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Tragische Siegerin. Die Siebenkämpferin Birgit Dressel schrieb das dunkelste Kapitel der BRD-Dopinggeschichte: 1987 ist sie an den Folgen von Doping gestorben.

© picture-alliance / dpa

Eine überfällige Aufarbeitung: Doping in der Bundesrepublik: Verboten, aber erwünscht

In Westdeutschland gab es nicht den expliziten Auftrag zum Betrug – aber den impliziten. Ein Überblick über die Keimzellen des Dopings und ihre Kontinuitäten.

Nichts gewusst zu haben, damit kann sich eigentlich kein Athlet und kein Sportfunktionär herausreden. Schon 1969 hatte die Leichtathletin Brigitte Berendonk in der „Zeit“ geschrieben: „Die Hormonpille (oder -spritze) gehört anscheinend ebenso zum modernen Hochleistungssport wie Trainingsplan und Trikot, wie Spikes und Spesenscheck.“ Sie meinte damit nicht nur Osteuropa, sondern auch die Bundesrepublik. Die Folge davon war: Berendonk wurde ausgegrenzt.

Mehr als 40 Jahre später arbeiten Wissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster noch einmal die dunkle Seite des Sports in der Bundesrepublik auf, der mit dem Tod der Mainzer Siebenkämpferin Birgit Dressel 1987 einen tragischen Tiefpunkt erlebte. Die Forscher haben bisher bestätigt, was in Einzelheiten weitgehend bekannt war: Es bestanden mehrere Keimzellen des Dopings in der alten Bundesrepublik, und wenn der Staat auch nicht explizit den Auftrag zur Manipulation gab, so forderte er doch implizit mit Medaillenzielen dazu auf und unterstützte mit öffentlichen Mitteln auch die Forschung. Die Olympischen Spiele 1972 in München und der Vergleich zwischen Bundesrepublik und DDR waren dabei Motor für die Manipulation.

Eine Keimzelle des Dopings lag in Freiburg mit den Sportärzten Joseph Keul und Armin Klümper. Zu beiden kamen Athleten aus den unterschiedlichsten Sportarten zur Behandlung. Zu den verabreichten Spritzen gehörten auch Anabolika. Bereits Anfang der siebziger Jahre hatte sich Keul für die Freigabe von Anabolika bei männlichen Athleten unter sportärztlicher Aufsicht ausgesprochen. Keuls Ansatz war: Wenn der Arzt Anabolika verschreibt, kommt es nicht zum unkontrollierten Missbrauch durch den Athleten. Keul, der im Jahr 2000 verstarb, ist wie die Freiburger Sportmedizin ein Beispiel für die Doping-Kontinuitäten in der Bundesrepublik. 1998 wählte ihn der Sportärztebund zum Präsidenten. Die Sportmedizin der Universitätsklinik Freiburg gelangte noch danach in die Schlagzeilen, weil dort unter anderem die Radprofis des Teams Telekom eine verbotene Blutauffrischung erhielten.

Vor allem aus der Leichtathletik gibt es zahlreiche Zeitzeugenberichte über Dopingvergabe in den siebziger Jahren. Ein Bundestrainer der Werfer wird mit der Aussage zitiert: „Wer das Zeug nicht nimmt, kommt bei mir nicht mal in den B-Kader. Wundere dich nicht, dass du die Olympianorm nicht schaffst, wenn du keine Pillen schluckst.“ Druck auf die Athleten war ein Mittel, das in der Bundesrepublik Doping am Laufen hielt. Druck von Trainern, aber auch vom Verband durch Nominierungen oder Nicht-Nominierungen. Für die Olympischen Spiele 1972 nominierte das Nationale Olympische Komitee keine der drei qualifizierten Kugelstoßerinnen. Sie hätten keine Endkampfchance. Dass diese Endkampfchance auch deshalb außer Reichweite war, weil ihre Konkurrentinnen aus Osteuropa mit Doping in Verbindung gebracht wurden, interessierte die Sportfunktionäre nicht.

Der damalige Bundestrainer Hansjörg Kofink zog sich daraufhin zurück. „Kofink ist damit auf Trainerebene ein frühes Beispiel für dopingbedingten Dropout im Leistungssport“, schrieben die Wissenschaftler Andreas Singler und Gerhard Treutlein in ihrer 2000 erschienenen Studie „Doping im Spitzensport“. Singler und Treutlein gehören mit Berendonk zu den ersten, die sich intensiv mit dem Doping in der Bundesrepublik befasst haben. Giselher Spitzer, der die Forschungen derzeit an der Humboldt-Universität leitet, spricht beim Doping in der Bundesrepublik nicht von einem systematischen, aber von einem „systemischen Doping“.

Es haben viele Bereiche Hand in Hand gearbeitet und den Betrug begünstigt, bis hinein in die Politik. Den Kampf der Systeme wollte die Bundesrepublik auch auf der Laufbahn nicht verlieren.

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