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In den Augen von US-Präsident Trump tragen die europäischen Nato-Staaten zu wenig zum gemeinsamen Verteidigungsbündnis bei. 

© TSP

Westliches Verteidigungsbündnis: Steht die Nato vor dem Aus?

Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist eine Herausforderung für die Nato. Jetzt treffen sich die Verteidigungsminister. Ist die Allianz überholt?

Vor dem Mauerfall war der Sinn der Nato für die Berliner und, genereller, für Westdeutsche und Westeuropäer klar: „die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten“, wie das ein Bonmot ausdrückte. Gefahr für die freiheitliche Lebensart ging von der Sowjetunion aus. Europas Bündnis mit den technisch und ökonomisch überlegenen USA schreckte den Warschauer Pakt ab. Die Deutschen waren in die jeweiligen Militärbündnisse in Ost und West integriert. Das galt als Garantie, dass sie nicht abermals Ambitionen entwickeln, ihre Nachbarn durch Eroberungskriege zu unterjochen.

Was ist dran an Trumps Nato-Kritik?

2017 ist vieles anders. US-Präsident Donald Trump nennt die Nato „obsolet“ – was freilich nicht bedeutet, dass sie „überflüssig“ sei, sondern in ihrer aktuellen Form überholt und reformbedürftig. Er moniert, dass die meisten der mittlerweile 28 Mitglieder viel weniger für die Verteidigung ausgeben und zur Bündnisstärke beitragen als die vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Und dass die Nato sich zu wenig auf die aktuellen Bedrohungen ausrichte, die nach Trumps Meinung in erster Linie vom islamistischen Terror ausgehen. Die zwei Prozent erreichen oder überschreiten tatsächlich nur fünf Staaten: die USA (3,6), Griechenland (2,81), Großbritannien (2,21), Estland (2,61) und Polen (2,0). Deutschland liegt im Mittelfeld mit 1,19 Prozent des BIP für Verteidigung. Schlusslicht ist Luxemburg (0,44).

Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel berät der Amerikaner James Mattis mit seinen europäischen Kollegen. Als Ex-General kennt er die Allianz und neben ihren Schwächen auch ihre Vorteile für die USA.

Wie haben die Nato-Staaten reagiert?

Beim Treffen der 28 Verteidigungsminister werden keine neuen Beschlüsse über Ausgaben erwartet. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kann Zahlen liefern, die Trump entgegenkommen. Bereits vor dessen Wahl haben die europäischen Mitglieder und Kanada ihre Verteidigungsausgaben um insgesamt gut zehn Milliarden Dollar gegenüber dem Vorjahr erhöht, eine Steigerung um 3,8 Prozent. „Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagt Stoltenberg, „wir müssen aber noch mehr tun.“ 2014 hatten die Nato-Länder ihr Versprechen bekräftigt, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Das Ziel soll binnen zehn Jahren erreicht werden.

Auch bei der Münchener Sicherheitskonferenz von Freitag bis Sonntag wird die Zukunft der Nato Thema sein. Vizepräsident Mike Pence und Verteidigungsminister Mattis werden Trumps politische Ziele erläutern. Es ist ein erstes Kennenlernen. Am Ende wird auch bei der Nato nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wurde.

Wie hat sich die Nato verändert?

Nach der Auflösung des Warschauer Pakts kam mehrfach die Frage auf, ob die Nato noch nötig sei. Viele Mitglieder gönnten sich eine „Friedensdividende“ und reduzierten ihre Verteidigungsausgaben kräftig. Dann folgten jedoch traurige Beweise, dass der ewige Friede keineswegs angebrochen sei. Auf die Balkankriege in den 1990er Jahren fanden die Europäer keine effektive Antwort, bis die USA mit ihrer Militärmacht eingriffen. 2001 folgte der Terrorangriff auf Amerika. Zum ersten Mal in der Geschichte der Allianz wurde der Bündnisfall beschlossen. Es war eine politische Solidaritätserklärung. Militärisch hätten die USA die Intervention gegen Al Qaida in Afghanistan auch allein stemmen können. Europa beteiligte sich aber an diesem Krieg gegen das Terrornetzwerk und der anschließenden Besetzung zum Wiederaufbau.

In den Jahren nach 1989 interpretierte die Nato ihre Aufgabe neu und veränderte sich. Sie löste sich von der reinen Verteidigung des Bündnisgebietes und operierte „out of area“. Sie nahm neue Mitglieder auf, damit die Staaten zwischen dem alten Allianzgebiet und Russland, dem Haupterben des aufgelösten Sowjetimperiums, nicht erneut zu einem „Zwischeneuropa“ werden, das die Begehrlichkeiten stärkerer Nachbarn weckt. Ostmitteleuropa wurde zu einer Zone der Stabilität und prosperierte vom Baltikum über Polen, Tschechien, die Slowakei Ungarn und Slowenien bis Kroatien.

Weniger erfolgreich waren die parallelen Erweiterungen von Nato und EU um Bulgarien und Rumänien. Instabil blieben auch Nato-Neumitglied Albanien, Kandidatenland Montenegro sowie die Bewerberländer Bosnien, Mazedonien und Georgien.

Wie ist das Verhältnis zu Russland?

Die Stabilisierung des Raums zwischen der Nato und Russland betrachteten Wladimir Putins Vorgänger in Moskau als ein Interesse Moskaus. In der ökonomischen Krise nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion war Russland nicht fähig, dazu beizutragen und Verantwortung für eine gemeinsame Sicherheit zu übernehmen. Die Nato erklärte Russland zu ihrem strategischen Partner, richtete einen Nato-Russland-Rat ein und gab russischen Militärs Büroräume im Nato- Hauptquartier.

Putin scheint das anders zu sehen. Er nimmt die Stabilisierung dieser Räume durch westliche Organisationen nicht als Sicherheitsgewinn wahr, wie Boris Jelzin das noch tat, sondern als Verlust von Einflussmöglichkeiten für Russland. In mehreren Ländern hat er in die Innenpolitik eingegriffen, um eine Westorientierung zu verhindern, oder sogar militärisch interveniert wie in Moldawien, Georgien, der Ukraine und Armenien.

Braucht Europa die Nato noch?

Ohne den Schutzschirm der Nato und ihre Abschreckungswirkung auf potenzielle Angreifer würde sich die Sicherheitslage in Mitteleuropa dramatisch verändern. Die baltischen Staaten, Polen oder Ungarn wären nicht in der Lage, sich mit ihren nationalen Armeen gegen einen russischen Angriff zu verteidigen. Auch die Bundeswehr würde das in der heutigen Form nicht schaffen. Die deutsche Wirtschaftskraft ist freilich drei Mal so groß wie die russische. Im Extremfall könnte Deutschland sich ein Militär leisten, das dem russischen ebenbürtig oder sogar überlegen ist. Das wäre allerdings um ein Vielfaches teurer als die heutigen Verteidigungsausgaben. Die kollektive Verteidigung in der Nato bringt nicht nur mehr Sicherheit. Sie spart auch Geld. Alle Nato-Staaten zusammen sind Russland nach der Wirtschaftskraft mehr als das 25-Fache überlegen. Im Grunde glaubt kein Militärexperte, dass Putin es wagen würde, sich mit der Nato anzulegen. Dieses Kalkül gilt freilich unter der Bedingung, dass die Allianz ihre Bündnisgarantie glaubwürdig macht: Bei einem Angriff auf ein Mitglied würde die Nato dieses Land mit ihrer geballten Kraft verteidigen.

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