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Wulff-Prozess: Der Präsident und sein Richter

Frank Rosenow wird als erster Richter über einen ehemaligen Bundespräsidenten urteilen. Im Gerichtssaal gibt sich der Vorsitzende fröhlich, fast einladend. Wie ein Zahnarzt, der dem Patienten die Angst vorm Bohrer nehmen will. Wehtun kann es trotzdem.

Der letzte, der vor Wulff drankommt, ist ein Mann aus Kasachstan. Drogenabhängig, ein Milieukrimineller. Die Anklage lautet auf räuberischen Diebstahl. Richter Frank Rosenow neigt den Kopf und sagt, „was ich meinen Angeklagten immer sage: Drohen hohe Strafen, rate ich dazu, frühzeitig ein Geständnis zu machen. Das rentiert sich.“

Seine Angeklagten. Ab Donnerstag, 14. November, wird die lange Liste des Vorsitzenden der Zweiten Großen Strafkammer am Landgericht Hannover um einen prominenten Namen reicher sein. Wulff, Christian, 54, Bundespräsident a.D. Angeklagt wegen Vorteilsannahme. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich ein früheres Staatsoberhaupt wegen einer Straftat vor Gericht verantworten müssen.

Und noch nie hatte Frank Rosenow einen solchen Prozess vor sich. Ein so bekannter Angeklagter, so viel Aufmerksamkeit. Für sein Verfahren wurde extra der große Schwurgerichtssaal reserviert, Platz für knapp 50 Zuschauer und 70 Journalisten. Wenn der Richter bisher Schlagzeilen machte, dann im Großraum Hannover. In einem Verfahren wegen versuchten Totschlags ließ er dem obdachlosen Opfer Weinbrand besorgen, damit der Süchtige eine Aussage hinbekommt.

Eine Hilfeleistung, die den Rahmen forensischer Förmlichkeit sprengte. Die Lokalpresse machte sich lustig, eine Schnapsidee, hieß es. Rosenow ließ das unbeeindruckt. Es sei keine Maßnahme seiner Verhandlungsleitung gewesen, gab er zu Protokoll. Also eine menschliche Tat, außerhalb der Gesetze, aber nicht gegen sie. Die Geschichte schadete ihm nicht; eher förderte sie seinen Ruf als einen, der Strafprozesse durch die Brille des Lebens betrachtet. Nicht, wie mancher Kollege, andersherum.

„Für Verständigungen bin ich immer offen“, sagt er halb ins Publikum, halb zum Anwalt des Kasachen. Rosenow gibt sich fröhlich, fast einladend. Wirkt, als führe er die Verhandlung eher in väterlicher Sorge als mit amtlicher Strenge. Dazu gehört auch sein Ritual, dem Angeklagten und der Öffentlichkeit sich und seine Kammer vorzustellen, „so, wie ich es immer mache: Mein Name ist Rosenow, ich bin hier heute der Vorsitzende.“ Damit ist er ein Unikat, nicht nur am Landgericht Hannover. So baut er Vertrauen auf. Wie ein Zahnarzt, der seinem Patienten die Angst vorm Bohrer nehmen will.

Wehtun kann es trotzdem. Dann sollte man es merken, bevor es zu spät ist. Nicolai P. spricht gut Deutsch, er versteht Rosenows Worte, aber nicht seine Botschaft. Der Vorsitzende will ein Geständnis, ein ehrliches, mit Einzelheiten. Nicht, weil das Gericht es braucht. Sondern weil der Angeklagte es nötig hat. P. hatte eine an der Supermarktkasse liegen gelassene Geldbörse eingesteckt. Als der Mann, dem sie gehört, hinter ihm her ist, zückt P. sein Taschenmesser, fuchtelt damit rum. In einem zweiten Fall steckt er sich beim Discounter Tabakpäckchen unters Shirt. Ein Ladendetektiv folgt ihm. P., nach einer Schlägerei am Fuß verletzt, humpelt auf Krücken davon. Als man ihn aufhält, prügelt er damit los.

Gelegenheitskriminalität, unter Alkohol zumal. Dumme Kriminalität. Aber mit Gewalt, mit Waffen. Da kennt das Gesetz kein Pardon, Mindeststrafe fünf Jahre. Um die Strafe dennoch nicht allzu hart ausfallen zu lassen, sollte ein Täter geständig sein. Wenn es so war. Bei Nicolai P. war es so, sein Anwalt vermittelt jetzt; er weiß, dass Zeugen kommen, die bestätigen werden, was in der Anklage geschrieben steht. P. erinnert sich etwas besser, begreift, was der Richter will. Ihm Gutes tun.

„Es ist wichtig, ihn richtig zu verstehen“, sagt ein Hannoveraner Strafverteidiger. Dann lässt es sich gut verhandeln bei Rosenow, dann kann es kurz und schmerzlos laufen. Der Richter sagt es selbst: Für einen „Deal“, mit dem geständige Täter das Verfahren abkürzen können, ist er immer zu haben. „Aber er kann auch anders“, sagt der Anwalt. Wer das juristische Gefecht auf dem harten Gelände der Prozessordnung will, kann es bekommen. Die meisten wollen nicht.

Wulff möchte gern als normaler Angeklagter behandelt werden. Als einer wie Nicolai P., nur unschuldig natürlich. Nur so einfach ist es nicht. Der Strafprozess gegen ihn wird das Endprodukt einer politischen Affäre sein, nicht einer verkorksten Biografie. Der Start des Ermittlungsverfahrens hat den ersten Mann im Staat um sein Amt gebracht, nun will er eine justizförmige Reinwaschung. Die Verfahrenseinstellung gegen eine Auflage von 20 000 Euro lehnte er ab. Es quält Wulff, dass an seinem Fall ein Sittenbild der politischen Klasse gezeichnet wurde.

Hinzu kommt: Die Tat, die man ihm zur Last legt, ist weniger augenfällig als ein Ladendiebstahl oder ein Gewaltdelikt. Es gibt kein Opfer, keine Beute, keine Verletzten. Es gibt nur Täter, deren äußeres Handeln legal aussieht. Einer zahlt etwas, ein Amtsträger macht seinen Job. Zum Unrecht wird es erst dadurch, dass sich beide schweigend oder ausdrücklich darüber verständigen, dass es Unrecht ist. Korruption kann sehr subjektiv sein. Und schwer zu beweisen.

TV-Größen wie Maria Furtwängler und eine „Bild“-Reporterin als Zeugen

Man darf es Christian Wulff deshalb abnehmen, wenn er sich für unschuldig hält, für ein Opfer exzessiver Verfolgung. Es ist seine Sicht der Dinge. Die andere vertritt die Staatsanwaltschaft. Von vielen Verdachtsfällen ist ein Vorwurf geblieben, ein Oktoberfestbesuch in München 2008, der Wulff jetzt gemeinsam mit seinem Freund David Groenewold auf die Anklagebank führt. Der Filmunternehmer soll für Wulff und seine Familie Hotelkosten und ein Abendessen bezahlt haben. Den Staatsanwälten zufolge wollte er diesen „motivieren, sich in seiner dienstlichen Eigenschaft als niedersächsischer Ministerpräsident gegenüber der Siemens AG für eine Unterstützung bei der Vermarktung des Films ,John Rabe’ einzusetzen“. Im Dezember schrieb Wulff – vergeblich – einen Bittbrief an den damaligen Konzernvorstand Peter Löscher. Einer, der geschmiert hat, ein anderer, der daraufhin funktioniert hat?

79 Seiten Anklage, 25 darin benannte Zeugen, sieben Aktenordner. Die Strafkammer von Richter Rosenow ließ die Anklage Ende August zu und eröffnete die Hauptverhandlung. Aber sie stutzte den Vorwurf. Statt Bestechlichkeit soll es „nur“ Vorteilsannahme sein. Bestechlich ist, wer sich für ganz bestimmte Amtshandlungen bezahlen lässt. Bei der milder bestraften Vorteilsannahme reicht es, das Geld ganz allgemein für die Dienstausübung zu kassieren. Es geht um den bloßen Anschein der Käuflichkeit, die sprichwörtliche Landschaftspflege. Die öffentliche Verwaltung soll nicht sauber sein, sondern rein. So das Ideal.

Einem solchen Anschein von Käuflichkeit wollen Rosenow und seine Beisitzer intensiver nachspüren.

Die Kammer hat jetzt sogar 46 Zeugen geladen, um sich das „gesamte Beziehungsgeflecht“ um Wulff und Groenewold herum anzuschauen. Die Prozesstermine reichen bis Mai 2014. TV-Größen wie Maria Furtwängler und eine „Bild“-Reporterin, die am Oktoberfestabend dabei waren, sollen ebenso als Zeugen aussagen wie frühere Mitarbeiter Wulffs in der niedersächsischen Staatskanzlei. Von einem „Grenzfall“ soll im Eröffnungsbeschluss die Rede sein. Einen, den das Gericht in den kommenden Monaten offenbar noch gründlicher aufklären will, als ihn die Staatsanwaltschaft ohnehin schon ermittelt hat.

Wulff, den noch jungen Altpräsidenten, kann dieser Zwischenstand nicht überrascht haben. Es scheint ein Wesensmerkmal der gleichnamigen Affäre zu sein, dass sie Kleinigkeiten an Kleinigkeiten reiht, die wachsen und wuchern; es war dann weniger deren Summe als der Blick auf einige Details, der den Politiker aus dem Amt gedrängt hat. Das Peinliche im Kleinen, das erst Größe bekam, als man genau hinsah.

Wulffs Faible für die Filmwirtschaft gehört dazu. Jeder Politiker sucht etwas, mit dem er sich profilieren kann. Für den katholischen Osnabrücker Anwalt mit dem Schwiegersohn-Image war es das Geschäft mit den Illusionen, das ihn anzog. Als Wulff Ministerpräsident war, wussten die Filmleute, dass sie in ihm einen Förderer hatten. Groß ist die Szene nicht. Man kannte sich, verband sich.

Jetzt, kurz vor dem Prozess, werden die Verflechtungen wieder Thema. Etwa die Millionen, die aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium an die Branche flossen, mit Einfluss der Staatskanzlei. Oder eine Rede des Ministerpräsidenten Wulff vor Filmschaffenden im Berliner Hotel Adlon, die nach Medienberichten David Groenewold entworfen haben soll.

Wulff ließ das umgehend dementieren; ungewöhnlich, weil er sonst zu allem schweigt, vor allem gegenüber Journalisten. Darauf legt er Wert seit seinem Rücktritt. Groenewold sagt ebenfalls nichts mehr. Er lässt ausrichten, viele Dinge würden sich aufklären im Prozess.

Bestraft werden soll, was einer Strafe würdig ist.

Manche Wahrheit wird trotzdem Ansichtssache bleiben, vielleicht auch die um die Rede. Wulff hatte sich in der Ansprache offenbar um einiges weiter für die Branche aus dem Fenster gelehnt, als es ihm die Staatskanzlei im Textblatt vorgeschlagen hatte. Der amtliche Entwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt, war eher zurückhaltend. Am fraglichen Abend jedoch forderte Wulff ausdrücklich, neue Anreize zu schaffen, um Geld in deutsche Produktionen zu lenken. Gab es doch Input vom Kumpel?

Viel Engagement, viel Nähe. Wulffs damalige Trennung von seiner früheren Frau, das neue Leben mit Gattin Bettina, den politischen Aufstieg, an allem durfte Groenewold Anteil nehmen, während er zugleich mit dem Land Niedersachsen ums Geschäft verhandelte. Ein Freund, der mal ins Portemonnaie griff, wenn der andere grad nicht flüssig war; der im Restaurant die Rechnung orderte oder dem beschäftigten Landesvater das Organisieren gemeinsamer Reisen abnahm. Ein Skandal? Ein Amtsträger ist ein Mensch wie jeder andere, der sich im privaten Leben ein Bier bezahlen lassen darf. Es ist auch nicht gleich Korruption, wenn es in Freundschaften Interessen gibt.

Klischees sind keine Beweise, und Vorurteile können – zum Glück – keine Rechtskraft erlangen. Der Pragmatismus von Frank Rosenow ist deshalb eine Chance für Christian Wulff. Der Richter wird ihm und seinen Verteidigern zuhören, auch deshalb ist die Zeugenliste so lang. Am Ende soll ein Urteil stehen, das dem Geschehen gerecht wird, so, wie es sich im (Privat-)Leben der angeklagten Männer tatsächlich ereignet hat.

Wulffs Richter war acht Jahre Beisitzer am Oberlandesgericht Celle, dann wechselte er auf die Stelle als Vorsitzender in Hannover. Es scheint, als versuche er dort einen Dauervorwurf gegen die Justiz zu entkräften: den der Weltfremdheit. Bestraft werden soll, was einer Strafe würdig ist. So hatte er am Oberlandesgericht mit seinem Senat einmal angeregt, dass ein Mini-Taschenmesser in der Hosentasche einen Ladendieb nicht gleich zum bewaffneten Täter im Sinne des Gesetzes stempelt. „Das hat der Bundesgerichtshof dann anders gesehen“, erzählt Rosenow in der Verhandlung; und lässt merken, dass er dies nach wie vor für die falsche Sicht der Dinge hält.

Auch Nicolas P. hatte ein solches Messer bei sich. Rosenow fummelt es aus einem Tütchen, klappt es auf. „Ein Schweizer Messer für Arme“, sagt er fast mitleidig. Für ihn passt es zum Bild, das die Taten des Angeklagten abgeben, die „nicht von wahnsinniger krimineller Energie getragen sind“. Womöglich war das, was Wulff und Groenewold miteinander veranstaltet haben, so etwas wie Korruption für Arme.

Geurteilt wird in Hannover wie an jedem anderen Gericht jedoch nicht über kriminelle Energie, sondern über Tat und Täter. Am Ende soll der suchtkranke Nicolai P. für fünf Jahre ins Gefängnis; sechs Monate nach Haftantritt geht es in die Entziehungsanstalt. Der Richter kniet sich seither in die Wulff-Akten, parallel laufende Prozesse wird es für ihn nicht geben. Bei allem guten Willen und dem Blick für die Verhältnisse, fest steht auch: Rosenow straft, wenn er muss.

Erschienen auf der Dritten Seite.

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