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Gladbachs berühmtester Fan: Manolo, der Zaunkönig

Ins Stadion kam er ohne Eintrittskarte. Ethem Özenrenler war „Manolo“, der Mann mit der Trommel. Mit dem Tod des Mönchengladbach-Fans verschwindet auch ein Stück Fankultur. Ein Nachruf

In den Tagen vor seinem Tod war er nicht mehr ansprechbar. Laufen konnte er schon lange nicht mehr, sprechen nur noch im Flüsterton. Alles andere machte sein geschwächter Körper nicht mehr mit. Ethem Özenrenler ist als einsamer Mann gestorben, bettlägerig, diabetes- und demenzkrank, in einem Pflegeheim in Mönchengladbach. Vielleicht war Ethem Özenrenler immer schon ein einsamer Mann; aber Ethem Özenrenler hatte noch eine andere Identität, eine Wochenend-Identität. Immer wieder samstags wurde aus Ethem Özenrenler, dem Gastarbeiter aus der Türkei, Manolo, der Trommler vom Bökelberg. Den Aufstieg der Gladbacher beim 3:0-Heimsieg gegen Wehen-Wiesbaden am Mittwoch erlebte er nicht mehr mit. In der vergangenen Woche ist Ethem Özenrenler im Alter von 69 Jahren gestorben. Manolo ist schon lange tot.

Ende der Siebzigerjahre wurde aus Ethem Özenrenler Manolo. Er ging damals ins Stadion, doch irgendwas fehlte ihm. Die Männer standen auf den Rängen, tranken ihr Bier, schimpften auf den Gegner, und manchmal schrien sie: „Vau Eff Ell!“. Aus seiner Heimat war er ganz anderen Rabatz gewohnt. Also brachte Özenrenler beim nächsten Mal eine Trommel mit, setzte sich oben auf den Zaun von Block 16 in der Nordkurve und war fortan Manolo. 25 Jahre saß er bei den Spielen von Borussia Mönchengladbach dort oben und trommelte. Manolo hat einmal gesagt, er könne mit seiner Trommelei den Rhythmus des Spiels verändern, die Spieler mit seinen Schlägen dazu auffordern, den Ball zu halten, oder sie zu überfallartigen Angriffen antreiben. Vermutlich hat er seinen Einfluss ein bisschen überschätzt. Manolos Repertoire war begrenzt: Bum-Bum-Bumbumbum. Oder: Búmbumbumbum Búmbumbumbum. Einmal wurde er während eines Spiels vom Fernsehen interviewt. Die Gladbacher hatten gerade ein Tor geschossen, die Nordkurve jubelte noch, und der Reporter fragte, ob Manolo denn wisse, wer den Ausgleich erzielt habe. „Ich nix wissen“, antwortete Manolo. „Ich mach Bum Bum. Borussia macht Tor.“

Da war aus Manolo längst ein Medienphänomen geworden. Jahrelang trommelte er auf dem Bökelberg, ohne dass eine größere Öffentlichkeit davon Notiz genommen hätte. Zum Star wurde er erst, nachdem ihn das Fernsehen entdeckt hatte, irgendwann Mitte oder Ende der Achtziger muss das gewesen sein. Und plötzlich wagte Manolo Dinge, die er sich zuvor nicht getraut hatte. Manchmal, wenn es gut lief für Borussia, kletterte er Mitte der zweiten Halbzeit von seinem Sitz und startete zu einem Stadionrundgang. Er blieb vor der Haupttribüne stehen, trommelte – und die trägen Sitzplatzfans klatschten mit. Wenn es sehr gut lief, ging er weiter, setzte sich genau hinter dem Gästetrainer auf den Zaun und trommelte ihn in den Wahnsinn. Heute käme Manolo keine zehn Meter weit, dann würde er vom ersten Ordner zu Boden gerissen werden.

Am vergangenen Wochenende haben die Gladbacher in Offenbach gespielt, kurz vor dem Anpfiff meldete sich der Stadionsprecher zu Wort und bat die Zuschauer auf dem Bieberer Berg um eine Schweigeminute für Manolo. Die Borussen hatten damit nichts zu tun, es war allein die Idee der Offenbacher gewesen. „Manolo besaß bundesweit eine größere Ausstrahlung als bei Borussia selbst“, sagt Thomas „Tower“ Weinmann, der Gladbacher Fanbeauftragte. „Er hatte etwas Ikonenhaftes.“

Mit Manolo ist auch ein Stück Fankultur gestorben, die es in der modernen durchorganisierten Stadionwelt nie mehr geben wird. Der Trommler vom Bökelberg war ein Einzelgänger, er hatte nichts mit den organisierten Fans zu tun, weder mit den Kutten, den Ultras oder gar dem Fanprojekt; er saß einfach auf seinem Sitz, hoch oben am Zaun, und trommelte sein eigenes Lied. Manchmal einfach mitten in die Gesänge der Kurve hinein.

In der Gladbacher Fanszene wurde Manolo durchaus kritisch gesehen. Dass er 1999, nach dem ersten Abstieg des Vereins, plötzlich zu Hause blieb, ist bei den echten Fans gar nicht gut angekommen. „Er wird ein bisschen glorifiziert“, sagt Thomas Weinmann, „ein bisschen zu viel.“

Manolo genoss seine Privilegien. Eine Eintrittskarte für den Bökelberg hat er nie besessen. Wenn er mit seiner Trommel auftauchte, kam er immer ins Stadion. Er war halt Manolo. Und hatte er mal wieder eines der – nicht ganz billigen – Trommelfelle kaputt getrommelt, halfen die Spieler oder der Verein. Auch die Reisen zu Auswärtsspielen hat Manolo nie selbst bezahlt. In fremden Stadien setzte er sich dann oben auf den Zaun, so wie er es von zu Hause gewohnt war. „Und wehe, den hat ein Ordner angepackt“, sagt Thomas Weinmann, „das gab im Block mittelschwere Ausschreitungen.“

Nur mit seiner Trommel hat sich Manolo, der von Sonntag bis Freitag Ethem Özenrenler hieß und in einer Spinnerei arbeitete, aus der Masse hervorgehoben. „Er war ein Vorzeigefan in Anführungszeichen“, sagt Weinmann. Manolo thronte über allen, und in gewisser Weise hat er damit ein Phänomen vorweggenommen, das heute in den Stadien gang und gäbe ist. Früher hat Manolo den Rhythmus vorgegeben, heute bestimmt der Vorsänger der Ultras, was die Kurve zu singen hat. Und trotzdem gibt es Unterschiede. „Die Vorsänger kannst du austauschen“, sagt Thomas Weinmann. „Manolo kannst du nicht kopieren.“ Als Manolo wegen seiner schweren Diabetes-Erkrankung irgendwann nicht mehr zum Bökelberg kam, haben die Fans abgestimmt, ob es einen neuen Trommler geben solle. „Wir haben damals verhindert, dass sich ein anderer da hinsetzt“, sagt Weinmann.

Im neuen Stadion der Gladbacher ist Manolo nie gewesen. Die Trommel konnte er nicht mehr halten, den Stock nicht mehr schlagen, und auf den Zaun, den es gar nicht mehr gibt, wäre er erst recht nicht gekommen. Ethem Özenrenler war ein paar Mal im Borussia-Park, im Rollstuhl mit seiner Pflegerin. In der vergangenen Woche ist sein Leichnam in die Türkei überführt worden, die Kosten hat der Verein übernommen. Manolos Trommel ist in Deutschland geblieben. Sie soll einen Platz im Borussen-Museum bekommen.

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