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Vorne fallen die Tore. Max Kruse profitiert vom Mangel an deutschen Stürmern.

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EM-Qualifikationsspiel gegen Irland: Max Kruse: Der Blick geht nach vorn

Max Kruse war mal Mittelfeldspieler, jetzt besitzt der Profi von Borussia Mönchengladbach in der Nationalelf aber vor allem als Stürmer eine Perspektive - wegen seiner Entschlossenheit im Abschluss.

Auf den ersten Blick sah es so aus, als kämen die Nationalspieler frisch vom Mittagessen. In halbwegs geschlossener Formation trotteten sie durch das Mannschaftshotel in Warschau, auch die Uhrzeit stimmte einigermaßen. Andererseits: Warum trugen einige Fußballer ihre Kulturtaschen unterm Arm? Transportiert der moderne Profi darin nicht nur Gel und diverse Hautcremes, sondern auch das eigene Silberbesteck mit eingravierten Initialen. Seltsam. Weniger seltsam war, dass Christoph Kramer die Gruppe anführte und Max Kruse ihm auf dem Fuß folgte. Die beiden Profis von Borussia Mönchengladbach gelten als unzertrennlich, sie haben sogar schon ihren Urlaub gemeinsam verbracht – und dass Kramer als Weltmeister die Führungsrolle einnimmt, während Kruse hinterherdackelt, ist auch nicht weiter ungewöhnlich.

Anfang des Jahres waren die Rollen noch anders verteilt. Da haben beide der „Rheinischen Post“ ein launiges Interview gegeben und Kramer, 23, über den drei Jahre älteren Kruse im Scherz gesagt: „Mit seiner ganzen Erfahrung ist er halt so was wie eine Vaterfigur für mich.“ Kruse wiederum revanchierte sich mit dem Vorschlag: „Du könntest einen holländischen Pass annehmen. Vielleicht kommst du dann auch zur WM.“ Auch!

Es ist bekanntlich etwas anders gekommen. Nicht Max Kruse ist zur WM gefahren, sondern Christoph Kramer, und zwar nicht mit Holland, sondern mit Deutschland. Kruse hingegen wurde zur allgemeinen Überraschung nicht berufen, nachdem er eigentlich schon fest zum Stamm der Nationalmannschaft gehört hatte. „In den ersten Tagen war es natürlich nicht einfach für mich“, sagt er über das abrupte Ende seines WM-Traums. „Aber ich bin ein Typ, der die Sachen schnell abarbeitet und nach vorne schaut.“

Spekulationen um unangemeldeten Damenbesuch

Der Blick nach vorn ist inzwischen wieder durchaus verheißungsvoll. Nachdem Kruse insgesamt elf Monate von Bundestrainer Joachim Löw überhaupt nicht mehr berücksichtigt worden war, kam er am Samstag in Warschau zu seinem siebten Länderspieleinsatz. Kurz vor Schluss wurde er für Antonio Rüdiger eingewechselt. „Ich habe nicht unbedingt damit gerechnet, wieder dabei zu sein“, hat er selbst zu seiner Rückkehr gesagt.

Das hat auch etwas mit der Geschichte zu tun, die als Grund für seine Ausbootung kolportiert worden ist. Kruse soll im November beim Länderspiel in England unangemeldeten Damenbesuch auf seinem Hotelzimmer empfangen haben. Er selbst bestreitet diese Version, und auch Löw hat eine Erklärung abgegeben, die man durchaus als Dementi verstehen kann (aber nicht muss). Er habe Kruse nicht rehabilitieren müssen, sagte der Bundestrainer. „Alles das, worüber spekuliert wird, hat für mich keine Rolle gespielt.“ Dass er Kruse nicht mit nach Brasilien genommen habe, sei eine ausschließlich sportliche Entscheidung gewesen.

Diese Aussage ist durch die Fakten hinreichend gedeckt. Mit Miroslav Klose, Mario Götze und Thomas Müller verfügte Löw in Brasilien über eine ausreichende Zahl an Kandidaten für die offensivste aller offensiven Positionen. Dass kein weiterer Bedarf vorhanden war, zeigt auch die Personalie Kevin Volland. Der Hoffenheimer, der im Frühjahr deutlich besser in Form war als Kruse, fand sich zwar im vorläufigen WM-Kader wieder, wurde in letzter Instanz aber ebenfalls gestrichen.

Kruse profitiert von Stürmermangel

Inzwischen hat sich die Situation ein wenig verändert. „Er hat sich wieder hervorragend herangekämpft“, sagt Löw über Kruse. „Nach dem Karriereende von Miroslav Klose ist er für mich wieder eine Option.“ Zumal auch noch Mario Gomez verletzt ausfällt. Von ihm abgesehen gibt es in Deutschland nicht mehr allzu viele nationalmannschaftstaugliche Stürmer. „Der Stürmertyp ist ein bisschen anders geworden“, sagt der Bundestrainer. Ein bisschen so wie Max Kruse, der inzwischen offiziell dem Ressort Sturm zugerechnet wird, obwohl er von seiner Herkunft her eigentlich Mittelfeldspieler ist. „Ich bin sicherlich kein Strafraumstürmer wie Miroslav Klose oder Mario Gomez“, sagt er. „Aber die Grenzen zwischen Mittelfeld und Angriff verschwimmen.“ Ihm jedenfalls ist es ziemlich egal, „ob ich im Sturm oder im Mittelfeld zum Einsatz komme“.

Man kann Kruse mit einiger Berechtigung als stürmenden Mittelfeldspieler sehen; mit derselben Berechtigung geht er aber auch als mitspielender Stürmer durch. Tore und Vorlagen halten sich bei ihm in etwa die Waage. „Er ist ein schlauer Spieler, der auch für den Gegner überraschende Dinge macht“, sagt Löw. Im letzten Bundesligaspiel vor der Länderspielpause erzielte er für Borussia Mönchengladbach ein wunderbares Tor. Ein halbhohes Zuspiel nahm Kruse mit dem rechten Fuß entgegen, und noch ehe der Ball den Boden berührte, schloss er mit links ab.

Auch wenn Max Kruse kein gelernter Stürmer ist – er bringt etwas mit, das der Nationalelf beim 0:2 in Polen erkennbar abgegangen ist und das sie heute gegen Irland gut brauchen kann: Entschlossenheit im Abschluss.

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