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Gegenwind aus dem Norden. Cecilia Braekhus wurde in Kolumbien geboren, lebt in Berlin - und fühlt sich hundertprozentig als Norwegerin.

© imago sportfotodienst

Cecilia Braekhus: In Berlin im Exil - die beste Boxerin der Welt

Cecilia Braekhus ist weltweit erfolgreich. Nur in ihrer Heimat Norwegen darf sie nicht antreten. Die Geschichte eines langen Kampfes.

Aufhalten lassen hat sich Cecilia Braekhus noch nie. Mit 13 Jahren will sie unbedingt kickboxen, ihre Eltern verbieten es ihr. Also klettert sie aus ihrem Fenster im vierten Stock, steigt die Feuerleiter herunter und schleicht sich zum Training, monatelang. Irgendwann stellen sie ihre Eltern zur Rede. „Das Problem ist: Wenn du etwas nicht kennst, stellst du dir alles Mögliche vor“, sagt Cecilia Braekhus heute über die Sorgen, die ihre Eltern damals beschäftigten. „Aber wenn man besser Bescheid weiß, kann man es auch akzeptieren.“

Ihr Kampfname: First Lady

Cecilia Braekhus, in Kolumbien geboren, von ihren leiblichen Eltern ins Waisenhaus gegeben, im Alter von drei Jahren adoptiert und in der Stadt Bergen im Westen Norwegens aufgewachsen, hat ihre Eltern überzeugen können. Sie hat die gesamte Boxwelt überzeugt. Die 34-Jährige ist im Weltergewicht, der Klasse bis 66,7 Kilogramm, Weltmeisterin aller fünf Verbände. In 27 Profikämpfen unbesiegt, die beste und populärste Boxerin der Welt. Ihr Kampfname lautet „First Lady“, wenn sie sich im Internet bei Twitter zu Wort meldet, benutzt sie die Hashtags #undefeated und #undisputed – ungeschlagen, unumstritten, große Worte im Boxen.

Für ihren ehemaligen Manager Kalle Sauerland ist sie weltweit nicht nur die Nummer 1 im Frauenboxen, „sondern Nummer 1, 2 und 3“. Nur einen einzigen Kampf, ihren größten, hat sie noch nicht gewonnen: In ihrer Heimat darf Braekhus nicht antreten, 1981 wurde das Profiboxen in Norwegen verboten.

Deswegen lebt sie seit 2008 in Berlin, als Königin im Exil.

Triumphe fern der Heimat. Cecilia Braekhus ist in 27 Profikämpfen unbesiegt, hier jubelt sie nach einer erfolgreichen Titelverteidigung in Helsinki.
Triumphe fern der Heimat. Cecilia Braekhus ist in 27 Profikämpfen unbesiegt, hier jubelt sie nach einer erfolgreichen Titelverteidigung in Helsinki.

© AFP

Zum Treffen in einem Box-Gym in Hohenschönhausen kommt Braekhus abgehetzt und verspätet an. Eigentlich wollte sie trainieren, aber sie ist nach einer anstrengenden Woche in Norwegen erst am Morgen aus Oslo zurück gekehrt. Also steigt sie doch nicht in den Ring der alten Sporthalle, durch die jetzt Box-Anfänger im Grundschulalter rennen und lärmen. Ruhe für ein Gespräch herrscht nur im engen Trainerkabuff. Cecilia Braekhus nimmt an einem abgeschrammelten Tisch Platz, sie ignoriert das Chaos um sie herum und auch die halb aufgegessene Tiefkühlpizza, die auf einem Regal liegt.

„Ich wusste, dass ich ins Ausland musste“

„Es ist immer sehr hektisch, wenn ich in Norwegen bin“, sagt sie seufzend, die Tage seien von frühmorgens bis spätabends mit Terminen vollgestopft. Braekhus entschuldigt sich für die Verspätung und setzt ein strahlendes Lächeln auf. Müde sieht sie nicht aus, Haare und Make-up sitzen perfekt, die Oberarmmuskeln sind unter einem roten Kapuzenpullover verborgen. In Norwegen reißen sich nicht nur Medien und Sponsoren um die attraktive Sportlerin. Zuletzt waren ihre Besuche in Norwegen immer wieder von Politik bestimmt, von Regelfragen, Verbandsgezerre und endlosen Diskussionen.

„Für mich geht es weniger um Politik als um die Freiheit, mit meinem Leben anfangen zu dürfen, was ich will“, sagt Braekhus über den Streit um das Profiboxen in Norwegen. Am Anfang ihrer Karriere machte sie sich keine Hoffnungen, irgendwann einmal in ihrer Heimat antreten zu dürfen. Seit 1981 ist das Profiboxen gesetzlich untersagt. Damals hatten Sportverbände und Regierung gemeinsam beschlossen: Boxen ohne Helm ist gefährlich, Promoter und Manager sollen kein Geld mit der Gesundheit ihrer Sportler verdienen. „Ich wusste, dass ich ins Ausland musste“, erinnert sich Braekhus. „Der Gedanke, irgendwann einmal zuhause boxen zu dürfen, kam erst viel später.“

"Mir war immer klar, dass Boxen das ist, was ich machen wollte“

Am Anfang, als Amateurboxerin, hat Braekhus meist zwei Jobs gleichzeitig, sie arbeitet als Friseurin und Schuhverkäuferin, in Cafés und in Diskotheken. „Aber das Training war die Hauptsache“, sagt sie. Viele Leute hätten sie für verrückt gehalten, „aber mir war immer klar, dass Boxen das ist, was ich machen wollte“. Sie wechselt vom Kickboxen zum Boxen, 2006 nimmt der deutsche Boxstall Sauerland sie unter Vertrag. Sauerland will den Sport in Skandinavien voranbringen, eine schöne, starke Frau als Attraktion passt perfekt.

Außerhalb des Rings wirkt die Norwegerin wie ein Model, wie ein Fremdkörper in der rauen Welt des Boxens. Bevor sie in den Ring steigt, macht Cecilia Braekhus aber eine Verwandlung durch: Ihr Haare sind dann streng nach hinten geflochten, das Gesicht ernst, die Augen entschlossen, von einem Lächeln ist nicht nur wegen des Mundschutzes keine Spur zu sehen. Schon zu Beginn ihrer Karriere, als ihr viele boxerischen Fähigkeiten noch fehlen, ist kaum eine Gegnerin ihrer Kraft und ihrer Athletik gewachsen.

Trainer und Meisterschülerin. Braekhus und ihr ehemaliger Coach Ulli Wegner.
Trainer und Meisterschülerin. Braekhus und ihr ehemaliger Coach Ulli Wegner.

© Imago

Nach ihren ersten Erfolgen zieht Braekhus nach Berlin und beginnt, mit Ulli Wegner zu arbeiten. Der Trainer hat schon Artur Abraham, Sven Ottke oder Marco Huck zu Weltmeistern gemacht, er formt auch Braekhus zu einer echten Boxerin – und führt sie zu WM-Titeln. Eine Frau hat Wegner zuvor noch nie betreut, auch für Sauerland ist sie die erste Boxerin, der Titel „First Lady“ zugleich Beschreibung und Verheißung. Braekhus boxt in Basel und Brüssel, Bayreuth und Berlin, Kiel und Kopenhagen, in Helsingfors, Helsinki und Hollywood. Sie knockt Schwedinnen und US-Amerikanerinnen aus, besiegt Französinnen, Kroatinnen und Deutsche nach Punkten.

Und die Menschen in ihrer Heimat beginnen, sich für sie zu interessieren.

„In den ersten Jahren habe ich viel Kritik abbekommen“, sagt Braekhus. „Es hieß, ich sei ein schlechtes Vorbild, Boxen sei gefährlich, erst recht für Frauen.“ Mit den Erfolgen und Titeln ändert sich das, „die Leute haben langsam angefangen, mich anzufeuern“. Sie hat eine Menge eingesteckt, als Boxerin und als Mensch. Jetzt teilt sie aus, zu Kämpfen in Dänemark reisen bis zu 2000 norwegische Fans, das Fernsehen überträgt live zur besten Sendezeit. Bis zu 900 000 der gut fünf Millionen Norweger schalten ein, mehr als bei der Fußball-Nationalmannschaft. Von den norwegischen Sportfans wird sie zum „Namen des Jahres“ 2012 gewählt. Die wichtigste Sportauszeichnung der Wintersportnation gewinnen sonst Biathleten oder Langläuferinnen, die Boxerin nimmt den Preis in einem eleganten weißen Kleid entgegen. „Nach der Wahl haben die Leute gesagt: Ja, wir wollen, dass sie in Norwegen boxt“, sagt Braekhus. „Das war der Anfang.“

Boxen wird zum Wahlkampfthema

Auch zwei Oppositionsparteien, die konservative Hoyre und die liberale Fremskrittspartiet, werden auf die Boxerin und das Potenzial ihres Anliegens aufmerksam – und machen Boxen zum Wahlkampfthema. „Es wurde zu einer großen politischen Angelegenheit – und ich war mittendrin“, sagt Braekhus. Den Parteien geht es nicht um Boxen an sich, sondern darum, sich von der regierenden sozialdemokratischen Arbeiterpartei abzugrenzen. „Sie wollten zeigen: Norweger sind freie Menschen“, sagt Braekhus. „Sie können selbst entscheiden, ob sie boxen wollen, die Regierung sollte sich raushalten.“ Sie selbst bezeichnet das Verbot als „verrückt, lächerlich, peinlich, wie vor 100 Jahren, gegen alle Prinzipien, gegen Menschenrechte und Demokratie“. Die Boxerin will sich im Wahlkampf zwar nicht vereinnahmen lassen. Sie sieht aber auch die Chance, endlich ihr Ziel zu erreichen.

Im September 2013 gewinnen die Konservativen die Wahlen, im Dezember 2014 wird das so genannte „Knock-out-Gesetz“ von 1981 im norwegischen Parlament mit 54:48 Stimmen abgeschafft, gegen den Widerstand von vielen Politikern, Medizinern und vom Norwegischen Sportbund. Als die Entscheidung verkündet wird, kann Cecilia Braekhus gerade kaum laufen, bei ihrer letzten Titelverteidigung hat sie sich den Fuß gebrochen. Vor dem Fernseher hüpft sie auf ihrem gesunden Bein trotzdem herum wie ein glückliches Schulkind und reißt die Arme in die Luft, als habe sie gerade die ganze Welt auf die Bretter geschickt. Den Reportern in ihrer Heimat sagt sie einen Satz, den Zeitungen auf der ganzen Welt abdrucken: „Endlich bin ich nicht mehr kriminell.“ Sie kündigt an, so schnell wie möglich in Norwegen boxen zu wollen: „Ich werde dafür sorgen, dass es ein Volksfest wird.“

Cecilia Braekhus ist ihren Gegnerinnen meist athletisch überlegen, hier bekommt das die Amerikanerin Jill Emery zu spüren.
Cecilia Braekhus ist ihren Gegnerinnen meist athletisch überlegen, hier bekommt das die Amerikanerin Jill Emery zu spüren.

© Imago

Ein Jahr ist seitdem vergangen, wirklich weiter gekommen ist Braekhus aber nicht. „Es gibt noch starke Gegner, deshalb dauert es so lange“, sagt sie. Der Verband der norwegischen Neurologen warnt weiterhin vor Kopfverletzungen, die durch das Profiboxen verursacht würden. „Natürlich ist Boxen nicht für jeden der richtige Sport“, gibt Braekhus zu. Andere Sportarten wie Skifahren oder Reiten seien aber noch gefährlicher.

In der Hoffnung, sich in Norwegen selbst vermarkten zu können, hat sie 2015 Sauerland verlassen. Sie vertritt sich nun selbst, beraten von K2, der Firma der Gebrüder Klitschko. Auch ihr ehemaliger Chef Kalle Sauerland, dessen Firma seit Jahren „Nordic Fight Nights“ in Skandinavien organisiert, ist sehr interessiert daran, dass es in Norwegen endlich losgeht mit dem Profiboxen. „Die größte Hürde wurde letztes Jahr überquert“, sagt Sauerland am Telefon. Er ist gerade für einen Kampfabend in Kopenhagen, am nächsten Wochenende geht es in Nyköping in Schweden weiter, möglichst bald will er auch in Norwegen Kämpfe organisieren. Das Problem sei aber, sagt er, dass es noch keinen Verband und keine Infrastruktur gibt. „Die Sache scheint ein bisschen eingeschlafen zu sein. Das ist zumindest mein Gefühl“, sagt Kalle Sauerland.

Eigentlich gehe es nur noch um Details – die Anti-Doping-Regeln, die Anzahl der Runden, Lizenzierungsfragen. „Aber wie kann ich eine Lizenz beantragen, wenn es keine Adresse gibt, wo ich den Antrag hinschicken kann?“ Hinter den Kulissen gebe es nun auch einen Machtkampf um Posten und Ämter.

"Es hat mich viel Kraft gekostet"

Cecilia Braekhus’ Kampf ist kein schneller Schlagabtausch, sondern ein zähes, ermüdendes Ringen.

„Es hat mich viel Kraft gekostet, es gab frustrierende Momente“, sagt Braekhus über die vergangenen Monate und Jahre. Als Profisportlerin ist ihr auch viel Geld entgangen, weil sie nicht in ihrer Heimat boxen durfte. „Stellen Sie sich vor, Arthur Abraham dürfte nicht in Deutschland boxen. Da geht 80 Prozent des Geldes verloren“, sagt Kalle Sauerland. „Ich würde sagen, Cecilia sind mehrere Millionen Euro durch die Lappen gegangen.“ In Skandinavien ist man bereit, noch deutlich mehr Geld für Sportveranstaltungen auszugeben als in Deutschland. Erst recht für einen nationalen Star wie Cecilia Braekhus. In Norwegen wirbt sie für die größte Immobilienagentur des Landes. In einem wohlhabenden Land, in dem Wohneigentum selbstverständlich ist, geht es nicht seriöser.

Cecilia Braekhus, #undefeated, # undisputed, kann nicht mehr ewig warten. Wegen mehrerer Verletzungen hat sie seit mehr als einem Jahr nicht mehr geboxt. Mit 34 Jahren braucht sie länger, um wieder fit zu werden. Boxern kann es passieren, dass sie schnell altern.

Am 27. Februar wird sie wieder in den Ring steigen, um ihre WM-Gürtel zu verteidigen. Nicht in Bergen oder Oslo und auch nicht als main event des Abends, sondern in Halle/Westfalen im Rahmenprogramm von Marco Huck. Ihre Fans in Norwegen werden vor dem Fernseher sitzen, ihr TV-Vertrag in der Heimat – sie ist weltweit die einzige Boxerin mit einem Pay-per-view-Deal – läuft noch drei Jahre.

Bis zum Kampf in Halle, so hofft sie, könnten alle Details in ihrer Heimat geklärt sein. Im Sommer, endlich, will sie zuhause boxen. „Die Regierung hat es im Wahlkampf versprochen“, sagt sie ernst. „Wenn sie nicht schlecht aussehen wollen, müssen sie es jetzt umsetzen.“ Einen ausländischen Promoter bräuchte sie in Norwegen nicht mehr, ihr Anteil an den Einnahmen und Ticketverkäufen wäre viel größer als in Deutschland, die ganze Kontrolle über die Sportlerin und das Produkt Cecilia Braekhus läge bei ihr selbst.

Die Königin hätte endlich ein Reich zum Regieren.

Der Traum: Vor 15.000 Menschen in Oslo kämpfen

Obwohl Cecilia Braekhus in Kolumbien geboren ist und gerne in Berlin lebt, fühlt sie sich hundertprozentig als Norwegerin. Auch deswegen will sie ihrem Beruf endlich in ihrer Heimat nachgehen dürfen. Ihr Kampf abseits des Ringes hat sie verändert, auch ihre Landsleute haben heute einen ganz anderen Blick auf sie als zu Beginn ihrer Karriere. „Ich werde nicht nur als Sportlerin wahrgenommen“, sagt sie. „Ich finde es gut, dass die Leute wissen, dass ich nicht nur eine Boxerin bin. Sondern meinen Kopf auch für andere Dinge benutze.“ Am liebsten aber würde sie den Leuten endlich live und vor Ort vorführen, was sie am besten kann. Vielleicht schon im Sommer, am liebsten vor 15 000 Zuschauern in der Telenor-Arena von Oslo, der größten Halle des Landes.

„Ich bin ganz sicher dieses Mal“, sagt Cecilia Braekhus. „Noch ein paar Gespräche, dann wird es schnell gehen.“ Sie hat ihren Gegner nach zwölf langen, harten Runde in der Ecke. Nur der entscheidende Schlag fehlt noch.

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