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Dagmar Freitag, 59, gehört seit 1994 für die SPD dem Deutschen Bundestag  an und ist Vorsitzende des Sportausschusses. Außerdem ist die Sport- und Englischlehrerin Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbands. Foto: dapd

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Sport: „Das ist Unsinn und auch ein wenig überheblich“

Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Bundestagssportausschusses, über die Zielvereinbarungen für Olympische Spiele und die Reform der Sportförderung.

Frau Freitag, die Zielvorgaben für die olympischen Sportverbände haben viel Aufregung verursacht. Wussten Sie im Sportausschuss, welcher Verband in London wie viele Medaillen gewinnen sollte?

Das Parlament hat erst zeitgleich mit der Öffentlichkeit ein Papier vom Bundesinnenministerium bekommen – allerdings nur eine schlichte Zusammenstellung auf einer Seite, nicht die Vereinbarung im Original. Aus dieser Seite geht nur hervor, wie viele Goldmedaillen mit den Verbänden fixiert wurden, über sonstige Inhalte, Silber-, Bronze- oder Finalplatzierungen, ist nichts bekannt. Man hat sich offenbar beim Bundesinnenministerium und beim Deutschen Olympischen Sportbund entschlossen, die kleinstmögliche Information herauszugeben. Das hat mit Transparenz nicht viel zu tun.

Wie werden Sie darauf reagieren?

Ich habe dieses Vorgehen schon mehrfach kritisiert und bin sicher, dass wir in der nächsten Sitzung des Sportausschusses am 26. September noch einmal intensiv darüber diskutieren werden. Da werden Zielvereinbarungen sowie die erreichten Leistungen eine Rolle spielen, denn die Diskrepanz ist nun einmal erheblich.

Weil die Leistungen zu schlecht waren oder die Zielvorgaben zu hoch?

Ich sehe das Ergebnis unseres Olympiateams durchaus positiv. Erstens spielen wir im Konzert der erfolgreichen Nationen mit. Zweitens muss man sehen, dass China und die Vereinigten Staaten eine ganz andere Bevölkerungszahl haben. Drittens verschreiben wir uns einem sauberen Sport, und man verliert eben auch mal gegen Sportler aus Ländern, in denen Dopingbekämpfung eine eher untergeordnete Rolle spielt. Ich hätte unseren Athletinnen und Athleten diese Diskussion um das Abschneiden gerne erspart. Das hat die Mannschaft nicht verdient.

Die Zielvereinbarung war dennoch das Thema in der Bilanz des DOSB, des Deutschen Olympischen Sportbunds.

Die Ursache ist eindeutig in dieser seltsamen Informationspolitik von DOSB und Bundesinnenministerium zu suchen. Das Grundproblem liegt für mich aber in den Zielvereinbarungen selbst.

Setzt eine Zielvorgabe Sportler nur unnötig unter Druck?

Es ist sehr sinnvoll, sich Ziele zu setzen, das macht man im Beruf und im Privaten, im Spitzensport erst recht. Aber zu meinen, man könne vier Jahre im Voraus festlegen, in welchen Sportarten welche Medaillenfarben erreicht werden sollen, das hat nicht mal mehr etwas mit Planwirtschaft zu tun. Das ist Unsinn und vielleicht auch ein wenig überheblich.

Was muss sich ändern?

Ich wünsche mir, dass auch mal andere Stimmen einbezogen werden als diejenigen, die diese Zielvereinbarungen erarbeitet haben; dass anerkannte Fachleute wie der Kölner Professor Jochen Mester mit seinem Team, Professor Eike Emrich oder Arne Güllich an der Diskussion über eine Reform der Spitzensportförderung beteiligt würden. Wenn das Ergebnis wieder nur in einem geschlossenen Kokon diskutiert wird, werden wir keinen echten Schritt nach vorn kommen.

Die Zielvereinbarung als Fördervereinbarung zu lesen, wie der DOSB es vorgeschlagen hat, reicht Ihnen also nicht?

Diese semantische Übung war der fast verzweifelte Versuch, die Deutungshoheit über dieses Desaster zu behalten. Es grenzt schon an Legendenbildung, jetzt so zu tun, als ob es feste Vereinbarungen nie gegeben habe und es sich allein um ein Formulierungsproblem handeln würde. Wir brauchen stattdessen eine sportwissenschaftliche und gesellschaftliche Diskussion darüber, wie man einen erfolgreichen und verantwortbaren Spitzensport organisieren kann.

Hoffen Sie dabei auch auf Unterstützung der Fachverbände? Die stehen jetzt auch in schlechtem Licht da.

Ja, natürlich, und ich würde zusätzlich empfehlen, den Hinweisen von aktiven und ehemaligen Athletinnen und Athleten Gehör zu schenken. Viele sind bereit, ihr Know-how einzubringen.

Der Bundesinnenminister hat seine zunächst ablehnende Haltung zur Veröffentlichung der Zielvereinbarungen damit begründet, dass die Verbände ja geschützt werden müssten.

Da empfehle ich einen Vergleich mit anderen Ländern, Dänemark oder Großbritannien. Da kann jeder Sportler und jeder Bürger nachlesen, was vereinbart wurde.

Sie sind also überzeugt, dass es einen anderen Weg gibt?

Das Problem ist, dass wir den bisherigen Weg nach wie vor nicht genau kennen. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob auch positiv bewertet wird, wenn Athleten ihre Jahresbestleistung oder persönliche Bestleistung beim Saisonhöhepunkt, also den Olympischen Spielen, erbringen. Genau das aber zeichnet erfolgreiche Athleten und ein gutes Betreuungsumfeld aus, auch wenn es dann trotzdem nicht zu einer Medaille reicht.

Einige Athleten wie der Judoka Ole Bischof haben sich darüber beklagt, dass deutsche Medaillengewinner viel geringer belohnt werden als in anderen Ländern. Sollte daran etwas verändert werden?

Ich kenne die Diskussion und würde dringend empfehlen, genau hinzuschauen, über welche Länder wir reden. Häufig genug schaut man dann auf Länder, die den Sport für ihre Zwecke missbrauchen. Ich persönlich möchte jedenfalls in solchen Ländern nicht leben, weil mir unsere demokratische Grundordnung und unsere gesellschaftlichen Werte sehr viel bedeuten. Dann relativiert sich auch die Frage der Prämienhöhe. Ich glaube schon, dass wir uns mit unserer Sportförderung insgesamt nicht verstecken müssen.

Spitzensportler werden wegen der Prämien nicht auswandern, Trainer tun dies dagegen regelmäßig. Sollte man sie durch höhere Prämien zum Bleiben bewegen?

Nicht durch Prämien, sondern durch eine bessere Gehaltsstruktur. Wenn sich junge Menschen als Trainer ausbilden lassen wollen, ist es für sie auch entscheidend, wie ihr zukünftiges Gehalt aussehen wird. Wenn wir unsere besten Absolventen als Trainer für unsere besten Athleten bekommen wollen, müssen wir sie gut bezahlen. Ihr Gehalt sollte zumindest konkurrieren können mit dem öffentlichen Dienst, mit dem Schuldienst zum Beispiel. Von dem Prämiensystem, das Schwarz-Gelb eingeführt hat, halte ich wenig, weil es letztlich das Gehalt eines Trainers auch davon abhängig macht, ob sein Athlet am Tage X die Erwartungen erfüllen kann. Und was ist, wenn der Athlet genau dann einen schlechten Tag oder einfach Pech hat?

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

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