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 Rainer Nittel, 47, ist seit 2011 Sportdirektor des Deutschen Curling-Verbands. Zuvor war der ehemalige Eishockey-Bundestrainer der Frauen Sportdirektor beim Deutschen Hockey-Bund.

© dpa

Curling: Rainer Nittel: „Eine Sportart wird fallen gelassen“

Sportdirektor Rainer Nittel spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über die Streichung der Fördermittel und das mögliche Ende des deutschen Curlings.

Herr Nittel, dem Deutschen Curling-Verband soll die komplette staatliche Förderung gestrichen werden. Wie groß ist der Schock bei Ihnen als Sportdirektor?

Das ist ein ganz, ganz harter Schlag. Nicht nur für uns als Verantwortliche für den Leistungssport, sondern für den ganzen Verband. Sollte diese Entscheidung wirklich umgesetzt werden, kann das deutsche Curling so schnell nicht wieder aufstehen.

Seit wann wissen Sie von den Plänen des Bundesinnenministeriums und des DOSB, des Deutschen Olympischen Sportbunds?
Wir haben bisher nur die mündliche Aussage des DOSB, dass Curling aus der Sportförderung gestrichen werden soll, sofern unsere Bundesmittel nicht aufgestockt werden. Wir hatten für 2015 zusätzlich zu unserer bisherigen Förderung von 330 000 Euro einen Mehrbedarf von 206 000 Euro angemeldet.

Das Innenministerium äußert sich bislang nicht offiziell, DOSB-Präsident Hörmann spricht aber schon von einer „schmerzvollen und unerfreulichen“ Entscheidung. Was wären die Konsequenzen für Sie?
Unser Verband würde das komplette hauptamtliche Personal verlieren. Allen fünf Angestellten sowie 15 bis 20 Honorarkräften vom Nachwuchs bis in die Spitzenkader wurde bereits zum Jahresende gekündigt. Auch die Sportstätten und Leistungszentren sind betroffen. Wir haben heute einen Ausgabestopp für alle Maßnahmen verhängt, die Wettkämpfe im Jahr 2015 betreffen. Wir werden kein Team zur Qualifikation für die Junioren-EM schicken können und unser Sichtungsprogramm für die Youth Olympics beenden. Wir müssen alles stoppen, um die Teilnahme an den Europameisterschaften – möglicherweise unsere letzten Europameisterschaften – absichern zu können. Der Curling-Verband geht kaputt.

Könnte Curling in Deutschland komplett verschwinden?
Definitiv. Ich rechne mit einem klaren Mitgliederschwund. Curling wird nur noch punktuell und breitensportlich auftauchen. Aus unseren eigenen Mitteln sind Nachwuchsförderung und Leistungssport nicht zu bewältigen. Die Streichung der Mittel wäre das Ende des Sportbetriebs.

Sie sind mit rund 700 Aktiven der kleinste olympische Sportverband in Deutschland. Können Sie die Entscheidung nachvollziehen, gerade im Curling zu sparen?
Nein. Eine ganze Sportart wegzuwischen, steht im klaren Widerspruch zum Präsidiumsbeschluss des DOSB, alle Sportarten zu fördern.

Können Sie sich erklären, wie es zu diesem Schritt kommen konnte?
Wir haben bis heute keinerlei Informationen darüber. Es gibt auch noch keine schriftliche Bestätigung, immer nur mündliche Informationen. Wir warten seit Wochen auf ein Zeichen. Vielleicht hat es uns einfach erwischt, weil wir der kleinste Verband sind.

Sie kennen sich nicht nur im Curling aus, sondern waren auch Eishockey-Bundestrainer der Frauen, Leistungssport- Referent beim DOSB und Sportdirektor beim Deutschen Hockey-Bund. Hätten Sie angesichts Ihrer Erfahrungen diese Entscheidung für möglich gehalten?
Ich hatte immer Vertrauen in unser Sportsystem. Ich hätte nie gedacht, dass eine Sportart einfach so fallen gelassen wird. Mein Vertrauen ist stark erschüttert.

DOSB-Präsident Hörmann sagt, die Entscheidung verdeutliche, dass der Leistungssport in Deutschland an einem Scheideweg steht. Ist Curling womöglich nur die erste Sportart, die die Förderung verliert?
Wir haben immer mehr Disziplinen, wir wollen uns mit der Weltspitze messen, wie haben finanziellen Mehrbedarf. Aber die Haushalte bleiben gleich. Wenn der DOSB diesen jetzt eingeschlagenen Weg der Streichungen weiter verfolgt, wird Curling zwar der erste und kleinste Verband sein, den es trifft – aber nicht der letzte. Wir denken über Olympiabewerbungen mit München 2018 oder Hamburg und Berlin 2024 nach. Aber haben wir dann überhaupt noch Sportler?

Auch Sie selbst haben Ihre Kündigung erhalten, mit Resturlaub sind Sie nur noch eine gute Woche bis Ende Oktober im Amt. Was kommt danach für Sie?

Da ich aus dem Leistungssport komme, ist es für mich selbstverständlich, bis zum letzten Stein zu kämpfen – um in der Curling-Terminologie zu bleiben. Aber ich muss auch akzeptieren, wenn es entsprechende arbeitsrechtliche Regelungen gibt. Ich werde das alles sacken lassen und mich dann neu orientieren. Müssen.

Das Gespräch führte Lars Spannagel.

Rainer Nittel, 47, ist seit 2011 Sportdirektor des Deutschen Curling-Verbands. Zuvor war der ehemalige Eishockey-Bundestrainer der Frauen Sportdirektor beim Deutschen Hockey-Bund.

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