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Blau-weiß war einmal. Änis Ben-Hatira kickt künftig in Frankfurt.

© dpa/Steffen

Die Boatengs, Dejagah, Ebert, Ben-Hatira: Hertha BSC und die verschwundene Generation

Änis Ben-Hatira verlässt als letzter Vertreter der Boateng-Ära seinen Klub Hertha BSC. Woran liegt es, dass diese Generation bei den Berlinern kaum Spuren hinterlässt?

Zum Abschied gab es keinen sanften Akkord, sondern ein heftiges Tremolo. Was da nun genau passiert ist, irgendwo zwischen Bremen und Berlin, wird wohl nicht lange dort bleiben, wo es alle Beteiligten wohl ganz gern gehabt hätten, nämlich im Mannschaftsbus von Hertha BSC. Dafür ist die Branche zu geschwätzig. Auf Berliner Seite verweisen sie auf eine ziemlich einseitige Angelegenheit, auf einen Schlag von Änis Ben-Hatira in das Gesicht des Kollegen Mitchell Weiser. Zwei Tage später war Ben-Hatira zu Eintracht Frankfurt transferiert. Bei seiner Vorstellung hätte er dazu wohl ganz gern zwei, drei einordnende Sätze gesagt, aber neben ihm saß wachend sein Berater, auf dass der schwer angeschlagene Ruf nicht noch größeren Schaden nehme.

Sportlich hält sich der Verlust für Hertha BSC in Grenzen, denn seinem Job als offensiver Mittelfeldspieler war Ben-Hatira schon länger nicht mehr nachgegangen. So stand das Ende im Streit vor allem als Symbol. Für den endgültigen Abschied der Generation Boateng, von der doch kaum noch jemand weiß, dass es sie bei Hertha BSC einmal gegeben hat – und dass Änis Ben-Hatira auch dazu gehörte.

Ist ja auch schon ein Weilchen her, genau genommen achteinhalb Jahre (im Falle Ben-Hatira sogar neuneinhalb). In der Saison 2006/07 bestand der Berliner Kader zu einem größeren Teil aus Spielern aus der eigenen Jugend. Die prominentesten waren die Gebrüder Boateng. Kevin-Prince kam in jener Spielzeit auf 21 Bundesligaspiele, Jerome auf zehn. Um sie scharten sich Ashkan Dejagah (25), Patrick Ebert (19), Chinedu Ede (15) und Christian Müller (6). Änis Ben-Hatira verdingte sich da schon beim Hamburger SV und Sejad Salihovic in Hoffenheim. Alle brachten sie es zu Bundesligaspielern und prägten aus der Ferne das Bild vom Ausbildungsbetrieb Hertha BSC.

Vielleicht lag es an der Ballung von zu viel Talent und Übermut in der Kabine

Es ist keine Erfolgsgeschichte geworden. Vielleicht lag es an der Ballung von zu viel Talent und Übermut in der Kabine. Erfüllt wurden weder die Erwartungen der Spieler, noch die von Hertha BSC. Es gab Geld, elf Millionen Euro für die Boatengs, der Rest fiel nicht ins Gewicht. Eine große Karriere machte allein Jerome Boateng, er landete über Hamburg und Manchester beim FC Bayern und zählt heute zu den besten Innenverteidigern der Welt. Kevin-Prince verschluderte sein Talent in Tottenham, hatte ein kurzes Hoch beim AC Milan, wurde auf Schalke nie glücklich und kämpft jetzt abermals in Mailand um Reputation.

Dejagah, der mit großartigen Anlagen gesegnete Offensivgeist, wurde mit Wolfsburg Deutscher Meister, versauerte in Fulham und kickt jetzt in Katar, abseits jeder Aufmerksamkeit wie auch Salihovic (China). Müller war fast Sportinvalide und hat sich in Bielefeld auf bescheidenem Niveau gefangen. Ede kam in dieser Saison auf 14 Spiele bei Twente Enschede, dem 14. der niederländischen Eredivisie.

Patrick Ebert ist nach Stationen in Valladolid und Moskau im Madrider Vorortklub Rayo Vallecano gelandet, wo er gerade einen Achillessehnenriss auskuriert. Ihn hatte es am längsten bei Hertha gehalten, als eine Art Krisengewinnler der jugendlichen Abwanderungswelle. Über Jahre hatte Hertha versucht, den Mittelfeldmann als Identifikationsfigur für die Fans in der Ostkurve des Olympiastadions aufzubauen. Ebert blieb auf dem Platz vieles schuldig. Jenseits davon trug er bei der Affäre um abgetretene Autospiegel bei einem nächtlichen Spaziergang mit Kevin-Prince Boateng auch nicht zur Mehrung des Vereinsansehens bei. Im Sommer 2012, nach dem zweiten Abstieg in zwei Jahren, war Schluss für ihn in Berlin.

Auch mit Ben-Hatira, 2011 zurückgekehrt, versuchte Hertha eine lokale Identitätsoffensive. Der damalige Trainer Jos Luhukay gab ihm das Trikot mit der prestigeträchtigen Nummer 10, die Homepage des Klubs pries mit unverhohlenem Pathos an: „Er verkörpert das blau-weiße Berlin wie kein anderer.“ Vor einem Jahr nun haben sie bei Hertha die Rolle des Local Players neu vergeben. Der Trainer Pal Dardai romantisiert gern von seinem „blau-weißen Blut“, für Ben-Hatira fand er keine Verwendung mehr. Erst recht nicht, als dieser nach frisch auskurierter Verletzung gegen Dardais ausdrücklichen Rat zu einer Länderspielreise aufbrach – und mit frisch aufgebrochener Verletzung zurückkam. In der laufenden Bundesligasaison machte er kein einziges Spiel.

In Frankfurt bekommt Ben-Hatira, wie schon 2006 als 18-Jähriger beim HSV, die Rückennummer 32 und einen Vertrag bis zum Ende dieser Saison. Mit 27 spielt er dort angeblich für ein besseres Lehrlingsgehalt.

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