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Schweigender Protest. Abgeordnete der europäischen Grünen-Fraktion bei der Debatte am Mittwoch in Straßburg. Foto: dpa

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Viktor Orban zum Mediengesetz: "Wir brauchen keine Lektionen"

Wie Ungarns Regierungschef Viktor Orban sein umstrittenes Mediengesetz vor dem Europaparlament verteidigt.

Für Kinga Göncz ist es auch eine persönliche Sache. Der Vater der sozialdemokratischen Europaabgeordneten saß lange im Gefängnis für seine Überzeugung, ehe er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erster Präsident des neuen demokratischen Ungarn wurde. Da schmerzt es die Tochter, die zwischen 2006 und 2009 Außenministerin ihres Landes war, besonders, in welche Richtung sich die Politik in Budapest entwickelt. „Es ist gerade nicht einfach, Ungarin zu sein“, sagt die 63-Jährige, denn das umstrittene Mediengesetz sei ja „nur die Spitze des Eisbergs“.

In der zehnten Reihe sitzt sie nun, während vorne der Ministerpräsident ihres Landes, Viktor Orban, spricht. Der nimmt für sich ebenfalls in Anspruch, ein Freiheitskämpfer zu sein. Das ist er Anfang der neunziger Jahre auch zweifellos gewesen, als sein Land sich der Moskauer Herrschaft entledigte. Seine historischen Vergleiche gehen aber weiter zurück – ins Jahr 1956, als „wir als Erste im Kampf gegen den sowjetischen Imperialismus zu den Waffen griffen“. Er, Orban, und auch das ungarische Volk brauche daher „keine Lektionen in Demokratie“.

Nicht nur die Grünen sehen das an diesem Tag anders. Als Orban das Wort ergreift, steht ihre Fraktion geschlossen auf. Die Abgeordneten halten fast leere Tageszeitungsseiten in die Höhe, auf denen nur das Wort „zensiert“ prangt. Ihre Münder haben sie sich mit Klebestreifen verschlossen. Es folgt zuerst die Ermahnung des polnischen Parlamentspräsidenten Jerzy Buzek, die Aktion zu beenden. Und dann wahrscheinlich eine der politischsten Debatten, die die Volksvertretung der EU je gesehen hat.

Die Fraktion der Europäischen Volkspartei, der Orbans Fidesz inzwischen angehört, klatscht frenetisch, während links von ihnen während der Rede eisig geschwiegen wird. Die Christdemokraten sind zufrieden damit, dass ihr ungarischer Parteifreund klarer als zuvor zusagt, das Mediengesetz zu ändern, wenn die Prüfung der EU-Kommission ergeben sollte, dass es gegen europäisches Recht verstößt. Noch diese Woche wird ein Brief aus Brüssel in Budapest mit weiteren Fragen zum umstrittenen Gesetz erwartet. Kommissionschef José Manuel Barroso lässt Orban in der Debatte aber auch wissen, dass jenseits juristischer Fragen „auch der politische Aspekt erwogen werden“ müsse. Wie glaubwürdig ist Europa, wenn es nun in Weißrussland, Tunesien oder China Meinungsfreiheit einfordert, fragen später mehrere Abgeordnete. Deswegen soll das Mediengesetz wahlweise zurückgenommen oder wenigstens bis zur Prüfung durch die EU-Kommission außer Kraft gesetzt werden. Statt auf Brüssel zu warten lieber von sich aus das Gesetz zu ändern, ist ihm auch am Vorabend von deutschen CDU-Abgeordneten geraten worden, wie Teilnehmer der Fraktionssitzung berichten. Doch diese Meinung bleibt hinter verschlossenen Türen. Wohl auch, weil der starke Mann aus Budapest mit seiner Zwei-Drittel-Mehrheit eine Menge Bewunderer bei den Konservativen hat. Öffentlich erfährt er sie allerdings nur vom EU-Gegner Nigel Farage: „Kämpfen Sie weiter gegen die Kommunisten – und zwar diesmal gegen die in Brüssel.“

Orbans Argumentation, wonach doch zwischen der EU-Präsidentschaft seines Landes und dessen Innenpolitik unterschieden werden solle, lässt vor allem die linke Seite des Plenums nicht gelten. Dies sei nicht nur „eine europapolitische Angelegenheit“, kontert Martin Schulz, der deutsche Fraktionschef der Sozialdemokraten. Dass ein einseitig besetzter Medienrat eine vermeintlich unausgewogene Berichterstattung bestrafen dürfe, „das geht in einer Demokratie nicht“.

Aufgebracht ist am Schluss der Debatte auch Orban. Besonders der Satz des österreichischen Sozialdemokraten Jörg Leichtfried, der wissen wollte, wie man sich denn fühle, wenn man „ein Land weg von der Demokratie hin zu einer Diktatur führt“, machte den ungarischen Regierungschef wütend. „Das kann ein Journalist sagen“, sagt er hernach auf der Pressekonferenz ganz im Sinne der Pressefreiheit, „aber wenn das ein Volksvertreter eines anderen Landes sagt, muss ich mich wehren“. Die Debatte endet im allgemeinen Gebrüll.

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