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Unter Nachbarn. Im Juni 1991 reichen sich Polens seinerzeitiger Premier Krzystof Bielecki (links) und Alt-Bundeskanzler Willy Brandt nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages die Hände. In der Mitte der damalige Kanzler Helmut Kohl, rechts der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.

© dpa

Deutsch-polnisches Verhältnis: Zum europäischen Zweigespann reicht es noch nicht

Am 17. Juni 1991 schlossen Polen und Deutsche einen Freundschaftsvertrag. In den folgenden 20 Jahren beschäftigten sich beide Völker durchaus intensiv miteinander - mal mehr, mal weniger freundschaftlich.

Der deutsch-polnische Zug „Berlin–Warszawa-Express“ rauscht mit 160 Kilometern in der Stunde mehrmals am Tag zwischen der polnischen und der deutschen Hauptstadt hin und her. So wie die Verbindung der beiden Länder auf der Schiene ersehnte man sich Anfang der 90er Jahre auch das deutsch-polnische Verhältnis: als kraftvolle Lokomotive sollte es Europa voran in die gemeinsame Zukunft ziehen und als Vorbild für das Zusammenwachsen von Ost und West nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dienen. In diesem Geist unterschrieben am 17. Juni 1991 die Regierungschefs und Außenminister beider Länder den Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit in Bonn. „In dem Bestreben, die leidvollen Kapitel der Vergangenheit abzuschließen, und entschlossen, an die guten Traditionen und das freundschaftliche Zusammenleben in der jahrhundertelangen Geschichte Deutschlands und Polens anzuknüpfen“, schrieben die Verfasser 38 Artikel nieder, mit denen die bilateralen Beziehungen auf ein festes Fundament gestellt und stetig verbessert werden sollten.

Die 20 Jahre, die auf die Unterzeichnung dieses Vertrages folgten, waren Jahre, in denen sich Deutschland und Polen mal mehr und mal weniger freundschaftlich miteinander beschäftigten. Dass sie es aber überhaupt so intensiv taten, ist wohl nicht zuletzt auch dem Vertrag zuzuschreiben. „Viele politische, kulturelle und zivilgesellschaftliche Initiativen wurden aufgrund des Vertrags ins Leben gerufen“, sagt Michal Nowosielski, Leiter des Westinstituts in Posen. Als europäisches Zweigespann, das ähnlich wie das deutsch-französische Tandem Europa zieht, gingen die deutsch-polnischen Partner allerdings bisher nicht in die Geschichte ein. Zu groß waren die Unterschiede in wirtschaftlicher, weltanschaulicher und teilweise auch politischer Hinsicht. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen blieb das eines großen, reichen und kleinen, armen Bruders mit all seinen Folgen: von deutscher Ignoranz bis hin zum Aufbegehren Polens unter den Kaczynski-Brüdern gegen die deutsche Dominanz. Markierte diese Zeit, vor allem die Jahre 2006 und 2007, einen Tiefpunkt in den deutsch-polnischen Beziehungen, waren sie andererseits auch dafür verantwortlich, dass Polen zumindest medial enorme Aufmerksamkeit von Deutschland bekam. Gleichzeitig war es möglicherweise auch das Ende eines oft zitierten „Versöhnungskitsches“, der Differenzen und Streitigkeiten zwischen beiden Ländern oftmals zukleisterte.

Die Polen entschieden sich mit Premierministers Donald Tusk und Präsident Bronislaw Komorowski schließlich für einen pragmatischen und pro-europäischen Kurs. Dennoch lastet das asymmetrische Verhältnis zum stärkeren Partner weiter auf ihrer Seele. „Wie Polen in Deutschland wahrgenommen wird, ist für uns noch immer unbefriedigend. Die Mehrheit der Deutschen kennt Polen zu wenig“, sagt der polnische Journalist und Publizist Adam Krzeminski. Ryszard Kalisz, Mitglied im polnischen Parlament Sejm und ehemaliger Minister für Inneres und Verwaltung, fügt hinzu: „Ich träume davon, dass die Deutschen Polen so gut kennen würden wie den Ballermann auf Mallorca.“

Dass solche Wünsche mehr sind als bloße Befindlichkeiten, zeigt sich in der aktuellen Debatte um die Förderung der polnischen Minderheit in Deutschland. Zeitgleich mit den Vorbereitungen zum Jubiläum des Nachbarschaftsvertrages ist sie wieder aufgeflammt. Polen wirft Deutschland vor, seine Versprechungen aus dem Vertrag nicht einzuhalten. Darin steht, dass die Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen und Menschen in Deutschland mit polnischer Abstammung gleichermaßen gefördert werden sollen. Vereinbart wurde unter anderem, „die Möglichkeiten auszubauen, in Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen die Sprache des anderen Landes zu erlernen“. Allerdings gibt es bis heute nur selten Polnischunterricht an deutschen Schulen. In Polen dagegen wird flächendeckend Deutschunterricht für die deutsche Minderheit angeboten, und Warschau gibt nach eigenen Angaben ein Vielfaches der Summe aus, die die deutsche Seite in den Polnischunterricht investiert.

Ziele, die bei der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages noch im Vordergrund standen, sind inzwischen erreicht: Frieden, Stabilität, Kooperation auf allen Ebenen und der Beitritt Polens zur EU. Nun wird es darum gehen, ob sich Polen und Deutschland in wichtigen europäischen Zukunftsfragen einig sind.

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