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Deutsche und holländische Fans beim gemeinsamen Feiern vor dem Spiel in Charkiw.

© dapd

Deutsch-Holländische ( Fußball-) Beziehungen: Ende der Feindseligkeiten

Die Zeiten von Hass und Kriegsmetaphern zwischen deutschen und holländischen Fußballfans sind vorbei, stellt unser Autor und Niederlande-Experte Rolf Brockschmidt erfreut fest. Als Student in den 70ern hat er noch ganz andere Dinge erlebt.

1974 war in jeder Hinsicht ein besonderes Jahr. Die Niederlande und Deutschland standen bei der Weltmeisterschaft im Endspiel und ich hatte im Sommersemester 1974 mit dem Studium der Niederlandistik an der Freien Universität Berlin begonnen. Ich war kein ausgesprochener Fußballfan und die deutsche Nationalmannschaft mit ihrer Kampfsportmanier, gepaart mit Überheblichkeit, gefiel mir gar nicht. Da bot sich doch mit dem neuen Fach und der WM eine Alternative an. Ich wurde Oranje-Fan – sehr zum Ärger meiner Landsleute. Dass die Niederländer auch nicht verlieren können, habe ich damals auch schon erfahren. Nach einem „Private-Viewing“ des Instituts-Establishments, zu dem ich noch nicht gehörte, hatte ein niederländischer Veteran des Instituts seinen Fernseher durchs Fenster dem Kreuzberger Hinterhof übereignet.

Ich trage manchmal gerne eine orangefarbene Krawatte oder zog auch noch bei der letzten EM rein zufällig ein orangefarbenes Polohemd zur Arbeit an. Gestern grübelten die Kollegen, was ich wohl tun würde. Kein Oranje dieses Mal. Ich hatte mich für die deutsche Mannschaft entschieden. Schon die Holzhackerpartie im Endspiel gegen Spanien bei der WM in Südafrika hatte mich tief enttäuscht. Und gefreut hat es mich auch, dass ich mich nicht zum Fußballchauvi entwickelt hatte, sondern auch eine niederländische Freundin hinterher bekannte, dass die Niederländer grottig gespielt hätten und dass es schade sei, dass Deutschland ausgeschieden sei. Verkehrte Welt?

Nein, im deutsch-niederländischen Verhältnis ist Realität eingekehrt. Und das ist gut so. Die Niederländer führen die Reihe ausländischer Touristen an, es gefällt ihnen bei uns und sie mögen auch den deutschen Fußball. Vielleicht ist es so, sage ich als Laie, dass wir vielleicht jetzt so spielen wie die Niederländer damals und umgekehrt.

Und spätestens seit der WM 2006 sind auch diese ewigen Beschwörungen der Todfeinde und Erzrivalen - man nannte die Daten 1974 und 1990 wie bei Weltkriegsveteranentreffen – vergessen.

Bildergalerie: Wie deutsche und holländische Fans das Spiel feierten:

Wenn ich dann ins Internet schaue, stelle ich mit Zufriedenheit fest, dass die deutsch-niederländischen (Fußball-) Beziehungen gefestigt sind. „Nichts verkehrt mit den Deutschen. Ein ordentliches Volk, von dem mancher Niederländer noch etwas lernen kann“, schreibt Leser Harmen50 an „de Volkskrant“. Und Gerrit Bakker regt sich darüber auf, dass „de Volkskrant“ unter der Überschrift „Was ist mit dem Deutschen-Hass geschehen?“ wieder das berüchtigte Lama-Foto von Rijkaard und Völler zeigt. „Warum muss die Erinnerung wieder zurückgerufen werden?“, schreibt er, der den Krieg als Kind erlebt hat. „Ich habe jetzt feine respektvolle Freunde unter Deutschen. Und dann so ein übles Foto. Da müsste sich eine ordentliche Zeitung für schämen.“

Es ist ein Vergnügen, als Niederlandist, der in den siebziger Jahren studiert hat, diese überwiegende positiven Kommentare zu lesen, Deutschland als Musterland, eine vorbildliche Demokratie, ein Land, das etwas leistet. Und der Hass, der immer – meist von Medien im Rahmen einer gewünschten Zuspitzung abgefragt wird – er spielt keine Rolle mehr. Das ist vorbei. Die ganzen Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg sagten den Fußballspielern von heute nichts mehr, mein Volkskrant-Sportredakteur Willem Vissers. Das sei auch eine Frage der Generation. „Und die Deutschen spielen nun auch anders Fußball. Sie spielen den Fußball, den wir spielen sollten, hört man schon manchmal.“ Vielleicht lag der Wendepunkt schon bei der WM 2006. „Das war doch damals sehr gut organisiert, jeder war furchtbar nett und dann hat Oranje doch erlebt, dass die Deutschen gar nicht diese fürchterlichen Menschen sind.“

Bildergalerie zur EM: Ein Leitfaden für Fußball-Unkundige:

Hanco Jürgens vom Deutschland-Institut der Universität Amsterdam verwahrt sich schon zu Beginn seines Beitrages gegen den Begriff Hass. Kurz nach dem Krieg sei das der Fall gewesen, aber schon bald habe man miteinander Handel getrieben. „Viel wichtiger ist es, dass wir nach dem Fall der Mauer in einem neuen Europa leben. Wir sind abhängig von Deutschland. Zeit spielt eine sehr wichtige Rolle. Die heutigen Politiker haben den Krieg selber nicht mehr erlebt.“

„Warum sollten so viele Menschen ohne Erinnerung an den Krieg noch anti-Deutsch sein?“ fragt auch Leon de Winter in „de Volkskrant“. „Wenn wir mit Deutschen sprechen, stellt sich heraus, dass es oft kultivierte Menschen mit Manieren sind.“

„Die Deutschen arbeiten härter und stellen qualitativ bessere Dinge her“, schreibt Teil Uilenspiegel in der Online-Diskussion.

Ich habe es nicht bereut, der deutschen Mannschaft dieses Mal beigestanden zu haben. Gut zu sehen, dass heute ein Schweinsteiger  einen van Bommel tröstend umarmt. Die Zeit der Lamas ist vorbei, die Beziehungen normalisieren sich – und auch das Verhältnis zur eigenen Mannschaft und zu den eigenen nationalen Symbolen. Ich bin gespannt, wie es weiter geht.

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