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Bengalische Nächte in Charlottenburg: Die Fans von Tennis Borussia sorgen für Stimmung im Berliner Pokal.

© Jan Buschbom

TeBe - Blau Weiss 7:1: Tischfeuerwerk der Westalgie

Beim Pokalspiel zwischen Tennis Borussia und dem SV Blau Weiss lebt das alte West-Berlin noch einmal auf. Ein Besuch in einer schwindenden Welt.

Auf dem Weg zum Mommsenstadion, der Heimstätte von Tennis Borussia Berlin, zeigt sich ein ungewohntes Bild: Die S-Bahn in Richtung Spandau ist rappelvoll von Menschen. Es riecht nach Bier.

Am S-Bahnhof Messe Süd/Eichkamp steigt nur eine Handvoll junger Männer – die meisten in dunklen Regenjacken und lila Poloshirts – aus. Die vielen anderen fahren weiter zum nahen Olympiastadion. Sie wollen keinen Amateurfußball gucken, sie wollen ein großes Feuerwerk sehen, bei der alljährlichen Pyronale.

Dabei hat das Spiel in der zweiten Runde des Berliner Landespokals zwischen Tennis Borussia und dem SV Blau Weiss im gern sogenannten "Mommse" auch seine Höhepunkte – ein kleines feines Tischfeuerwerk der Westalgie. Und ein Abend des großen Wiedersehens. Hier duellieren sich zwei alte West-Berliner Fußballvereine mit vielen Gemeinsamkeiten; Tennis Borussia und Blau Weiss sind neben Hertha BSC und dem längst versunkenen Tasmania die einzigen Berliner Klubs, die jemals in der Bundesliga spielten. Beide haben ihre besten Zeiten längst hinter sich. TeBe kämpft sich gerade nach überstandener Insolvenz in der sechsten Liga nach oben. Blau Weiss gründete sich nach dem Bankrott Anfang der Neunzigerjahre neu und spielt nun in der Bezirksliga achtklassig.

"Tennis Borussia 1902 – in der sechsten Liga ohne Polizei", singen die Anhänger der "Veilchen" und zeigen, dass sie mit Selbstironie sogar der tristen Realität ohne große sportliche Erfolge noch etwas abgewinnen können.

Der Blick ins Stadion – Tartanbahn, Flutlichtmasten, Gitterzaun – ist wie eine Zeitreise in die Mauerstadt: Von Opas mit Schnurrbart und Pullunder, die aussehen als kämen sie gerade aus der Schultheiss-Eckkneipe, über Ex- und Alt-Punks bis hin zu Studenten ist hier alles vertreten. Blau Weiss hat rund 30 Fans und eine Pauke mitgebracht. Ein grimmig schauender Manolo-Verschnitt malträtiert sie. "Wir sind Blau Weisse und ihr nicht", grölen die Gästefans auf der Haupttribüne zu den TeBe-Anhängern auf der Gegengeraden herüber. "Gott sei dank, Gott sei dank", kontern die Lila-Weißen.

Auf dem Platz geben die Borussen vor 377 Zuschauern sowieso den Ton an. Nach 14 Minuten geht Tennis Borussia durch Dennis Vogler in Führung. Sein Vater Andreas erlebt es hautnah mit, doch er jubelt nicht über den Treffer seines Jungen. Denn er steht im Tor von Blau Weiss. Ende der Achtziger hat der heute 47-Jährige hier bei TeBe seine Profikarriere als Stürmer begonnen und in der Oberliga mal 28 Tore geschossen. An diesem Abend bekommt er noch sechs Dinger eingeschenkt.

Für die TeBe-Fans ist das Vater-Sohn-Duell nicht die beste Geschichte des Spiels. Sie feiern die Rückkehr eines anderen verlorenen Sohnes: Michael "Micha" Fuß, sechs Jahre lila-weißer Publikumsliebling, lässt beim Gegner seine Karriere ausklingen. Vor dem Spiel hat er sich mindestens ein Tor gegen seinen geliebten Ex-Verein gewünscht. Auch die TeBe- Fans feuern ab der zweiten Halbzeit immer mehr den 35-jährigen Altstar an. In der 79. Minute segelt eine Flanke von links durch den Nieselregen in den Strafraum. Fuß köpft und – trifft. Alle jubeln. Aus den Lautsprechern ertönt "Micha", das Lied von den Ärzten. Es ist der Song, der früher immer im Mommsenstadion gespielt wurde, wenn Michael Fuß traf.

Abpfiff. Vom Olympiastadion hallen die letzten dumpfen Schläge des Bombast-Feuerwerks herüber. Im Mommsenstadion brennen die Borussen-Fans zwei Bengalische Feuer ab, und am Horizont schimmert orange der Funkturm.

Auf Wiedersehen, West-Berlin!

Video: Die Ärzte singen "Micha"

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