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König Fußball. Rainald Grebe, 39, ist Kabarettist, Liedermacher und Meister im Panini-Memory.

© dpa (2), Montage: Mika

Rainald Grebe packt aus: "Bundesliga ist Brecht mit Catchern"

Der Kabarettist Rainald Grebe spricht in 11FREUNDE FREITAGS über die Gemeinsamkeiten von Fußball und Theater, Ewald Lienen beim Joggen und Opa Ballack.

Herr Grebe, wie fühlen Sie sich?

Im Moment fühle ich mich ganz gut. Danke.

Und wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie nach jedem Auftritt ein Reporter fragen würde: "Wie fühlen Sie sich?"

Ich finde es ganz schlimm, dass Fußballer, noch nass geschwitzt, mit rotem Kopf und erhöhtem Puls immer gleich abgegriffen werden, würde also mindestens sagen: "Hau ab!" Als Theatermann bin ich in dieser Situation übrigens geschützt. Es gibt da so eine Minutenregelung: Wenn ich jemanden unmittelbar nach dem Auftritt ohrfeige oder sogar ein Verbrechen begehe, stehe ich unter Immunität. Das müsste man für die Spieler auch mal einführen, dann würden die Antworten bestimmt interessanter ausfallen.

Wir fragen auch deshalb, weil Sie in einem Ihrer Lieder singen: "Ich fühl mich heut' so wie Franz Beckenbauer kocht, ich weiß gar nicht, wie der kocht." Wir tippen auf Knorr-Tütensuppen, für die er früher Werbung gemacht hat: "Knorr in den Teller, Kraft auf den Tisch." So fühlen Sie sich also?

Es überrascht mich jetzt, dass Beckenbauer ein Tütensuppen-Typ ist. Ich kenne ihn eher als Weißbier-Menschen. Stichwort "Qualität und Zuversicht". Obwohl man da ganz deutlich sieht, dass der Schaum nicht echt ist.

Wie oft kommt es vor, dass Sie über Beckenbauer nachdenken?

Eigentlich gar nicht. Aber 2006, der Kaiser über Deutschland, das war was. Als die Leute sich gewundert haben, dass er scheinbar bei jedem Spiel war, in jedem Stadion saß. Wie Genscher, der sich selbst über dem Ozean begegnet.

Sie selbst haben einen Präsidenten besungen, der in seinem Helikopter mit Blick auf das Land nur denkt: „Gutes Getreide“. Welche Gedanken gingen Beckenbauer wohl selbst durch den Kopf?

Vielleicht: "Ja, Herrschaften, in meinem Leben hat ja wohl mal alles geklappt!" Seine Biografie stimmt. Das gibt es in dieser Form sonst kaum. Eigentlich fallen mir da nur noch Goethe und Nelson Mandela ein.

Über seinen Misserfolgen schweben, sogar über seinen Erfolgen, über einer WM und einem ganzen Land – wie schafft Beckenbauer es, sich selbst nicht mit Gott zu verwechseln?

Das dürfte in der Tat schwierig sein. Beckenbauer ist deshalb unantastbar, der bekommt keine Kratzer. Was umso erstaunlicher ist, da er als Redner alles andere als brillant ist. Nur fehlt bei ihm irgendwie dieser Bruch, weil er nie einen echten Fehler gemacht hat.

Beckenbauer scheint immun gegen alles. Ist das nicht unglaublich langweilig?

Eigentlich schon. Aber einer kommt eben durch. Da ist sogar die Sekretärinnen-Affäre wurscht. Eine solche allumfassende Immunität ist jedoch auch kein Zustand, den ich erreichen möchte. Dann könnte ich das, was ich mache, nicht machen. Als Künstler muss ich verletzlich sein.

Sie stellen Christoph Daums Unschuldsbeteuerung in Leverkusen in einer Klangcollage auf eine Stufe mit Barschels "Ehrenwort" und Blüms "Die Rente ist sicher". Ist Fußball also so wichtig wie Politik? Oder ist alles nur ein einziger Schmerz?

Schmerz, Brei. Im Zweifel Letzteres. Aber natürlich ist Fußball auch ein großer Machtfaktor. Es ist wahnsinnig, dass ein so banaler Sport durch das Geld, das in ihn hineingepumpt wird, so bedeutungsvoll wird. Insofern ist der Herr Daum also ein Staatsmann, wie Barschel einer war, wenn er im Fernsehen auftritt und sein "Ehrenwort" gibt.

Als Michael Ballack seinen Einsatz für die WM 2010 absagen musste, war dies die erste Nachricht bei der Tagesschau. Noch vor Irak oder Obama.

Wenn es die Nation bewegt oder sogar im Kern zusammenhält, dann darf das die erste Nachricht sein. Auch wenn es natürlich lächerlich ist.

Trotz aller Banaliät scheinen Sie sich der Faszination Fußball nicht gänzlich entziehen zu können.

Natürlich nicht. Das hat ja was. Ich lese viel. Fußball rührt in meinem Kopf herum. Weil es eben auch großes Theater ist. In fast schon antiken Dimensionen, wie im Kolosseum.

Abgesehen davon, dass die Spieler am Ende nicht von Löwen aufgefressen werden.

Das fehlt noch! Aber alles andere ist da: Freund und Feind, wir gegen die anderen, alle gegen mich. Das hat mich immer schon fasziniert, aber eben nicht aus der Fanperspektive, sondern aus der des Theatermanns. Wenn sich Clemens Tönnies mit Felix Magath auf einem Bauernhof trifft, ist das doch pures Theater!

Das hat etwas von Thomas Bernhards "Jagdgesellschaft".

Im Grunde schon. Feuer im Kamin. Draußen ist es kalt. Millionen liegen auf dem Tisch. Herrlich! Oder Hoffenheim: Herbstmeister sein und dann den Bach runtergehen. Wie in »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« von Bertolt Brecht!

Ist Bundesliga demnach Brecht mit Laiendarstellern?

Ich glaube eher, es ist Brecht mit Catchern.

Die Texte Ihrer Lieder bestehen aus einzelnen fragmentierten Ideen, die sie auf kleinen Zetteln sammeln und in Ihrer Wohnung verstreuen, um sie später zusammenzufügen. Kennen Sie eigentlich Zettel-Ewald?

Natürlich! Ich habe Ewald Lienen 1983 beim Joggen in Südfrankreich getroffen. Noch mit D’Artagnon-Bart. Er hat mich aber nicht erkannt.

Schade.

Irgendwie schon. Lienen ist im übrigen Jahrgang ’53, das weiß ich noch, weil ich damals die Panini-Alben auswendig gelernt habe. Paul Breitner, 1951 geboren in Kolbermoor! Das bleibt hängen. Lippstadt, Rummenigge. Jahrgang 55. Am 22.09. geboren. Ich bin halt ein Kalender-Idiot.

Was für ein Trainer-Typ wären Sie? Lassen Sie uns raten: der Detailversessene.

Nein, nein. Ich würde meine Spieler einfach spielen lasse. Der Drill jedenfalls ist nicht so meins. Was mir aber ganz gut stehen würde, wäre das Kettenrauchen. Vollkommen unsportlich am Spielfeldrand rumsitzen. Wie Ernst Happel.

Hape Kerkeling gab sich beim Grazer AK einst als litauischer Trainer aus. Der Bluff hielt erstaunlich lange. Wann würden Sie auffliegen?

Sofort! Selbst wenn ich den schweigenden Kettenraucher geben würde. Ich beherrsche die Theorie nicht. Obwohl die natürlich auch mein Co-Trainer übernehmen könnte, während ich nur Angst verbreite. Fußball ist ja viel Psychologie.

Wen würden Sie denn als Co-Trainer mitnehmen?

Ewald Lienen natürlich! Aber das wäre wohl eine einzige Zettelwirtschaft. Und ehrlich gesagt: Die Vorstellung Trainer zu sein, finde ich ganz fürchterlich. Das ist so ähnlich wie im Theater, wenn der Intendant kommt und hinterm Rücken Kritik über die Presse äußert. Das widert mich an. Da bin ich harmoniesüchtig.

Können Sie bei Ihren Auftritten auch gewinnen und verlieren? Gibt es sogar den Zustand des Unentschiedens?

Ich rufe manchmal "Auswärtssieg!", wenn ein Auftritt richtig gut gelaufen ist. Wenn es wirklich schön war – und keine Routine. Mit Pannen, die man angenehm ausgebügelt hat.

Gibt es Städte, in die Sie ungern fahren, so wie die Bayern nach Kaiserslautern?

Diese Angstgegner gibt es schon. In Köln etwa beginnen die Leute, kaum hat man etwas gesagt, rhythmisch zu klatschen. Womit sie aber ziemlich bald aufhören, weil ich sie dann aus der Kurve haue.

Ist das Publikum also Ihr Gegner?

Manchmal sitze ich vor einem Auftritt hinter Bühne und sage mir: "Ich mach die fertig heute, ich mach die alle platt!" Um mich vorher zu pushen. Und hinterher: "Denen habe ich heute einen eingeschenkt!" Diesen Moment des Triumphs brauche ich, wenn ich zwei Stunden auf der Bühne rumgeschrien habe.

Kennen Sie so etwas wie Formkrisen?

Ich bin eigentlich recht konstant. Aber es gab mal eine Phase, in der ich eine Bühnenallergie entwickelt hatte. Mit Lampenfieber und einer regelrechten Angst zu spielen. Weil die Energie auf der Bühne plötzlich ins Gegenteil umgeschlagen ist. Das habe ich aber zum Glück überwunden.

Sind Sie als Künstler mit 39 eigentlich noch ein Talent?

Das Kabarett alter Prägung ist eine Greisenveranstaltung. Von daher kann man Ende 30 immer noch Nachwuchspreise gewinnen. Danach kippt es dann ziemlich schnell. Jetzt habe ich schon irgendwo gelesen, ich sei ein Urgestein. Das fand ich krass. Das geht von einem Tag auf den anderen.

Als Fußballer wären Sie schon in den Ruhestand geschickt worden.

Ich bin in dem Alter, in dem die Letztmöglichen längst aufgehört haben. Gut, Klaus Fichtel war 40. In den Achtzigern ging das noch. Heutzutage aber ist Ballack mit 34 ein Opa.

Die neue Generation des deutschen Fußballs habe, so schrieb der "Spiegel", etwas "Leichtes, Tänzelndes".

Es gab eine andere Bezeichnung, die fand ich gar nicht doof: "Generation iPod". Das fand ich treffend. Jeder ist für sich, hat seine Glocke auf. Das steht auch für eine Generation, in der jeder für sich ein Künstler ist, die sich von oben, von älteren Spielern, nicht mehr so viel sagen lässt. Ballack, faucht. Aber niemand hört ihn.

Ballacks Manager Michael Becker hat dieses Tänzelnde als "halbschwul" bezeichnet.

Siehste, da war sie gleich wieder, die alte Zeit. Aber Becker wurde ja zum Glück weggetanzt.

Was hat Sie an dieser Mannschaft fasziniert?

Ich fand den Thomas Müller klasse, wie der aufgetreten ist: "Ich grüße meine Omas". Diese Spieler sind 19 oder 20, stehen da aber so abgeklärt rum. Es ist erstaunlich, wie schnell die sich zurecht finden in dieser Maschine Fußball. Aber sie müssen das ja auch, weil eben viel früher wieder Schluss ist, als noch vor zwanzig Jahren.

Und plötzlich stand Angela Merkel neben einem halbnackten Schweinsteiger in der Kabine.

Das finde ich ziemlich plump. Es wäre interessanter, wenn Frau Merkel die Chuzpe hätte, das nicht zu tun: "Das interessiert mich leider nicht. Schön, dass es das gibt, aber ich brauche das nicht." Es würde den Sympathien keinen Abbruch tun. Aber es ist eben, ganz platt, auch hier wieder diese Symbiose aus Fußball und Macht.

Was früher der "Internationale Frühschoppen" war, ist heute der "Doppelpass".

"Doppelpass" – herrlich! Stammtisch mit Udo. Haben die Bayern ein Torwartproblem? Und dann immer: Jazz.

Das Trio la Haze tritt dort nicht mehr auf, dafür sitzt da jetzt der Sohn von Udo Jürgens und macht den DJ.

Wie bitte? Das ist doch scheiße.

Dafür war Udo Jürgens letztens persönlich da. Was würden Sie tun, wenn morgen Jörg Wontorra anruft?

Ich würde da nicht hingehen. Das ist nicht meine Welt. Ich will auch nicht in Waldi’s WM-Studio. Das ist mir alles zu flach. Auch diese Art von Humor, die da herrscht. Dieser Stammtisch-Scheiß ist nicht meins.

Können Sie uns erklären, warum gerade die Kolumbianerin Shakira die offizielle Hymne der WM in Südafrika singen durfte?

Waka-Waka. Was soll man dazu sagen? Ich weiß nicht, wie so etwas passiert, wer so etwas entscheidet. Irgendwer muss ja singen. Aber es wäre besser gewesen, wenn diese Hymne ein Künstler aus Afrika gesungen hätte. Nur ist Shakira wahrscheinlich genau die World-Mischung, nicht braun, nicht weiß, irgendwie Macchiato, auf die sich bei Sony alle einigen konnten.

Was heißt eigentlich "Waka-Waka"?

Ich weiß es nicht. Wackel mit dem Arsch. Hallo, hallo. Vielleicht.

Das wäre vielleicht die passende eine Antwort auf die Frage: "Wie fühlen Sie sich?"

Na klar, kann man machen. Es geht ja eh nur darum, irgendwas zu reden.

Interview: Lucas Vogelsang und Dirk Gieselmann

Am 18. Juni 2011 spielt Rainald Grebe das nächste Mal in Berlin. In der Waldbühne, in Hörweite des Olympiastadions.

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