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Bobby Fischer

© Tsp

Bobby Fischer: Das spielende Rätsel

Er liebte das Schach, er gab dem Spiel einen neuen Sinn. Doch er war auch eine Legende voller Misstrauen und Hass. Bobby Fischer, der 1972 den Kalten Krieg am Brett gewann und danach vor der Welt flüchtete, ist gestorben. Ein Nachruf.

Er war ein Einzelgänger zwischen Genie und Wahnsinn, ein Mensch voller Widersprüche und Rätsel. Bobby Fischer liebte das Schach, aber zuletzt war er nur noch eine Legende voller Misstrauen und Hass. Kaum ein Weltmeister hat das Schachspiel so sehr beeinflusst wie Bobby Fischer.

Die letzten drei Jahre seines schicksalhaften Lebens verbrachte Fischer im Exil in Island. An jenem Ort also, an dem ihm Jahr 1972 sein größter Triumph gelungen war: Im so genannten Jahrhundertkampf hatte er Boris Spassky mit 12,5:8,5 besiegt und diesen als Weltmeister abgelöst. Damit hatte Fischer, der US-Amerikaner, mitten im Kalten Krieg die jahrzehntelange sowjetische Vormachtstellung im Spitzenschach im Alleingang gebrochen. Zuvor hatte er unter anderem die sowjetischen Großmeister Taimanow und Tigran Petrosjan deklassiert. Bobby Fischer wurde zu einer Symbolfigur, für viele zum Helden.

Sein Selbstbewusstsein als Schachspieler war gewaltig. Zeitgenossen versichern, manche Worte Fischers hätten brüsk und undiplomatisch geklungen, aber selten arrogant. Er sagte, was er dachte: „Mein Name ist Robert James Fischer. Patzer und Freunde nennen mich Bobby.” Patzer, das sind schlechte Schachspieler. Mit Psychologie könne man im Schach keine Erfolge erringen, meinte Fischer einmal. „Ich glaube nicht an Psychologie, ich glaube an gute Züge.“ Von denen zeigte er reichlich. Wohl niemand konnte Varianten so präzise berechnen wie er. Vorzugsweise strebte er klare, offene Stellungen an, in denen diese Stärke zum Tragen kam.

Doch nach seinem Titelgewinn gegen Spassky geschah das Unbegreifliche: Fischer spielte keine offizielle Turnierpartie mehr und tauchte im kalifornischen Pasadena unter. 20 Jahre lang war er für die Öffentlichkeit nicht zu sehen, nicht zu sprechen. Niemand wusste, warum er nicht mehr spielen wollte. Niemand kannte Bobby Fischer wirklich. Der Mann mit hohem Intelligenzquotienten und geringer Bildung geriet in Pasadena zunehmend in den Einfluss der Sekte „Church of God“, raunten sich Bekannte zu. Drei Jahre nach seinem Sieg über Spassky weigerte sich Fischer, gegen den Herausforderer, Anatoli Karpow, anzutreten und verlor kampflos seinen Titel. Und viele Menschen ihren Helden.

Doch 1992 setzte sich der mittlerweile verarmte Champion noch einmal ans Brett – zum spektakulären Rückkampf gegen Spassky. Ein Bankier aus Belgrad hatte eine Preisbörse von fünf Millionen US-Dollar geboten. Der Showkampf, als „Weltmeisterschaft“ bezeichnet, fand in Sveti Stefan und Belgrad statt, womit Fischer wissentlich gegen ein US-Embargo verstieß, das jeglichen Handel mit dem damaligen Kriegsaggressor Jugoslawien verbot. Fischer kehrte nach dem Wettkampf nie wieder in seine Heimat zurück, weil ihm dort eine langjährige Gefängnisstrafe drohte. Im Juli 2004 wurde er schließlich auf Drängen von US-Behörden in Tokio festgenommen. Manche ahnten, dass Fischer inzwischen in Japan lebte, nur wenige wussten es genau. Seit zwölf Jahren war er wieder abgetaucht, kaum ein Bild von ihm gelangte an die Öffentlichkeit.

Dann plötzlich die Fotos von seiner Festnahme: Sie zeigen das überraschte, ungepflegt wirkende Schachgenie mit weit aufgerissenen Augen und grauem Vollbart. Wahrscheinlich stand die Festnahme im US-Wahljahr 2004 nicht allein im Zusammenhang mit dem alten Embargo-Verstoß, sondern mit Fischers Äußerungen zu den Terroranschlägen am 11. September. Diese waren von ihm gegenüber einem philippinischen Radiosender begrüßt worden. „Fuck the US“, rief er damals wie im Wahn, „Amerika muss vernichtet werden.“ Fischer wünschte den USA den Untergang. Woher kam dieser Hass?

Früher hasste Fischer die Russen, am Ende die Amerikaner. Und nicht nur die. Seine jüngeren Äußerungen waren erschütternde Zeugnisse verschrobener Gedanken und eines antisemitischen Weltbilds. Er hetzte gegen Frauen – „sie sind allesamt schwach, alle Frauen, im Vergleich mit den Männern sind sie dumm“ -, er hetzte gegen Juden, gegen angebliche „jüdische Diebe, Betrüger und Verschwörer“, die den amerikanischen Staat unterlaufen hätten. Dabei war er wohl selbst ein Jude.

Wie lassen sich die Gegensätze in Bobby Fischers Persönlichkeit erklären? Der unheimliche Hass auf der einen Seite – die unendliche Liebe zum Schach auf der anderen. Früher hatte er im persönlichen Umgang als ehrlich, freundlich und kindlich-naiv gegolten, andererseits auch als extrem egozentrisch und undiplomatisch. Sein Credo am Brett lautete: „Ich zerbreche das Ich des Anderen.“ Seine Gegner zeigten Respekt, Angst, aber auch - natürlich - Anerkennung. Beim Spielen habe sich Fischer aber immer sportlich und korrekt verhalten, meinte Boris Spassky. Der alte Rivale, der seit den 70er-Jahren in Frankreich lebt, war in den Tagen nach Fischers Verhaftung einer der ersten, der ihm zu helfen versuchte. In einem offenen Brief an US-Präsident George W. Bush bat Spassky um Gnade für seinen alten Kontrahenten: „Herr Präsident, im Jahr 1972 wurde Bobby Fischer ein Nationalheld. Er zerschmetterte mich in dem Match in Reykjavik. Die sowjetische Vormachtstellung im Schach kollabierte. Ein Mann gewann gegen eine ganze Armee. (...) Ich möchte Bobby Fischer nicht verteidigen oder rechtfertigen. Er ist, was er ist. Ich bitte nur um eines: Gnade, Nachsicht.“

Diese Wendung war eine von vielen in Fischers Leben. In Zeiten des Kalten Krieges war er von Medien und Politik zu einer ideologischen Waffe hochstilisiert worden. Das Duell lautete: Russe gegen Amerikaner, Ost gegen West, Gut gegen Böse – oder Böse gegen Gut? Was die Öffentlichkeit in diesem Kampf nicht sah: In Wirklichkeit hatten sie Hochachtung voreinander, besonders Spassky vor Fischer. „Fischer war ein Don Quichotte, wenn ich über ihn spreche, sehe ich einen König über ein Königreich des Schachs regieren“, sagte Spassky.

Bobby Fischers Leben hat viele Fragen aufgeworfen. Um ihn und seine Lebenswendungen besser verstehen zu lernen, hilft ein Blick in seine Kindheit. Robert James, wie er eigentlich hieß, wurde am 9. März 1943 in Chicago geboren. Doch schon darüber, wer sein Vater war, herrscht Unklarheit. Seine Mutter, Regina, die aus der Schweiz stammte und in den 30er-Jahren in Moskau Medizin studierte, hatte dort 1935 den deutschen Physiker Gerhardt Fischer geheiratet. Die Ehe wurde 1945, zwei Jahre nach der Geburt des Sohnes, geschieden. Bobbys leiblicher Vater könnte nach Recherchen der Autoren David Edmonds und John Eidinow („Bobby Fischer Goes To War”) aber auch der ungarische Mathematiker und Ingenieur Paul Felix Nemenyi gewesen sein. Diese Recherche basierte auf FBI-Akten über Fischers Mutter. Regina Fischer wurde vom FBI jahrzehntelang als sowjetische Spionin verdächtigt und beobachtet. In diesem Fall hätte Fischer sowohl eine Mutter als auch einen leiblichen Vater mit jüdischer Abstammung.

Schließlich haben sie ihn in Island aufgenommen, wo er 1972 nicht nur Weltmeister geworden war, sondern auch einen Schachboom ausgelöst hatte. Ein isländischer Großmeister, der ihn im letzten Jahr besuchte, sagte resigniert: „Er war sehr freundlich, wir haben über Schach gesprochen. Aber nach einer Viertelstunde redete er schon wieder von der jüdischen Weltverschwörung.“

Bobby Fischer war ein Genie, dessen Leben sich am Rande des Wahnsinns bewegte. Am Donnerstag ist er im Alter von 64 Jahren nach schwerer Krankheit in einem Krankenhaus in Reykjavik gestorben.

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