann aber könnte es auch für Adlys ehemaligen Chef eng werden. Sollte der Ex-Innenminister aussagen, er habe auf Anweisung des gestürzten Präsidenten gehandelt, droht auch diesem der Strang. „Selbstverständlich kann das die Todesstrafe bedeuten, sollte Mubarak für den Tod der Demonstranten verurteilt werden“, sagte Justizminister Mohamed al Guindi. Der Oberste Militärrat lehnte ausdrücklich eine Vorab-Amnestie für seinen früheren Luftwaffen-Kameraden ab. Man werde „in keiner Weise in Rechtsfragen intervenieren und schon gar nicht, wenn es darum geht, Symbolfiguren des früheren Regimes zur Verantwortung zu ziehen“, hieß es in der Erklärung.

Der gerade neu ernannte oberste Gerichtsmediziner Ägyptens jedenfalls hält – anders als sein regimetreuer Vorgänger – Mubarak im Prinzip für verhandlungsfähig. Im Kairoer Tora-Gefängnis, wo die beiden Söhne Alaa und Gamal sitzen, lässt er eine Haftzelle mit provisorischer Sanitätsstation vorbereiten. Chefankläger Abdel Meguid Mahmud beorderte ein Kardiologen-Team nach Sharm el Sheikh, das den 83-Jährigen erneut untersuchen soll.

Mubaraks ehemalige Untertanen aber sind gespalten. Die einen wollen Gnade vor Recht ergehen lassen und hoffen, dass der schwer kranke Ex-Diktator stirbt, bevor er auf der Anklagebank landet. Gerade die Älteren halten ihm seine Verdienste als Luftwaffenchef im Oktoberkrieg 1973 zugute. Sie wollen den Kriegshelden nicht hängen sehen. Die anderen aber sind getrieben „von einem Geist der Rache“, beklagte die liberale Zeitung „Al-Masri Al-Yom“ und forderte, das Volk sollte jetzt besser nach vorne schauen und sich auf die wirtschaftlichen Herausforderungen konzentrieren.

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