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Sechstagerennen: Mit Haferschleim zurück im Leben

Trotz seiner langen Tradition hat das Sechstagerennen Sorgen – das weiß auch Radsport-Idol Otto Ziege

Berlin - Jeden zweiten Tag eine Stunde auf dem Hometrainer oder mal eine Tour mit einem Damenfahrrad durch den Tegeler Forst ist auch mit 83 Jahren immer noch drin. Otto Ziege ist der lebende Beweis dafür, wie Radsport den Körper fit – und auch den Geist wach halten kann. Dass er trotzdem mit dem Sportlichen bis zum kommenden Dienstag kürzer treten wird, ist nur einem Grund geschuldet: dem 98. Berliner Sechstagerennen. „Seit 60 Jahren bin ich dabei“, sagt er und ist plötzlich kaum noch zu bremsen. Ziege erzählt von seinem ersten Rennen 1949 in der Funkturmhalle, als er noch „Toto“ genannt wurde, wie drei Fahrer bis 1953 bei Stürzen starben, von seinem Einstieg als sportlicher Leiter 1958 und über den Neustart im Velodrom 1990. Zu jedem Datum hat er eine kleine Geschichte zu erzählen, die Namen der Konkurrenten von einst gehen ihm über die Lippen, als sei das Erlebte erst gestern gewesen. Natürlich weiß Ziege auch, dass der erste Sixdays-Start am 15. März 1909 am Zoo erfolgte, die Sieger Floyd McFarland und Jimmy Morgan 5000 Goldmark bekamen und dass 1924 die Distanz von 4544,2 Kilometern zurückgelegt wurde. „Zu meiner Zeit haben wir nur drei Stunden geschlafen, das waren wirklich fast Rennen über sechs Tage, und die Jagden dauerten auch schon mal drei Stunden, bei denen es 170 Runden gewinne gab“, erzählt er. Trotz der glorreichen Vergangenheit sagt Ziege aber auch: „Ich mache mir viele Gedanken über die Zukunft des Berliner Sechstagerennens.“

Selbst Otto Ziege, der den Radsport als „mein Leben“ bezeichnet und der nach wie vor in die Berliner Sixdays involviert ist, bereiten die wirtschaftlichen Zwänge große Sorgen. „Was kommt noch?“, fragt er. „Schon diesmal hat die Veranstaltung etwas Geld gekostet, das nicht ausschließlich durch Sponsoren aufgebracht worden ist.“ Ein Vergleich der Sponsorenliste mit der des Vorjahres dokumentiert einen ganz wesentlichen Verlust: Mit dem Ausstieg einer Bank fehlt diesmal ein wichtiger Partner. Zu dieser Frage möchte sich Sixdays-Chef Heinz Seesing nicht mehr so gerne äußern, „weil die Veranstaltung ja nun losgeht und alles unter Dach und Fach ist“. Ein wenig hört es sich so an, als habe der Retter der Berliner Sixdays auch einen eigenen Beitrag dazu geleistet.

„Jetzt geht es doch nicht mehr um die diesjährige Veranstaltung, die mir schlaflose Nächte bereitet hat, jetzt ist 2010 das Thema“, sagt Seesing, der 2007 für sein Engagement in Berlin das Bundesverdienstkreuz bekommen hat. Eine Maßnahme, die er bisher verdrängt hat, geistert in seinem Kopf herum: das Programm abspecken. Zudem hofft er auf Hilfe von öffentlicher Seite. „Ich habe sehr großes Vertrauen in die Berliner Politik. Schließlich haben die Politiker auch die Aufgabe, für Lebensqualität in der Stadt zu sorgen.“ Seine Veranstaltung trage dazu bei. „Bei den Sixdays können 75 000 Menschen für ein paar Stunden bei Topsport und Show ihre Sorgen vergessen“, sagt Seesing, „und dem stellen wir uns.“

Dass der Vertrag für das Berliner Sechstagerennen mit dem Velodrom-Betreiber bis 2022 läuft, ist dem 71-jährigen Münsterländer ein zusätzlicher Ansporn. Das Berliner Sechstagerennen „soll der Leuchtturm in Deutschland bleiben“. Früher gab es mal neun Sixdays in Deutschland, nach der Absage von Stuttgart in diesem Jahr sind davon noch vier übrig geblieben. Aber auch München, Dortmund und Bremen sind nicht mehr sicher. Seesing glaubt fest daran, dass eine neue Generation von Fahrern kommt, mit denen sich die Leute auch identifizieren. Deshalb ist ihm das Thema Doping auch sehr wichtig, denn „das hat dem Radsport generell geschadet“. Für das 98. Sechstagerennen verspricht er sechs Proben pro Tag und verweist auf eine Präambel in den Fahrerverträgen, dass bei Verstößen die Start gelder und Prämien zurückgezahlt werden müssen.

Auch Otto Ziege hat dazu eine Meinung: „Doping bei den heutigen Sechstagerennen ist so lächerlich wie unsinnig. Es gibt derartig viele Ruhepausen, Zeiten zum Regenerieren, dass jeder gut trainierte Körper das aushält.“ Und wieder erzählt er von den Strapazen zu seiner Zeit: „Da hat mich oft ein Teelöffel Haferschleim ins Leben zurückgeholt.“

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