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Sport: Die Grenzgängerin Zwischen Litauen und Berlin: Ruta Budiene, Tischtennisprofi

Berlin. Zurzeit ist sie wieder nicht in Berlin.

Berlin. Zurzeit ist sie wieder nicht in Berlin. Ruta Budiene erholt sich – vom Stress eines Tischtennis-Profis. Sie versucht, neue Kraft zu tanken. Das macht sie am liebsten bei ihrer Familie und ihren Freunden, in Litauen. Die 26-Jährige spielt schon ihre sechste Saison beim Bundesligisten 3B Berlin. Mit den Jahren ist die deutsche Hauptstadt zwar mehr und mehr zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden, und Rainer Lotsch, Manager des Vereins, sagt sogar, dass sie sich in Berlin bereits besser auskenne als er. Das mag sein. Aber eines wird Berlin niemals werden, da ist sich Budiene sicher: „Meine Heimat ist Litauen.“

Lebensmittelpunkt aber keine Heimat – das ist die Situation, das ist ihr Berlin. Die Stadt trägt daran keine Schuld. „Berlin gefällt mir“, sagt die Spitzenspielerin von 3B. Ruta Budiene hat sich den Verein und den Ort selbst ausgesucht. Nur, an einem Ort zu leben und zu arbeiten, der nicht das tiefe Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt, ist anstrengend. Ebenso wie die deutsche Sprache, die Budiene zwar ganz gut beherrscht, die ihr aber immer auch fremd bleiben wird – Englisch ist ihr da näher. Und selbstverständlich hat die Sportlerin hier auch neue Freunde und Bekannte gefunden. Ersetzen können diese jedoch ihre alten Freunde nicht. Ebenso nicht die Familie – obwohl Budiene in Berlin mit ihrem Mann zusammenlebt. Deshalb versucht die Europameisterin im Mixed von 2000, so oft wie möglich in ihre Heimat zu reisen. Genauer gesagt, nach Kaunas, mit rund 400 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Litauens.

Mittlerweile fährt sie etwa alle zwei Monate nach Hause. Je nachdem, wie es ihr Spielplan erlaubt. Als Budiene 1998 von ihrer ersten Station in Deutschland, dem hessischen Bundesligisten TTC Assenheim, nach Berlin wechselte, war das noch anders. Damals flog sie zu jedem Spiel aus Litauen ein, blieb dann manchmal nur ein Wochenende in Berlin, manchmal auch zwei Wochen. Es waren Besuche, um Tischtennis zu spielen, ihrer Arbeit nachzugehen. Das ging die ersten zwei Jahre so.

In dieser Zeit wohnte sie mit den anderen ausländischen Spielerinnen, wie der Schwedin Pernilla Petterson, ausschließlich in einem Hotel in Lichtenberg. Bei Kurzbesuchen hat das Spaß gemacht, sagt Budiene. Blieb sie aber länger in Berlin, wurde es anstrengend, nur aus dem Koffer leben zu müssen. Und das teilweise zu zweit in einem Zimmer. Ohne Rückzugsmöglichkeit. „Das viele Reisen hat müde gemacht“, sagt Budiene.

Die Wohnsituation hat sich mittlerweile geändert. Seit drei Jahren lebt sie mit ihrem litauischen Mann, der an der Humboldt-Universität Wirtschaft studiert hat, in Lichtenberg, nahe der Sporthalle. „Mit meiner eigenen Wohnung ist das jetzt viel besser“, sagt Budiene, die anfangs allerdings noch weiterhin zwischen Litauen und Berlin pendeln musste. Denn im Gegensatz zu ihrem Mann beendete sie ihr Studium der Sportwissenschaft an der Universität Kaunas. Das war im vergangenen Jahr.

Seitdem konzentriert sie sich vollständig auf Tischtennis. Und das zahlt sich aus. Die litauische Nationalspielerin hat in dieser Saison, in der sie zum ersten Mal auf Position eins im Team aufgestellt ist, einen Leistungssprung gemacht. „Ruta weiß über sich Bescheid, sie ist reifer und routinierter geworden“, sagt Manager Rainer Lotsch.

Vielleicht auch dadurch, dass sie gerade wegen der Kompromisse, die sie schon frühzeitig zwischen ihrer Heimatverbundenheit und den sportlichen Möglichkeiten in Berlin eingegangen ist, ihren Platz nun genau kennt. Sie nutzt die Möglichkeiten, die die Stadt ihr bietet – Kino, auch mal Theater, Bars – ohne es dabei zu übertreiben. Das weiß Rainer Lotsch zu schätzen, der Budiene bereits angeboten hat, dass sie so lange sie möchte in Berlin spielen kann. Die Litauerin möchte das noch eine ganze Weile. Schließlich ist sie auch Profi.

Auf der anderen Seite weiß Ruta Budiene aber auch, dass sie nach ihrer sportlichen Karriere auf jeden Fall nach Litauen zurückgehen wird. In ihre Heimat. Mit rund 30 nationalen Titeln im Einzel, Doppel und Mixed und einer Trainerausbildung könnte sie möglicherweise ihrer Mutter nacheifern, die seitdem die Tochter 12 Jahre ist als litauische Nationaltrainerin arbeitet. Vielleicht wird sie aber auch Lehrerin.

Aber so weit ist es noch nicht. Die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2004 und verschiedene Aufgaben mit 3B in der Bundesliga und im Europacup stehen noch an. Und das Leben in Berlin. Einen Nachteil hat die Stadt allerdings: „Sie ist ein bisschen groß“, findet Budiene. Berlin hat 3,5 Mio Einwohner. Litauen auch.

Jörg Petrasch

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