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Kerstin Nicolaus

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Zwickau: Ein Dorf holt die geschasste Chefin zurück

Die sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Kerstin Nicolaus ist am vergangenen Sonntag mit 70,5 Prozent der Stimmen zur ehrenamtlichen Bürgermeisterin ihrer Heimatgemeinde Hartmannsdorf im Landkreis Zwickau gewählt worden. Das wäre zunächst noch keine Nachricht wert. Nur: Frau Nicolaus ist gar nicht zur Wahl angetreten.

Von Matthias Schlegel

Bürgermeisterin Nicolaus wurde gewählt, trat aber nicht an. Geht das denn überhaupt? Zur Klärung dieser Frage muss man ähnlich tief ins sächsische Wahlgesetz vordringen wie sich die Fußballfans nach dem strittigen Nichtabseits-Tor der Holländer gegen Italien ins Fußball-Regelwerk vergraben haben: Es geht. Ist nur ein Kandidat auf den Wahlzettel aufgedruckt, kann vom Wähler ein weiterer von Hand dazugeschrieben werden, sagt das Gesetz. Das genau taten 527 von 747 Hartmannsdorfer Wählern. Sie schrieben: Kerstin Nicolaus.

Nun ist die CDU-Frau nicht irgendeine beliebige Hartmannsdorferin. Sie ist ihre beliebte Bürgermeisterin – gewesen. Seit 1990, als die gelernte Damenmaßschneiderin zum ersten Mal gewählt wurde. Bis Anfang 2008. Da wurde sie vom Chemnitzer Regierungspräsidenten Karl Noltze vom Amt suspendiert. Denn gegen Frau Nicolaus ermittelt die Justiz. Schon früher waren mal Vorwürfe laut geworden wegen zweckentfremdeter Verwendung von Entschädigungsgeldern nach dem Hochwasser von 2002. Da sollen mit Knete vom Land eine Straße und der Sportplatz im Ort saniert worden sein, obwohl die Flut dort gar nicht vorbeigekommen war. Jüngst kamen Ermittlungen wegen Betrugs mit überhöhten Reisekostenabrechnungen hinzu. Die 47-Jährige hielt sich zwar für unschuldig, schmiss dennoch ihren ehrenamtlichen Bürgermeisterjob hin, von dem sie ohnehin suspendiert war. Ihr Stellvertreter, der parteilose Rolf Dittrich, amtierte seither und trat am Sonntag als einziger Kandidat an.

Wenige Tage vor dem Urnengang fanden die Hartmannsdorfer in ihren Briefkästen eine anonyme Information, in der jener kaum bekannte Passus aus dem sächsischen Wahlgesetz erläutert wurde. Als Beispielname war der von Kerstin Nicolaus eingesetzt. Die Aktion verfehlte ihre Wirkung nicht. Kandidat Dittrich schmierte mit 25,3 Prozent ab, Nichtkandidatin Nicolaus wurde zur Bürgermeisterin gewählt – im Übrigen auch in den Zwickauer Kreistag mit rund 5000 Stimmen, einem der besten Ergebnisse in ihrem Wahlkreis.

In Gewissensnöte versetzt das nun nicht nur die Landes-CDU, die sich in der ganzen Angelegenheit nicht gerade mit Solidaritätsadressen zugunsten ihrer Landtagsabgeordneten hervorgetan hatte. Auch das Regierungspräsidium in Chemnitz ringt um Fassung. „Gewählt ist gewählt. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sind Recht und Gesetz zu beachten“, artikuliert dessen Pressesprecher Olaf Weiß die behördliche Unentschiedenheit. Das sei wohl ein Politikum. Erst einmal müsse man jedoch abwarten, ob Frau Nicolaus die Wahl überhaupt annehme und ob beim Landratsamt Einsprüche gegen die Wahl vorgebracht würden. Erst dann werde das Regierungspräsidium prüfen müssen, ob eine erneute Suspendierung ausgesprochen werde oder nicht. Matthias Schlegel

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