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Sport: Der Gondoliere von Leipzig

Kanute Robert Nuck war ein Talent, dann stürzte er sportlich ab. Nach einer kuriosen Rückkehr fährt er nun bei der WM

Berlin - Am Abend vor dem Abflug hat Robert Nuck noch gegrillt. Die ganze Kanu-Nationalmannschaft war da, sie feierte in Duisburg gleich neben dem Leistungszentrum. Eine letzte lockere Runde vor den harten Wettkämpfen. Nuck ist am Abend bald aufgebrochen, der Flug nach Zagreb zur Weltmeisterschaft ging am nächsten Morgen um 5.30 Uhr. Nuck möchte eine Medaille. „Das ist das Mindeste“, sagt er. Gold aber wäre toll. Gold hat er mit dem Vierer-Canadier im Juli schon bei der EM gewonnen. Aber die WM, die heute beginnt, ist stärker besetzt. Nuck ist der wichtigste Mann im Vierer-Canadier, er ist der Schlagmann. Ein Regisseur mit 22 Jahren. „Eine Führungspersönlichkeit“, sagt Kay Vesely, der Bundestrainer. Er ist auch Nucks Heimtrainer.

Vor einem Jahr hatte Vesely noch abgewinkt beim Namen Nuck. Kein Biss, kein Wille, dieser Mann. Und vor einem Jahr hätte Nuck beim Grillen noch Bier getrunken und bis in die Nacht gefeiert, ganz gleich, was am nächsten Morgen anstand. Denn vor einem Jahr war das einzige Boot, das Nuck interessierte, eine Gondel. Er war Gondoliere in Leipzig. Mehr nicht.

Nuck, der Schlagmann, das klingt nach der Geschichte eines steilen Aufstiegs. In Wirklichkeit ist es die Rückkehr eines Gefallenen.

Robert Nuck ist zweifacher Junioren-Weltmeister. 1999 siegte er mit dem Einer-Canadier, 2001 mit dem Zweier. Es war einer dieser Sportler, die vom reinen Talent leben. „Ich habe mich nicht als Hochleistungssportler gefühlt“, sagt Nuck. Er war jung, er war Gymnasiast, er hatte seine Clique, er ging zu Partys, er trank Bier, und eines Tages kiffte er auch. Es war der 24. Mai 2002. Nuck dachte sich nichts dabei. Bis er ein paar Stunden später diesen Anruf erhielt: Dopingkontrolle. Die Probe war positiv, Nuck wurde sechs Monate gesperrt. „Ich habe das gar nicht ernst genommen“, sagt er. „Das war für mich keine Strafe.“

20. März 2003, wieder eine Party. Nuck kifft erneut. Stunden später wieder eine Dopingkontrolle. Nuck verweigert sie. Das gilt wie ein positiver Test. Jetzt dauert die Sperre zwei Jahre. Und jetzt muss Nuck „doch einiges verdauen“. Vor allem die Mutter „ist jetzt richtig erbost“. Die sportliche Karriere ist zu Ende, zwei Jahre Pause will er nicht überbrücken.

Er braucht Geld, beim Zivildienst verdient er nicht viel. Über einen Freund kommt er zu einem Italiener, der in Leipzig eine Gondel übers Wasser schiebt. Nuck lernt, die Gondel zu führen, er ist jetzt Gondoliere. Bis im Frühjahr 2004 plötzlich der Leipziger Kanute Christian Gille, zweifacher Weltmeister, auf seinem Boot steht. Sie waren früher beim gleichen Klub. Mit Gille kommt Sönke Wortmann, der bekannte Regisseur. Er dreht für den Olympia-Bewerber Leipzig einen Werbefilm. Der Spot soll später im Fernsehen laufen. Dass Leipzig kurz darauf in der Vorauswahl der Bewerberstädte scheitern wird, ahnt Wortmann nicht. Gille ist ein bekannter Sportler in Leipzig, die Gondel ein gutes Motiv, Gille soll den Gondoliere spielen.

Nuck muss sich in einem Hohlraum verstecken, während Gille am Ruder steht und Wortmann filmt. Der Regisseur hat für jeden Take 30 Sekunden Zeit. Dann hastet Nuck wieder ans Ruder, damit die Gondel nicht etwa eine Brücke rammt. Später reden Gille und Nuck über den Sport. „Willst du nicht wieder anfangen?“, fragt Gille. Nuck überlegt. Ja, ich will, beschließt er irgendwann. Es ist Herbst 2004.

In Leipzig arbeitet Vesely als Trainer, und er ist misstrauisch. Er gibt Nuck ein altes, langsames Boot zum Trainieren, er will sehen, ob Nuck sich durchbeißt. Der Dopingsünder, gesperrt bis 20. März 2005, gibt eine eindrucksvolle Antwort. Er trainiert hart. Und im Verein hört „er keine dummen Sprüche wegen früher“.

Dann die Sichtung im Frühjahr in Duisburg, Nuck wird zweimal Fünfter im Einer-Canadier. „Damit hätte ich nie gerechnet.“ Vesely ist beeindruckt. Er wertet jetzt mit Nuck intensiv Videos aus. Das ist der Punkt, an dem der Athlet spürt, dass er von dem Coach ernst genommen wird.

Und Nuck rückt in den Kader der Nationalmannschaft auf. Er wird so gut, dass Vesely ihn zum Schlagmann im Vierer macht. Die anderen im Boot hätten damit kein Problem, sagt Nuck. „Den Respekt habe ich mir sportlich erarbeitet.“ Die Joints von früher sind kein Thema mehr. „Eine dumme Jugendsünde“, sagt Nuck heute. Er geht nur selten zu Partys, er trinkt kaum noch Alkohol. Nicht mal das Studium, Geschichte und Sport, zieht er richtig durch. Er war zuletzt kaum an der Uni, er trainiert sechs Tage pro Woche, jeweils sieben Stunden. „Ich fühle jetzt Verantwortung“, sagt Nuck.

Er wird wieder als Sportler wahrgenommen, das ist ihm schon bewusst. Aber er hat nicht geahnt, wie viele ihn so sehen. Nach der EM, sagt er fast ergriffen, „habe ich sogar Fanpost bekommen“.

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