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Berlins Autobahn A 100: Wie Rot-Grün mit der Stadtautobahn weitermacht

Im Wahlkampf positionierten sich SPD und Grüne in der Frage um den Ausbau der A 100 gegeneinander. Jetzt streben sie ein Bündnis an. Worauf haben sie sich geeinigt – und was ist noch offen?

Von
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

SPD und Grüne in Berlin sind sich sicher – ihre Wähler wollen eine rot-grüne Regierung. Am Montag beschlossen die Landesvorstände der Parteien, dass Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen. Doch so sehr beide Parteien ihre Übereinstimmungen betonen, es bleiben erhebliche Probleme. Das größte: der Ausbau der Stadtautobahn A 100.

Wie war die Position der Grünen?

Die Position der Grünen war immer klar: Sie lehnen den Weiterbau des 3,2 Kilometer langen und 420 Millionen Euro teuren Teilstücks der Stadtautobahn A 100 bis zum Treptower Park strikt ab. Das Nein zur A 100 spiegelte sich auch im Wahlprogramm wider. Der Weiterbau der A 100 würde zu mehr Verkehr in der Innenstadt führen, ein Verkehrschaos an der Elsenbrücke wäre programmiert. Man werde „alle rechtlichen und politischen Mittel dafür einsetzen“, den Weiterbau der A 100 zu verhindern und den Planungsfeststellungsbeschluss aufzuheben. Die Bundesmittel in Höhe von 420 Millionen Euro wollen die Grünen für Lärmschutz an den bestehenden Autobahnen und an der Dresdner Bahn verwenden. Drei Tage vor der Wahl unterstrich der Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann, dass die Grünen keinen Koalitionsvertrag unterzeichnen werden, der den Weiterbau der A 100 zum Inhalt hat. Auch Ex-Spitzenkandidatin Renate Künast sagte, dass der Stopp der A 100 essenziell bei Koalitionsverhandlungen sei.

Was wollte die SPD?

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat die Verlängerung der Stadtautobahn von Anfang an befürwortet und vorangetrieben, soweit dies gegen den Widerstand des bisherigen Koalitionspartners, der Linken, möglich war. Im Zusammenspiel mit der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) wurde noch vor der Abgeordnetenhauswahl ein Planfeststellungsbeschluss gefasst, um gültiges Baurecht herzustellen. Zeitweilig agierte Wowereit gegen die eigene SPD. Ein Parteitagsbeschluss gegen die A 100 wurde erst im Juni 2010 durch ein gegenteiliges Votum knapp korrigiert. Hätten sich die Delegierten damals erneut gegen das Verkehrsprojekt ausgesprochen, wären Wowereit und der SPD-Landeschef Michael Müller zurückgetreten.

Wie ist der Sachstand beim Ausbau der Stadtautobahn?

Die A 100 ist Teil des Bundesverkehrswegeplans und laut diesem ein „Projekt des vordringlichen Bedarfs“. Der Plan wurde 2003 vom Bundestag beschlossen. Der einstige schwarz-rote Senat hatte den Bedarf angemeldet und die entsprechenden Trassen der Stadt frei gehalten, um den inneren Autobahnring eines Tages schließen zu können. Zum Projekt gehört ein sogenannter Vorratsbau am Ostkreuz, für den der Hauptausschuss im vergangenen Jahr 1,7 Millionen Euro bewilligt hatte. Unter dem Ostkreuz sollte von 2012 an parallel zu diesen Arbeiten eine unterirdische Baustellensicherung für die künftige Autobahn entstehen. Im Januar hatte die Stadtentwicklungsverwaltung den Planfeststellungsbeschluss für den Weiterbau der A 100 erlassen. Das Genehmigungsverfahren hatte schon im Frühjahr 2009 begonnen: Kleingärtner mussten bereits Parzellen räumen. Sie wurden mit rund 1,6 Millionen Euro entschädigt. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und andere haben Ende Februar beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen den Ausbau der Stadtautobahn eingereicht. Im April untersagte das Bundesverwaltungsgericht im Eilverfahren den sofortigen Baubeginn, die Autobahngegner haben daraufhin die Klage für das Hauptverfahren eingereicht. Vor 2012 war mit Baubeginn also ohnehin nicht zu rechnen.

Lesen Sie auf Seite 2, wie der rot-grüne Kompromiss aussieht.

Wie lautet der Kompromiss?

„Das Projekt A 100 wird nicht grundsätzlich aufgegeben“, steht in der Vorlage für den grünen Parteitag am Freitag. Und weiter: „Die Koalition setzt sich aber aktiv und ernsthaft dafür ein, dass die Umwidmung der Bundesmittel ermöglicht wird. Der Bau erfolgt nicht, wenn die investiven Bundesmittel in Infrastrukturmaßnahmen in Berlin umgewidmet werden können.“ Wenn sich der Bund weigert, die 420 Millionen Euro für Erhaltungsmaßnahmen umzuwidmen, „steht die Koalition zum Weiterbau der A 100“, heißt es im Beschluss des SPD-Landesvorstands. Die Verhandlungen mit dem Bund würden nach der Senatsbildung zügig beginnen, sagte Wowereit. „Wir wollen schnell Klarheit.“ Er ist skeptisch, dass der Bund die Gelder aus dem Verkehrswegeplan für andere Zwecke zur Verfügung stellt. Dagegen sagte der Grünen-Parteichef Daniel Wesener, die Umwidmung „wird klappen“. Es sei ohnehin unklar, ob das Geld, das derzeit nicht im Bundeshaushalt eingestellt sei, dann überhaupt vorhanden sei. Die Grünen setzen auf Zeit, die SPD will schnelle Entscheidungen.

Nach Aussage des Bundesverkehrsministeriums muss eine Entscheidung aber auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode fallen, da der Bundesverkehrswegeplan spätestens 2015 neu gefasst wird. Im derzeit gültigen von 2003 steht die A-100-Verlängerung zwar drin, in den neuen Plan wird sie allerdings nicht aufgenommen, wenn sie nicht angemeldet wird.

Ist die Diskussion um die A 100 mit Stuttgart 21 vergleichbar?

Nein, es sind unterschiedliche Sachverhalte. Bei S 21 oder dem Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg waren die Planungen schon weit fortgeschritten. Rechtlich ist bei der A 100 in Berlin noch alles offen. Eine Volksbefragung wie in Baden–Württemberg ist in der Berliner Verfassung nicht vorgesehen. Ein normales Volksbegehren dagegen wäre möglich. Allerdings handelt es sich bei der Autobahn nicht um ein Gesetz, das durch einen Volksentscheid verbindlich werden würde. Eine bindende Wirkung hätte ein Plebiszit nur, wenn sich die künftigen Regierungsparteien im Koalitionsvertrag darauf verständigen würden, sich an das Ergebnis eines Volksentscheids zu halten. Die Grünen waren noch im Herbst 2010 gegen eineVolksbefragung, mit dem Argument, sie komme „zu spät“. Damit meinten sie das Baurecht. Aber durch die später eingereichte Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht steht der Baubeginn wieder in den Sternen.

Welche weiteren Konfliktpunkte gibt es?

Konflikte gab es neben der A 100 auch bei anderen Infrastrukturprojekten. Dazu zählt die S-Bahn. Die Grünen wollen Teile des Streckennetzes ausschreiben und einen landeseigenen Fuhrpark aufbauen. Die SPD wiederum will die S-Bahn aus dem Deutsche-Bahn-Konzern herauslösen und sie in Landesregie übernehmen. Beim Thema Klimaschutz wollen die Grünen ein Klimaschutzgesetz und ein Klimastadtwerk errichten, das aus kleinen Energieerzeugern besteht und schrittweise mit einem Kapital von 500 Millionen Euro ausgestattet wird. Darüber wollen SPD und Grüne in den Koalitionsverhandlungen konkret sprechen.

Wie ist der weitere Fahrplan?

Noch am späten Montagabend wollte der Landesvorstand der Grünen die Kreisvorstände über das Ergebnis der Sondierungsgespräche mit der SPD unterrichten. Die Grünen werden am Freitagabend zu einer Landesdelegiertenkonferenz einladen, die voraussichtlich die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beschließen und eine Verhandlungskommission wählen wird. Wenn die Grünen den Weg für ein Bündnis mit der SPD freimachen, werden nach dem 3. Oktober die Verhandlungskommissionen beider Parteien zusammenkommen. Der SPD-Landeschef Michael Müller rechnet damit, dass die Koalition spätestens Anfang November steht.

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