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Schiedsrichteraffäre: Amarell und Kempter kämpfen unerbitterlich

Duell im richterlichen Nacktscanner: Im Prozess um etwaige sexuelle Nötigung durch den ehemaligen Schiedsrichter-Obmann Manfred Amarell gibt es keine Klärung - nur viele neue Wunden.

Ein herrlicher Vormittag in Hechingen, 50 Kilometer südlich von Stuttgart. Im Morgenlicht erscheint die alte Festung oben auf dem Hohenzollern noch erhabener als sonst. Unten im Tal herrscht Ausnahmezustand: Die Polizei hat den Parkplatz vor dem Landgericht abgesperrt, in den umliegenden Straßen stehen Autos aus ganz Deutschland kreuz und quer.

An diesem Donnerstag soll Licht ins Dunkel einer unappetitlichen Affäre gebracht werden. Doch es wird der vorläufige Tiefpunkt eines Skandals werden, die privat ist, aber als „Schiedsrichteraffäre“ den deutschen Fußball erschüttert hat. Aktenzeichen „1 O 182/10“ wird verhandelt, „Amerell ./. Kempter“.

Michael Kempter, 27, und Manfred Amerell, 63, sind vorgeladen worden. Im Gepäck haben die beiden ihre Anwälte und dicke Aktenordner, in denen sich allerhand schmutzige Details befinden. Amerell fordert 150 000 Euro Schmerzensgeld wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte durch die Aussagen seines einstigen engen Freundes. Der junge aufstrebende Schiedsrichter Michael Kempter hatte dem inzwischen zurückgetretenen Schiedsrichter-Obmann Manfred Amerell sexuelle Nötigung im Amt vorgeworfen, was dieser bestreitet. Es folgte eine öffentliche Schlammschlacht, die auch am Donnerstag nicht endete.

Als die Protagonisten aufeinander treffen, würdigen sie sich keines Blickes. Anwalt Christoph Schickhardt klopft seinem Mandanten Kempter auf die Schulter, der lächelt gequält. Er ahnt, dass ihm eine Tortur bevorsteht. Vier Meter trennen die Kontrahenten. So nah waren sie sich nicht mehr, seit jene Affäre vor einem Jahr über Fußball-Deutschland kam, in der sich DFB-Chef Theo Zwanziger wegen seiner schnellen Unterstützung für Kempter in Bedrängnis brachte und die zu einer Reform des Schiedsrichterwesens führte.

Amerell berichtet, wie er den jungen Kempter kennen gelernt hat. Wie aus der sportlichen Zusammenarbeit eine private Beziehung geworden sei. 2006 sei er von Kempter auf ein Konzert eingeladen worden. „Da war es schon so, dass er auf höchstem Niveau war, so dass es nicht möglich war, was zu unterstellen.“ Das sei eine Entwicklung gewesen, die am 11. Mai 2008 in einem Lift in Köln in einen Kuss gemündet habe. Anwalt Schickhardt poltert dazwischen: „Jetzt hören Sie doch mit der Märchenstunde auf, Herr Amerell.“

Manfred Amerell wehrt sich gegen den Vorwurf der sexuellen Nötigung.
Manfred Amerell wehrt sich gegen den Vorwurf der sexuellen Nötigung.

© dpa

Es gibt einen Beklagten, es gibt einen Kläger. Und es gibt nur Verlierer im richterlichen Nacktscanner eines seltsamen Beziehungsgeflechts. Kempter verfolgt die Aussagen regungslos, den Blick zur Seite gerichtet, mit der Hand stützt er seinen Kopf. Er sieht mitgenommen aus.

Kempter spricht mit leiser, manchmal fast brüchiger Stimme. Er berichtet von einem Vorfall während eines Lehrgangs am 7. Juli 2001 in Barsinghausen. Amerell habe ihn auf sein Zimmer gerufen. Dort habe Amerell ihn umarmt, auf den Mund geküsst. Als sie sich auf dem Sofa niedergelassen hätten, sei Amerell immer wieder über Kempters Oberschenkel gefahren. Es ist ein neuer Vorwurf.

Das Schauspiel ist verstörend. Manchmal kommt man sich vor, als habe man sich in irgendeine Scripted-reality-Show auf RTL verirrt, in der Laiendarsteller reale Fälle nachspielen.

Kempter listet eine ganze Litanei von Vorfällen auf. Er habe gesagt, dass er diese Berührungen nicht wolle. Amerell schüttelt den Kopf. Unwahr sei das alles, auch die Geschichte in Barsinghausen, sagt der 63-Jährige und zitiert aus E-Mails und SMS. Was war einvernehmlich, was nicht? Was hat stattgefunden – und wenn ja, wie?

Nach viereinhalb Stunden ist alles vorbei, ohne dass man die Fragen beantworten kann. Ein Urteil gibt es nicht, nur viele neue Wunden. Der Prozess wird im schriftlichen Verfahren fortgesetzt, am 18. April will die Zivilkammer ein Ergebnis verkünden.

Tobias Schall

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