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Fußball-EM: Die Ukraine holt auf

Trotz aller Probleme ist das Land zuversichtlich, die EM 2012 gemeinsam mit Polen ausrichten zu können.

Die Kräne stehen noch da, doch die Bauarbeiter sind längst weg. Betonskelette mit dunklen Fensterhöhlen ragen am Stadtrand von Kiew in den Himmel. Die Hochhäuser sind nie fertig geworden, ein Zeichen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die das osteuropäische Land besonders hart getroffen hat. Doch nur ein paar Kilometer weiter, im Zentrum, dreht sich ein riesiger Kran, um ihn herum sind vier kleinere Kräne gruppiert. Bis tief in die Nacht hinein wird auf dieser Baustelle gearbeitet. Schwere Stahlträger werden angeliefert, sie sollen einmal das Dach des Olympiastadions tragen. Fast zwei Jahre dauert der Umbau nun schon. Wenn alles gut geht, wird hier am 1. Juli 2012 das Finale der Fußball-Europameisterschaft stattfinden. Zusammen mit dem Nachbarland Polen ist die Ukraine Gastgeber der EM.

Bis dahin hat das Land noch einiges aufzuholen. Die Finanzkrise, erbitterter politischer Streit und der besonders kalte Winter haben die Vorbereitungen gelähmt. Von bis zu fünf Monaten Rückstand im Zeitplan war die Rede. Im April stellte Uefa-Präsident Michel Platini dem Land ein Ultimatum: Die Ukraine habe zwei Monate Zeit, um Fortschritte zu zeigen. Indirekt drohte die Uefa, die EM nicht in vier, sondern nur in zwei ukrainischen Städten stattfinden zu lassen. Es wurde sogar spekuliert, ob der Ukraine die Austragung ganz entzogen werden müsste. Diese Drohung ist jetzt offenbar vom Tisch. Nach dem jüngsten Besuch der Uefa im Land gab es Entwarnung.

Inzwischen will man von Problemen in Kiew am liebsten gar nicht reden. Von Verzögerungen wisse er nichts, beteuert Valeri Zhaldak, stellvertretender Leiter der Nationalen Agentur für die EM 2012, der Behörde, die für den Bau von Stadien und Infrastruktur zuständig ist. Allein im ersten Halbjahr 2010 habe die ukrainische Regierung 449 Millionen Euro für die EM ausgegeben – im ganzen Jahr 2009 waren es 311 Millionen Euro. Seit März hat das Land in Viktor Janukowitsch einen neuen Präsidenten, der das Lager der Orangenen Revolution abgelöst hat. Auch eine neue Regierung ist im Amt. Die will um jeden Preis eine Blamage für das Land vermeiden. Das lokale Organisationskomitee in Kiew hat sich ebenfalls ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: „Wir wollen der ganzen Welt zeigen, dass wir ein Land mit einer hoch entwickelten Infrastruktur sind und solche großen Events ausrichten können“, sagt Managerin Natalia Pilipenko. Außerdem hofft sie, das Image der Ukraine zu verbessern und damit mehr Touristen ins Land zu locken.

Doch die Herausforderungen sind nach wie vor riesig: Nie zuvor hat das Land eine Großveranstaltung diesen Ausmaßes ausgerichtet – der Eurovision Song Contest 2005 gab nur einen kleinen Vorgeschmack. Die Infrastruktur ist modernisierungsbedürftig, Straßen müssen erneuert, der Nahverkehr verbessert und neue Grenzübergänge geschaffen werden. Neben dem Stadion in Kiew ist auch die Arena im westukrainischen Lwiw (Lemberg) noch im Bau, bis zum Sommer 2011 wird das dauern. In Donezk und Charkow sind die Stadien fertig – der Umbau wurde von örtlichen Oligarchen finanziert.

Für den erwarteten Ansturm der Fans ist der kleine Flughafen in Lwiw bisher nicht ausgerichtet. Das charmante Gebäude erinnert an einen Provinzbahnhof einer längst vergangenen Zeit. Wer ins Ausland fliegen will, wird derzeit in eine kleine Baracke geschickt, schnell bilden sich lange Schlangen am Check-in-Schalter. Die nächste Schlange steht schon vor der Passkontrolle – zwischendurch müssen die Passagiere ihre Koffer selbst auf einen Wagen heben, der diese dann übers Rollfeld zu einer kleinen Propellermaschine bringt. Baustellen prägen auch hier das Bild: Start- und Landebahn werden modernisiert, außerdem soll ein neuerTerminal entstehen. Zwei Drittel der Fans werden wohl mit dem Flugzeug reisen, schätzt das Organisationskomitee. Anders als bei früheren Europameisterschaften müssen die Fans zwischen den Austragungsorten große Entfernungen überwinden: Von Danzig nach Donezk sind es rund 2000 Kilometer. Immerhin gibt es seit kurzem eine direkte Flugverbindung zwischen Lwiw und Donezk.

Noch fehlen in Donezk mehr als 1000 Hotelbetten, in der Hauptstadt Kiew fast 700 – und das knapp zwei Jahre vor dem Finale. Das ukrainische Parlament hat deshalb finanzielle Anreize für Hotelbesitzer genehmigt: Bis 2021 brauchen sie ihren Gewinn nicht zu versteuern. Allerdings geht es nicht allein um die Zahl der Betten. „Wir müssen an der Qualität der Hotels und der Dienstleistungen arbeiten“, sagt Oleg Zasadny, Leiter der Abteilung EM 2012 bei der Stadt Lwiw. Maßstab sollten die Erwartungen westlicher Touristen sein, betont er. Seit kurzem haben die Straßen in Lwiw neue Schilder: nicht nur mit kyrillischen, auch mit lateinischen Buchstaben. Experten mahnen auch, die Ukraine müsste das Großereignis in ein größeres strategisches Konzept einbinden: Man dürfe nicht nur das Uefa-Pflichtenheft herunterbeten, sagt Mathias Brandt, der als Berater der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit die Ukraine unterstützt. „Wenn es dabei bleibt, werden viele Chancen, die die Euro 2012 bietet, nicht genutzt.“

Als große Chance für sein Land sieht auch Oleg Taradaj, Manager der ukrainischen Nationalmannschaft, die EM. Die Vorbereitungen werden rechtzeitig beendet sein, da ist er sich sicher: „Wir sind eine merkwürdige Nation“, sagt Taradaj und lächelt. „Wir spannen die Pferde ganz langsam an, aber dann reiten wir ganz schnell.“

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