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Unnahbar nach außen, kommunikativ nach innen. Dagur Sigurdsson hat die Füchse Berlin in seiner sechsjährigen Amtszeit geprägt - auch mit Hilfe seiner abgewetzten Taktiktafel.

© dpa

Abschied von Füchse-Trainer Dagur Sigurdsson: Das letzte Klopfzeichen

Gegen die SG Flensburg-Handewitt erlebt Dagur Sigurdsson am Freitagabend seinen Abschied als Trainer der Füchse Berlin. Anschließend wird sich der Isländer nur noch um die deutsche Handball-Nationalmannschaft kümmern. Über das Ende einer erfolgreichen Ära.

Wenn das letzte Wort gesprochen, die letzte Antwort gegeben ist, dann wird er es so halten, wie er es vor und nach Spielen fast immer gehalten hat. Wird mit den Augen den Raum scannen, „noch Fragen?“, zwei Mal mit der Faust auf den Tisch vor sich tippen, klopf, klopf, und das war’s dann. Nach sechs Jahren, die sportlich im gesicherten Tabellen-Mittelfeld begannen und vor kurzem mit einem Europapokalsieg zu Ende gegangen sind. Heute bestreitet Dagur Sigurdsson sein letztes Spiel als Trainer der Füchse Berlin, um 20 Uhr empfängt der Handball-Bundesligist die SG Flensburg-Handewitt in der Schmelinghalle. Danach geht der Mann, der den Klub so geprägt hat wie sonst vielleicht nur Manager Bob Hanning.

Wobei, streng genommen bleibt Sigurdsson sogar, zumindest in Berlin. Die Wohnung in Charlottenburg ist nicht etwa gekündigt, nur weil er künftig ausschließlich als Bundestrainer arbeiten wird. Gut möglich auch, dass er ab und an noch im Trainingszentrum in Hohenschönhausen vorbeischaut. Nur auf der Berliner Bank – oder besser: an der Linie davor – wird man den Isländer nicht mehr herumspringen und gestikulieren sehen. Das ist schon deshalb sehr schade, weil Sigurdsson diese Disziplin mit den Jahren gewissermaßen perfektioniert hat. Genau wie die Sache mit den Klopfzeichen. Diese Geste, klopf, klopf, lässt sich gerade an diesem Abend vortrefflich als Abschiedsgruß deuten. So nach dem Motto: war schön, hat Spaß gemacht, viel Glück und Erfolg in der Zukunft.

Im Trainingszentrum hängen bereits zahlreiche Aufnahmen von Sigurdsson

Die Zukunft, sie könnte ein sensibles Thema sein bei den Berlinern. In wenigen Wochen übernimmt Sigurdssons Landsmann und langjähriger Freund Erlingur Richardsson (unser Porträt über den neuen Füchse-Trainer Elingur Richardsson finden Sie hier) einen auf zahlreichen Positionen veränderten Kader. Und dass der scheidende Trainer bei der Wahl seines Nachfolgers ein nicht ganz unbedeutendes Wörtchen mitgeredet hat, sagt alles über sein Ansehen im Klub. „Ich wollte es Erlingur so schwer machen wie möglich“, sagt Sigurdsson mit einem Augenzwinkern, „und ich glaube, dass wir das ganz gut hinbekommen haben.“ Die ersten beiden Titel in der Vereinsgeschichte der Füchse, also der DHB-Pokalsieg 2014 und der Erfolg im EHF-Cup Mitte Mai, werden für immer mit dem 42-Jährigen in Verbindung gebracht werden, ebenso wie die Teilnahme am Finalturnier der Champions League im Jahr 2011. Im Trainingszentrum hängen bereits zahlreiche großflächige Aufnahmen aus seiner Ära an den Wänden.

„Ich habe auf meinen Stationen viele Trainer erlebt, angenehme und weniger angenehme Menschen“, sagt Füchse-Kapitän Iker Romero, dem am Freitag im letzten Spiel seiner großen Karriere ebenfalls ein gebührender Abschied bevorsteht. „Aber Dagur war der perfekte Trainer für diesen Verein.“ So unnahbar der Isländer bisweilen auch wirken kann, so deutlich und kommunikativ ist er über die Jahre mit seinem Team umgegangen.

Bereits als Spieler war Sigurdsson für den Spielaufbau zuständig

Fachlich ist Sigurdsson ohnehin über jeden Zweifel erhaben, wenngleich seine ebenso legendäre wie abgewetzte Taktiktafel stark an die 70er Jahre erinnert. „Er hat immer eine klare Linie vorgegeben, klare Systeme, klare Regeln“, sagt Romero, „und er hat mit seiner ruhigen Art Druck von den Spielern genommen, ohne dabei den Fokus zu verlieren.“ Dass Sigurdsson, 215-facher isländischer Nationalspieler, auf seiner Position im zentralen Rückraum zu aktiven Zeiten selbst stets das Spiel steuern und gestalten musste, hat ihm dabei sicher geholfen.

Vor allem aber hat sich Sigurdsson im Umgang mit jungen Spielern verdient gemacht, und darauf legen sie bei den Füchsen bekanntlich besonderen Wert. Als er vor sechs Jahren vom österreichischen Erstligisten A1 Bregenz nach Deutschland kam, kannte ihn – übrigens eine bemerkenswerte Parallele zu seinem Nachfolger – kaum jemand außerhalb des Handball-Kosmos, aber das sollte sich alsbald ändern. Weil die Resultate und Platzierungen der Füchse beständig besser wurden, vor allem aber, weil er vor jeder Saison mindestens einen Spieler aus der A-Jugend in den Profi-Kader beförderte. Obwohl es am Ende natürlich nicht alle geschafft haben, sich bei den Füchsen durchzusetzen, sind doch sehr viele aus dem Berliner Nachwuchs-Internat irgendwo untergekommen in der Ersten oder Zweiten Liga.

Die Fähigkeit, aus ambitionierten Nachwuchskräften konkurrenzfähige Bundesliga-Spieler machen zu können, zahlte sich spätestens Ende 2014 aus. Der deutsche Handball lag gerade mal wieder am Boden, die WM-Qualifikation war misslungen, der Bundestrainer entlassen und viele Kandidaten im Gespräch. Neuer Trainer wurde schließlich: Dagur Sigurdsson, die Füchse gaben ihren Coach frei. „Ich habe dem Verein viel zu verdanken“, sagte Sigurdsson damals. Der Umkehrschluss gilt allerdings ebenso, heute mehr denn je.

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