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Militante Rechtsextremisten: Wie kommen die Neonazis an die Waffen?

Militante Neonazis sind wie tickende Zeitbomben. Zwar sollten sie laut Waffengesetz gar keine Waffenerlaubnis bekommen. Doch die Realität sieht anders aus.

Mit der Verschärfung des Waffengesetzes wurde 2003 ausdrücklich Rechtsextremisten der legale Zugang zu Waffen verwehrt. Um als „unzuverlässig“ eingestuft und vom Waffenbesitz ausgeschlossen zu werden, bedarf es nicht einmal der Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation. Es reicht bereits aus, als Einzelperson Bestrebungen gegen die demokratische Grundordnung unternommen zu haben. Doch nach Recherchen des Tagesspiegels sind mehrere Hundert Rechtsextremisten in Deutschland im Besitz von waffenrechtlichen Erlaubnissen, die diese Personen überhaupt nicht haben dürften.

In Sachsen enthüllte eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (Linke), dass allein in dem Bundesland, in dem die Terrorzelle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zuletzt untergeschlüpft war, 38 Rechtsextreme mehr als 150 Schusswaffen besitzen. Völlig legal erhielten sie 51 Pistolen und 105 Langwaffen. Aus der Antwort des Innenministeriums geht ebenfalls hervor, dass in lediglich zwölf Fällen die zuständigen Waffenrechtsbehörden vom Landesamt für Verfassungsschutz über einen rechtsextremen Hintergrund der jeweiligen Person informiert wurden. Das Ministerium verwies darauf, dass es keine rechtliche Handhabe gebe, da eine bloße Mitgliedschaft in als verfassungsfeindlich eingestuften Vereinigungen nicht ausreiche, die Erlaubnisse zu versagen. Dabei stellt Paragraf 5 des Waffengesetzes genau das Gegenteil eindeutig fest: „Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen in der Regel Personen nicht (….), die … einzeln oder als Mitglied einer Vereinigung Bestrebungen verfolgen oder unterstützen (…), die gegen die verfassungsmäßige Ordnung (…) gerichtet sind.“ Diese Sichtweise teilt auch ein Sachbearbeiter einer Waffenrechtsbehörde in Norddeutschland, der nicht namentlich genannt sein möchte: „Es ist völlig klar, dass wir Rechtsextremisten keine Erlaubnisse erteilen, das verbietet das Gesetz sogar ausdrücklich.“

In Leipzig enthüllten vor wenigen Wochen gehackte E-Mails, dass führende Kader der NPD über Waffenbesitzkarten verfügen und damit an Kurz- und Langwaffen gelangten. Die Rechtsextremen verwiesen in diesen Mails ausdrücklich auf Hilfestellungen durch den Reservistenverband der Bundeswehr. Seltsam ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Fehleinschätzung über rechtsextreme Bestrebungen: So wurde etwa Helmut H. erst 2010 wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 1200 Euro verurteilt. Dies kann der Behörde in Leipzig bei der Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nicht entgangen sein. Vielmehr hat es den Anschein, als sei die Erteilung der Erlaubnisse behördlich erwünscht gewesen.

Ganz ähnlich der Fall von Lörrach: Thomas B. war über Jahre hinweg Mitorganisator von Demonstrationen und zentrale Figur der „Freien Kräfte Lörrach“. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen eines Verdachts der Vorbereitung von Terroranschlägen gegen ihn. Bei einer Hausdurchsuchung 2009 wurden schließlich mehrere Chemikalien für Sprengstoffe gefunden, ferngesteuerte Zünder und Bombenbauanleitungen. Sichergestellt wurde auch eine Pistole Walther P22, die B. völlig legal als Sportschütze besessen hatte.

Weiter auf der nächsten Seite: Wehrsportübungen in Niedersachsen, Schießtraining im Schützenverein

Im niedersächsischen Unsen veranstalteten noch 2009 ehemalige Neonazis der militanten und im Jahr 2000 verbotenen Organisation „Blood & Honour“ hochprofessionelle Wehrsportübungen für Gesinnungsgenossen in einem früheren Tanklager der Bundeswehr. Nur wenige Hundert Meter entfernt von diesem Ort ist ein Schießstand, der auch von der „SLG Hameln“ genutzt wird. Und im Gästebuch der SLG schrieb am 20. Juni 2006 der als militanter Neonazi und NPD-Funktionär einschlägig bekannte Thorsten Heise: „Diese Seite ist super klasse! Hier findet man immer die neuesten Ergebnisse und Termine.“ Laut Webseite des als rechtsextrem eingeschätzten WB-Versandes haben Rechtsextremisten am 10. August 2006 mit eben solchen Waffen geschossen, die laut Sportordnung des „Bundes Deutscher Militär- und Polizeischützen“ (BDMP) auch in der SLG Hameln benutzt werden.

Auch über einen Schützenverein in Düren versuchten die Extremisten aus dem Umfeld von „Blood & Honour“, sich zu bewaffnen. Ein Vereinskamerad sagt: „Wir wollten die hier nicht haben, die waren gar nicht auf den Sport und das Vereinsleben aus, die wollten im Grunde nur professionelles Töten lernen. Als wir merkten, mit wem wir es zu tun hatten, verwiesen wir sie des Geländes.“ Vorher jedoch konnten die Neonazis mehrere Male am Schießtraining teilnehmen. Dabei ist nicht nur das Üben an der Waffe ein Risiko – nach einem Jahr Teilnahme am Schießen wird man als Sportschütze anerkannt und kann so Erlaubnisse nach dem Waffengesetz für eigene Pistolen und Gewehre beantragen.

Für den Präsidenten des BMDP, Dieter Gräfrath, ist das ein Skandal: „Wir wurden als Schießsportverband bisher in nicht einem einzigen Fall von Verfassungsschutzbehörden angesprochen und bei potenziell gefährlichen Mitgliedern oder Gästen gewarnt. Im Grunde fördern hier die Nachrichtendienste indirekt die Bewaffnung der militanten Szene unter Missbrauch der Schützenvereine.“

Dass dies den zuständigen Verfassungsschutzbehörden entgangen sein kann, erscheint ausgeschlossen. Waffenbesitzer erhalten bereits seit mehreren Jahren im Melderegister eine Kennzeichnung mit dem Kürzel „W“ . Und auf das Nationale Waffenregister, also die zentrale Datei aller in Umlauf befindlichen Waffen, können die Verfassungsschutzbehörden ausdrücklich zugreifen. Sie können also noch weitergehende Datensätze abfragen und erhalten per Knopfdruck Detailinformationen zum Waffenbesitz. Trotzdem waren bisher Interventionen der Verfassungsschützer überaus selten, genauso wie Informationen an die Politik. Waffenbesitz von Neonazis taucht in den Verfassungsschutzberichten bisher so gut wie gar nicht auf. Jahrelang wurde die Waffenbeschaffung der Extremisten auf legalem Wege also in Kauf genommen, in einigen Fällen hat es gar den Anschein, als sei die Bewaffnung der Rechtsextremisten von den Geheimdiensten ausdrücklich gebilligt worden. Dass dies keine bloße Vermutung ist, zeigt das Beispiel Nordrhein-Westfalen: Vor knapp 15 Jahren hatte das dortige Landesamt für Verfassungsschutz Mitarbeiter in die Schützenvereine entsandt, um dort nach waffenbegeisterten Rechtsextremisten zu suchen. Die Problematik war den Sicherheitsbehörden also durchaus seit langem bekannt. Dennoch wurde die gesetzlich vorgeschriebene Informierung der Waffenrechtsbehörden unterlassen.

Ein Mitarbeiter einer Verfassungsschutzbehörde, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte auf Anfrage dieser Zeitung, aus grundsätzlichen Erwägungen gebe der Verfassungsschutz zur Bewaffnung Rechtsradikaler in solchen Einzelfällen keine Auskunft.

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