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Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) sieht die Reformen heute als Erfolg: 2012 gäbe es zwei Millionen Arbeitslose weniger als 2005, sagte er der "Bild-Zeitung". Als Kanzler sei er damals für die schmerzhaften Reformen abgestraft worden.

© dapd

Zehn Jahre Arbeitsmarktreform: Schröder: "Hartz IV ist ein Gewinn für die Gesellschaft"

Zehn Jahre nach ihrer Vorstellung bleiben die Hartz-IV-Reformen umstritten. Während die Linke vom größten Angriff auf den Sozialstaat spricht, betonen Ex-Kanzler Schröder und die jetzige Regierung Erfolge. Die SPD sieht heute auch Schattenseiten.

Es war ein pompöser Auftritt vor großer Kulisse. Vor zehn Jahren überreichte Peter Hartz im Französischen Dom in Berlin eine CD an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). „Dies ist ein guter Tag für die Arbeitslosen in Deutschland“, kündigte der VW-Manager an. Auf dem Silberling waren die Vorschläge für eine Arbeitsmarktreform gespeichert, die in die Geschichte eingehen sollte. Die spätere Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II löste eine beispiellose Protestwelle aus. Bis heute sind die Reformen umstritten.

Anlässlich des Jubiläums verteidigte Schröder das Hartz-Konzept als Gewinn für die Gesellschaft. „Wir haben zwei Millionen Arbeitslose weniger im Vergleich zu 2005, als die Reformen umgesetzt wurden“, sagte er. „Ich weiß, dass die Reformen zu Beginn schmerzhaft waren, aber wenn wir heute die Erfolge sehen, dann hat es sich für unser Land gelohnt.“ Schröder wies den Vorwurf zurück, Deutschland sei durch die Hartz-Reformen unsozialer geworden. Kein Arbeitsloser, Kranker oder Hilfebedürftiger werde zurückgelassen. „Aber es ist nicht unsozial, wenn der Staat einfordert, dass jemand, der arbeiten kann und dem Arbeit angeboten wird, diese auch annimmt“, sagte er. In der Frage des Mindestlohns schlug sich Schröder auf die Seite der Linken: Im Grundsatz müsse jeder von seiner Hände Arbeit leben können, sagte er der „Bild“-Zeitung. Deshalb sei ein Mindestlohn sinnvoll.

Zehn Jahre Hartz-IV-Reformen in Bildern:

Positiv äußerte sich auch der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering. „Insgesamt hat es sich gelohnt“, sagte er am Donnerstag im Deutschlandfunk. „Vieles ist gelungen, manches nicht.“ Die Reformen hätten zu neuen Impulsen am Arbeitsmarkt und auch zu geringeren Arbeitslosenzahlen geführt. Ein großer Erfolg sei, dass viele Sozialhilfeempfänger wieder in den Arbeitsmarkt geholt worden seien. Müntefering betonte aber auch: „Es muss noch Einiges verändert werden.“ Er nannte die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und bessere Löhne in der Leiharbeit. Das größte Problem sei zudem, dass zu viele junge Leute keine Sicherheit im Beruf hätten.

Auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wies Kritik zurück. Unterm Strich hätten sich die Veränderungen gelohnt.

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping sprach hingegen vom „größten Angriff auf den Sozialstaat und die Arbeitsrechte in der Nachkriegszeit“. Sie forderte einen Masterplan für einen Politikwechsel. „Wir wollen nach der Wahl eine Generalrevision von Hartz IV durchsetzen“, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Ohne Mindestlohn und sanktionsfreie Mindestsicherung läuft mit uns nichts.“ Kipping forderte eine neue unabhängige Expertenkommission, in der außer den Gewerkschaften auch Sozialverbände und Erwerbsloseninitiativen eine Stimme haben sollten. „Diesmal sollte nicht ein Wirtschaftsboss die Leitung bekommen, sondern eine Person, die moralische Integrität und soziales Gewissen vereint, zum Beispiel aus der Kirche“, sagte sie.

Kritisch äußerte sich auch Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes. Er sagte, die Reformen hätten den „absoluten Tiefpunkt der bundesdeutschen Sozialpolitik“ markiert.

Fotos von Hartz-IV-Designermöbeln:

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles distanzierte sich teilweise von den Reformen der damaligen rot-grünen Bundesregierung. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und geringe Löhne zählten zu den Schattenseiten. „Die SPD hat die Fehlentwicklung ehrlich angesprochen und sich korrigiert“, sagte Nahles. Jetzt müssten normale Arbeitsverhältnisse gefördert und das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchgesetzt werden.

Arbeitsmarktexperten mahnen Nachbesserungen an

Auch Arbeitsmarktexperten mahnen inzwischen Nachbesserungen an. „Es spricht einiges dafür, dass die Wirkung der Reformen ausläuft oder ausgelaufen ist“, sagte Sabine Klinger vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung dem Tagesspiegel. So sei der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit ins Stocken geraten. Die Gruppe zähle heute noch etwa eine Million Menschen. „Wir haben eine gute Entwicklung hingelegt, aber es gibt noch offene Baustellen.“

Video: Das Hartz-IV-Menü

Handwerkspräsident Otto Kentzler sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", im Zuge der Hartz-Reform sinke die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich, zugleich steige die Zahl von regulären Jobs und immer mehr Mini-Jobs würden in Vollzeitstellen umgewandelt. Er könne nicht verstehen, dass SPD und Grünen, die diese Reformen mutig durchgeführt hätten, heute häufig auf Distanz dazu gingen.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) lobte das Prinzip des Förderns und Forderns als Meilenstein auf dem Weg zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann sagte der Zeitung, durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie den Umbau der Bundesagentur für Arbeit sei es gelungen, die vor den Hartz-Reformen stetig steigende Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland abzubauen. Künftig müsse es noch besser gelingen, auch wenig Qualifizierte aller Altersgruppen in die Betriebe zu bringen. Driftmann warnte vor Mindestlöhnen.

Als im Jahr 2005 die letzte der vier Hartz-Reformwellen griff, war die Erwerbslosenzahl auf den Rekordstand von 5,2 Millionen geklettert. „Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes fand vor allem an den Rändern statt“, erklärte Klinger. Mini- und Midi-Jobs sind entstanden, die Zeitarbeit erlebte einen Boom. Gleichzeitig sei der Druck gewachsen, zu schlechteren Konditionen zu arbeiten. In Studien der Jahre 2005 und 2006 gaben Betriebe an, dass Arbeitssuchende öfter Zugeständnisse bei der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen machten. Das galt auch für die Belegschaft, so Klinger. „Die Angst, in die Grundsicherung zu rutschen, abgestempelt zu werden, war damals aktueller denn je.“

Heute sind 2,9 Millionen Menschen arbeitslos. „Der Rückgang ist beachtlich“, bilanzierte Klinger. Selbst eine scharfe Rezession habe den Trend nicht stoppen können. Im Gegenteil, die mit den Reformen geschaffenen Strukturen hätten für einen schnellen Aufschwung gesorgt. (mit dpa/epd/dapd)

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