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Zieh doch! Viswanathan Anand verblüffte nicht nur Wesselin Topalow.

© AFP

Schach-WM: Eine Schneise geschlagen

Weltmeister Viswanathan Anand gewinnt die vierte Partie bei der Schach-WM dank einer Ungenauigkeit seines Gegners Wesselin Topalow

Berlin - Eine alte, etwas angestaubte Schachweisheit besagt: Springer am Rand, bringt Kummer und Schand’. Die Springer sollten besser ins Zentrum wirken oder zumindest als guter Freund des Königs Defensivaufgaben übernehmen. So gesehen hatte Wesselin Topalow, der Herausforderer von Schachweltmeister Viswanathan Anand, am Mittwoch doppelten Kummer in Sofias Military Club. Seine beiden Springer standen sich nämlich fast während der gesamten vierten Partie am Damenflügel auf den Füßen. Derweil auf der anderen Seite des Brettes der nahezu schutzlos gewordene König mit Anands Figuren Bekanntschaft machte. Wie der Inder seinen Gegner zunächst unter Druck setzte und dann eine unmerkliche Ungenauigkeit zu einem furiosen Mattangriff nutzte, beeindruckte weltweit die Experten. „Eine brillante Partie von Anand“, sagte der frühere WM-Finalist Nigel Short. Mit einem Springeropfer im 23. Zug hatte Anand seinen Figuren eine Schneise geschlagen. „Da habe ich keine Verteidigung mehr gesehen, allerdings war ich mir nicht hundertprozentig sicher“, sagte Anand nach der Partie. Sein Gefühl trog nicht – neun Züge später gab Topalow auf.

Beide Spieler stimmten überein, dass Schwarz im Grunde schon nach Anands Springeropfer chancenlos war. Der Weltmeister hatte interessanterweise erneut auf seine üblichen Standardsysteme verzichtet und wie schon bei seinem Sieg in der zweiten Partie Katalanisch gewählt, eine Eröffnung, die schon Wladimir Kramnik, Anands Vorgänger als Weltmeister, erfolgreich im WM-Kampf 2006 gegen Topalow angewendet hatte. Diesmal sei, so Anand, eine „sehr komplexe Stellung mit großer Spannung am Damenflügel“ entstanden. Der Herausforderer vermochte unmittelbar nach der Partie nicht zu erklären, weshalb er in der Eröffnung stark unter Druck geraten war. „Wäre dies leicht zu beantworten, hätte die Partie vielleicht ein anderes Resultat gehabt“, sagte Topalow.

Sein Randspringer war aber bestimmt nicht die Ursache. Dass Springer am Rand per se Kummer bringen, gilt sowieso als längst überholt. Im Gegensatz zu den Heroen vergangener Zeiten platzieren heutige Großmeister ihre Springer viel häufiger an den Rand, weil dieser Aufenthaltsort oft nur von vorübergehender Dauer ist. Auch Anand schob bei seinem Meisterwerk in der vierten Runde einmal einen Springer an den Rand. Es war bloß eine Zwischenstation; denn schon wenig später stand dieser Springer wie ein wildes, zu allen Seiten ausschlagendes Tier in den gegnerischen Reihen.

Topalow hingegen sollte nicht mehr dazu kommen, seine passiven Springer ins Spiel zu bringen. „Ich hatte eine anständige Position”, sagte der Bulgare. Aber dann habe sich ein kleiner, unscheinbarer Bauernzug als „besonders schlecht“ erwiesen. Bleibt abzuwarten, was sich Topalow und die Seinen nun einfallen lassen, um den wieder erstarkten Weltmeister in Schwierigkeiten zu bringen. Vor der fünften Partie, die Topalow am heutigen Freitag mit den weißen Steinen eröffnet, führt Anand mit 2,5:1,5 Punkten.

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