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Sport: Der Trainer beugt die Regeln

Die Methoden von Tunesiens Coach Sead Hasanefendic sind umstritten

Für ihn ist es ein Rendezvous mit der Vergangenheit. „Oh, oh, oh“, grinst Sead Hasanefendic schelmisch, „schon wieder Dortmund und schon wieder Deutschland.“ Wenn der Trainer der tunesischen Auswahl am heutigen Hauptrundenspieltag der 20. Handball-Weltmeisterschaft auf Deutschland trifft (16.30 Uhr, live im ZDF), dann wiederholt sich für ihn Geschichte. Bereits vor 25 Jahren, als die WM letztmals in Deutschland ausgetragen wurde, stand er als Trainer dem Gastgeber gegenüber, ebenfalls in Dortmund, ebenfalls in der Hauptrunde, nur eben damals noch für die Schweiz tätig. Und das, was sich damals am 4. März 1982 in der Westfalenhalle zutrug in den letzten Minuten, mit Hasanefendic in der Hauptrolle, war wohl einmalig: 22 Sekunden vor dem Abpfiff hatten die Schweizer, obwohl in Unterzahl spielend, zum 16:16 ausgeglichen, und nun stürmte die deutsche Mannschaft nach vorn. Und dann, als Erhard Wunderlich sich anschickte, zum Sprungwurf hochzusteigen, merkte er, dass ihn von hinten jemand klammert. „Ich fragte mich: Wo kommt der auf einmal her?“, erzählt Wunderlich. Es war der Schweizer Spieler Peter Jehle, den Hasanefendic mit dem Kommando „Los, halt ihn fest!“ aufs Spielfeld gestoßen hatte – als sechsten Feldspieler.

Jehle jedenfalls verhinderte den Sieg der Mannschaft von Vlado Stenzel und damit das Spiel um die Bronzemedaille. Am Ende sprang für Deutschland nur ein siebter Rang heraus. Die Schweiz wurde WM-Zwölfter. Dass Peter Jehle die deutsche Überzahl aufgehoben hatte, merkte keiner im allgemeinen Chaos. Erst am Morgen danach bemerkte Wolf Günthner, ein Reporter der Stuttgarter Zeitung, diese Regelwidrigkeit, als er das Spiel noch einmal auf Video studierte. Dadurch aufgeschreckt, legten die Funktionäre des Deutschen Handball-Bundes (DHB) sofort Protest ein, aber das kam zu spät – er hätte spätestens eine Stunde nach Abpfiff eingereicht werden müssen. Danach ließ sich Hasanefendic in der Schweiz für seine Cleverness und Geistesgegenwärtigkeit feiern. Für Bundestrainer Heiner Brand, der zwar nicht betroffen war, da er 1980 aus der Nationalmannschaft zurückgetreten war, stellt diese Geschichte freilich „kein Ruhmesblatt dar. Das ging über Schlitzohrigkeit hinaus.“ Gewarnt ist er jedenfalls allemal vor dem wegen seiner Methoden umstrittenen 58-jährigen Kroaten, der zwischen 2002 und 2004 den VfL Gummersbach erfolgreich coachte und schon deshalb „unbedingt zum Viertelfinale nach Köln“ möchte.

In Tunesien hat „Said Hasane Fendic“, wie er dort nur heißt, längst den Status eines Volkshelden erreicht. Als er 2004 nach Nordafrika kam und das Team innerhalb von nur acht Monaten zum vierten WM-Rang coachte, der besten Platzierung der Geschichte, wurde er gefeiert wie ein König.

Hasanefendic besitzt in Tunesien umfassende Vollmachten, und seinen Einfluss vergrößerte noch der Gewinn der Afrikameisterschaft 2006 sowie der sensationelle Auftritt beim World-Cup Ende Oktober 2005 in Schweden. Damals war sein Team um Star Wissem Hmam vom HB Montpellier, dem Torschützenkönig der letzten WM (81 Treffer), im Finale nur zwei Sekunden von einem Sieg gegen Olympiasieger Kroatien entfernt und verlor schließlich nur per Siebenmeterwerfen. „Die Tunesier haben sich taktisch und technisch stark weiterentwickelt“, war auch Bundestrainer Heiner Brand beeindruckt. Hasanefendic war damals die Genugtuung über diesen Beinahe-Coup anzusehen. Bevor er mit dem tunesischen Präsidenten zum Liveinterview schritt, sagte er: „Alle haben behauptet, der vierte Platz bei der Weltmeisterschaft 2005 sei auf den Heimvorteil zurückzuführen, jetzt haben wir das Gegenteil bewiesen.“ Dass Sead Hasanefendic auch in der Fremde nicht die Nerven verliert, hatte er freilich schon 1982 gezeigt, in diesem legendären WM-Spiel gegen die Deutschen.

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