zum Hauptinhalt
Olympiasieger. Auch 1980 gewinnt die kubanische Box-Legende Teofilo Stevenson in Moskau die Goldmedaille – zum dritten Mal hintereinander. Auf dem Bild neben ihm stehen Pyotr Zaev aus der ehemaligen Sowjetunion und der Ostdeutsche Jürgen Fanghänel, der für die DDR Bronze gewann. Foto: AFP

© AFP

Sport: Ein stolzer Mann

Teofilo Stevenson war dreimal Olympiasieger und galt als bester Boxer seiner Gewichtsklasse. Er blieb immer Amateur.

Er war eine Legende, ein Held Kubas. Schon vor einigen Tagen ist der Boxer Teofilo Stevenson mit 60 Jahren in Havanna an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben. Unser Autor hatte eine besondere Beziehung zum kubanischen Boxen und zu Stevenson selbst, deshalb folgt heute an dieser Stelle ein sehr persönlicher Nachruf.

Es war ein heißer Sommertag 1972. Wenige Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in München hatte die kubanische Boxstaffel ihr mehrtägiges Trainingscamp in Ost-Berlin beendet. Von Grünau aus waren sie zu uns nach Hause aufs Grundstück am südlichen Stadtrand gekommen. Es wurde gegrillt, geschwatzt und natürlich getanzt. Kubaner sind fantastische Tänzer. Es ist dieses Gemisch aus Takt und Temperament, was ihre Kunst so unwiderstehlich machen kann. Denke ich an Kuba, denke ich ans Tanzen und Boxen. Und jetzt denke ich an Teofilo Stevenson. Er ist tot. Verstorben und beerdigt auf Kuba.

Er war damals dabei an jenem Sommertag. Ich war ein Kind von sechs Jahren, und er so groß und stark und freundlich. In meinen Kinderaugen war er der Größte. Und nicht Ali, zu dessen Kämpfen wir selbstverständlich tief in der Nacht aufgestanden sind und sie mit halb geschlossenen Augen am Fernseher verfolgten. Ali war groß, aber weit weg. Teofilo war hier, bei uns im Garten.

Mein Vater war kurz nach der Revolution nach Kuba gegangen, um den Boxsport aufzubauen. Das tat er zusammen mit dem sowjetischen Trainer Andrej Tscherwonenko. In ihrem Schlepptau hatten sie einen gewissen Alcides Sagarra mit einem Notizblock in der Hand. Später wurde Sagarra zum erfolgreichsten Boxtrainer der Welt.

Sagarra hatte meinen Vater als Nationaltrainer nach den Spielen von Rom (1960), Tokio (1964) und Mexiko (1968) abgelöst. Doch die enge Verbindung war mit einer der Gründe, weshalb sich die Kubaner in Berlin vorbereiteten. Nun saßen sie bei uns in der Sonne an der langen, aus mehreren Tischen zusammengestellten Tafel und verbrachten fröhliche Stunden. Ich hatte nur Augen für Teofilo, diesen mächtigen Mann.

Kubaner sind stolze Menschen. Und er war der stolzeste von allen. Wie durchgedrückt sein Rücken war, wie aufrecht er seinen Kopf trug. Fast ein bisschen arrogant. Und doch war er voller Herzlichkeit und Wärme. So habe ich ihn kennen gelernt; wie er mich in seine riesigen Hände nahm und wie ein Nichts auf seine Schultern warf, wie wir so über den Rasen liefen. Als mich am Abend ein Freund aus der Nachbarschaft besuchte, öffnete Teofilo Stevenson ihm die Tür. Es war so, wie mir mein Freund später erzählte, als sei die Tür gar nicht geöffnet worden. Stevenson füllt den ganzen Rahmen aus.

Diese frühen Bilder haben sich mir eingebrannt. Es sind die Bilder eines Hünen, knapp zwei Meter groß, breit, schwarz und Oberarme wie von anderen die Beine. Teofilos Vater war in den Zwanzigerjahren aus St. Vincent nach Kuba eingewandert, seine Mutter, Dolores Lawrence, war Kubanerin. Ihre Eltern stammten von der Karibikinsel St. Kitts.

Natürlich wurde er ein paar Tage später in München Olympiasieger im Schwergewicht, da war er 20. Im Halbfinale knockte er Peter Hussing, den bundesdeutschen Meister, aus. „Du hattest keine Zeit, seine Rechte zu sehen“, hat Hussing einmal später erzählt: „Und wenn du sie siehst, dann hast du sie schon am Kinn.“

Aus der Ferne habe ich Stevensons Karriere verfolgt. Auch in Montreal holte er olympisches Gold, 1976, und vier Jahre später in Moskau ebenso. Er egalisierte damit den Rekord des Ungarn Laszlo Papp, dem zwischen 1948 und 1956 als erstem Boxer in der Geschichte überhaupt das Kunststück gelungen war, dreimal olympisches Gold zu gewinnen. Sehr wahrscheinlich hätte Stevenson auch 1984 zum vierten Mal triumphiert. Doch Kuba boykottierte die Spiele in Los Angeles. Das taten vier Jahre zuvor in Moskau einige westliche Staaten wegen der Intervention der Sowjetunion in Afghanistan.

Mitte der Sechzigerjahre war meinem Vater dieser lange, temperamentvolle und wohl auch etwas aufmüpfige Kerl aufgefallen. Die Boxer teilten sich die Halle an jenem Tag mit Volleyballern. Als es am anderen Ende der Halle plötzlich laut wurde und es zu einem Handgemenge kam, wechselte Stevenson die Seiten. Fortan boxte er. 1968 wurde er, mittlerweile ins Schwergewicht aufgestiegen, kubanischer Juniorenmeister. Zwischen 1972 und 1986 wurde Stevenson elf Mal Kubanischer Meister. Und zwischendrin dreimal Weltmeister: 1974 in Havanna, 1978 in Belgrad und 1986 in Reno. Es war sein letztes großes Turnier. Nach dem Triumph in der amerikanischen Spielerstadt beendete Stevenson seine aktive, internationale Karriere, nach 302 Siegen in 324 Kämpfen. Bis heute unerreicht.

Vielleicht war es sogar dieser eine Satz, der ihn noch berühmter machte als seine unbarmherzige, rechte Gerade. „Was ist eine Million Dollar gegen acht Millionen Kubaner, die mich lieben.“ Diesen Satz sagte Stevenson, nachdem ihn die großen Promoter in die Welt der großen Gagen locken wollten. In den Siebziger- und Achtzigerjahren hatte Stevenson keine ernsthafte Gegnerschaft. Bei den Spielen war er Cassius Clay (1960), Joe Frazier (1964) und George Foreman (1968) als Olympiasieger gefolgt, aber er folgte ihnen nicht ins Lager der Profis. Don King, der 1974 in Kinshasa, im damaligen Zaire, den „Rumble in the Jungle“ zwischen Ali und Foreman veranstaltet hatte, wedelte mit den Millionen. Ein Vermögen hätte er für den Showdown mit Ali gezahlt. „Er wäre phänomenal als Profi“, hatte er seinerzeit gesagt. Und das, obwohl Foreman sagte: „Der beste Schwergewichtsboxer heißt Teofilo Stevenson. Keiner der Champs hätte gegen ihn eine Chance.“

Was hätten die Menschen dafür gegeben, ihn damals gegen Ali kämpfen zu sehen. Dass er es nicht tat, war vielleicht seine erstaunlichste Tat. Eine, so schien es mir Jahre später, unter der er zu leiden begonnen hatte. Mit seinem schwarzen Kraushaar war auch sein Ruhm verblasst. Vielleicht habe ich deshalb Teofilo nie in Kuba besucht. Ein Land, von dem mein Vater, der auf allen Kontinenten gelebt und gearbeitet hat, sagte, dass es das schönste überhaupt sei, mit zauberhaften Menschen. Sicher, Stevenson lebte privilegiert im Viertel Nuevo Vedado von Havanna, mit Auto und Kühlschrank. Er sprach damals den Kubanern aus der Seele, als er sich gegen die Dollars entschied, und er konnte sich der Freundschaft Fidel Castros sicher sein. 1976 etwa wurde er in die Nationalversammlung gewählt, es folgten Ämter als Direktor der kubanischen Sportorganisation und Vizepräsident des nationalen Boxverbandes.

Der kubanische Sport hat viele Größen hervorgebracht. Etwa den Wunderläufer Alberto Juantorena oder den Hochspringer Javier Sotomayor. Aber was sind sie gegen Stevenson? Er war des Regimes wertvollster Diplomat – im Trainingsanzug. „Er war ein Beispiel für Patriotismus, Solidarität und Brüderlichkeit. Er hat sein Land geliebt“, sagte jetzt Stevensons Nachfolger als boxender Held, Felix Savon. Savon war 1992 bis 2000 ebenfalls dreimal in Folge Olympiasieger im Schwergewicht geworden. Auch er hat den Verlockungen des Westens widerstanden. Aber es werden weniger. Inzwischen gibt es etliche Boxer, Baseballspieler und Leichtathleten, die von der Insel und vor einem Sozialismus flüchten, der die Menschen nicht so achtet wie es Stevenson und Savon getan haben.

Muhammad Ali und Teofilo Stevenson haben sich dann doch noch ein paar Male getroffen. Der schwerkranke Ali besuchte die Insel und Castro, Stevenson reiste ins einstige Reich des Bösen. Das war 1999. Dabei soll er am Flughafen von Miami einem Angestellten einer Airline durch einen Kopfstoß Verletzungen an Mund und Schneidezähnen zugefügt haben. Er habe sich durch abfällige Bemerkungen über Castro provoziert gefühlt, hat Stevenson später zu Protokoll gegeben. Erst gegen eine Kaution in Höhe von 12 500 Dollar kam er frei.

Stevenson bin ich später noch einige Male begegnet. Das letzte Mal 1995 bei den Boxweltmeisterschaften im mauerlosen Berlin. Es waren herzliche, stille Momente des Wiedersehens. Mein Vater war ein Jahr zuvor verstorben. Wenn Stevenson am Rande des Turniers die Trainingshalle betrat, ließen die Boxer aus aller Welt, die gegen die Sandsäcke droschen, ihre Fäuste fallen. Alle standen still und starrten auf ihn. An anderen Tagen saß er in der Deutschlandhalle in sich versunken. Er wirkte müde, mitunter teilnahmslos. Gelegentlich kritzelte er ein Autogramm. Ein wenig wirkte es so, als habe die Welt ihn vergessen.

Am Montag haben sie Teofilo Stevenson nun zu Grabe getragen. Ihn, die Antwort auf Ali. Oder umgekehrt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false