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EM  Nebenschauplatz: EM  Nebenschauplatz

Wohl dem, der in seiner Garage literweise Bier und in seinem Keller massenhaft Würste hortet. Vor allem, wenn gut 30 000 Iren in die Stadt einfallen.

Wohl dem, der in seiner Garage literweise Bier und in seinem Keller massenhaft Würste hortet. Vor allem, wenn gut 30 000 Iren in die Stadt einfallen. Die bringen neben allerhand Stimmung meist viel Appetit und noch mehr Durst mit.

Marcin freut sich darüber. Er und seine Freunde sind vorbereitet. Marcin steht hinter der Zapfanlage, ein Bekannter am Grill. Und wieder ein anderer sorgt für Nachschub, er pendelt zwischen Garage und Keller. Das EM-Stadion von Posen liegt etwas außerhalb, nahe einer Wohnsiedlung. Schicke Einfamilienhäuser. Vorortidylle mit Hof und Garten. Aus einem solchen verkaufen Marcin und seine Mitstreiter Bier und Wurst an alle, die sich im 500 Meter entfernten Stadion Italien gegen Irland ansehen und sich vorher stärken wollen . Eine Lizenz? Fehlanzeige. „Ach, Lizenz“, Marcin lächelt. Er verkauft weiter sein Bier, weit und breit kein Aufpasser vom europäischen Verband Uefa, der interveniert. 2006, bei der WM in Deutschland, wäre so was undenkbar gewesen. Der Weltverband Fifa hatte für kleine Einzelhändler kein Sommermärchen vorgesehen. Alles wurde streng kontrolliert. Keine Lizenz, kein Ausschank. Fifa und Uefa unterscheiden sich in ihrem Geschäftsgebahren kaum noch voneinander, sie sind wie Mutter und Tochter, deren ärgste Charaktereigenschaft die Raffsucht ist. Aber Polen ist nicht Deutschland, mit den Vorschriften nehmen sie es nicht immer so genau. Erst recht nicht in Posen. Hier herrscht dieser Tage EM-Anarchie. Nicht nur vor dem Stadion. In der Stadt laufen Volunteers verzweifelt mit riesigen Schildern durch die Straßen. „Folgt uns zur offiziellen Uefa-Fan-Zone“, steht da drauf. Aber niemand folgt. Die Party steigt auf den Plätzen und Straßen, in den Kneipen und Klubs. Kein Ire, kein Italiener, kein Pole, der sich vorschreiben lassen will, wo und wie er zu feiern hat. Oder was er trinken soll. Vor dem Stadion bieten junge Uefa-Mitarbeiterinnen Bier auf Tabletts an. Der Hersteller ist offizieller Sponsor, aber kaum ein Fan greift zu. Alle wollen Marcins Bier. Auf dem steht kein Etikett, aber dafür ist Alkohol drin. Viel mehr als bei dem offiziellen Uefa-Trunk. Und es ist billiger.

Das Spiel ist längst aus, Irland hat verloren, aber die Party geht weiter. In der Stadt. In den Straßen. Auf Marcins Hof. Er und seine Freunde haben Bänke aufgestellt, darauf sitzt nun eine Horde Iren, trinkt Bier ohne Etikett und isst polnische Wurst aus dem Keller. Dann feiern sie. Das eigene Team. Die EM. Polen. Und Angela Merkel. „There’s only one Angela Merkel, she gave us the cash, we’re now on a lash, walking in the Merkel-Wonderland“, tönt es zur Melodie von „Winter Wonderland“ von Marcins Hof. Frei übersetzt: „Es gibt nur eine Angela Merkel, sie gab uns die Kohle, nun versaufen wir sie.“ Lalalalala.

Marcins Freundin hat sich extra das grüne Trikot der Iren angezogen. Als „Girl in green“ ist sie everybody’s darling. Inzwischen regnet es. Kein Problem, Marcin hat längst riesige Schirme aufgestellt. Sie lagen in der Garage bei den Bierfässern. Dorthin muss Marcins Freund beinahe im Minutentakt. Auch nachts um ein Uhr wird noch Nachschub benötigt. Vor dem Stadion sind die Stände der Uefa längst abgebaut.Sebastian Stier

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