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Wie in alten Zeiten. Energie Cottbus spielt in dieser Saison wieder in den alten Streifen-Trikots, mit dem der Klub vor 20 Jahren so erfolgreich war.

© imago/Steffen Beyer

Energie Cottbus: Ein Klub will zurück nach oben

20 Jahre nach dem Einzug ins DFB-Pokalfinale hängt Energie Cottbus in der vierten Liga fest. Das soll sich schnell ändern.

Von Johannes Nedo

Es war ein Versprecher. Es ist ihm einfach so rausgerutscht. Eigentlich wollte Claus-Dieter Wollitz „gallisches Dorf“ sagen, als er Anfang Juli auf der Mitgliederversammlung von Energie Cottbus zu den Fans sprach. Er wollte den Geist der kleinen, wehrhaften Gemeinschaft beschwören. Aber dann rief der Trainer: „Wir können wieder dieses galaktische Dorf werden.“ Und das fanden die Fans noch besser. Mittlerweile ist „galaktisches Dorf“ ihre Lieblingsumschreibung für Cottbus. Auf jeden Fall ist es etwas Neues, jetzt, da beim FC Energie fast nur auf die Vergangenheit und das sagenumwobene Jahr 1997 geschaut wird.

Die Umstände dafür sind ja auch zu verlockend. Vor 20 Jahren stieg Energie in die Zweite Liga auf und – noch beachtlicher – zog als Amateurverein in das Finale des DFB-Pokals gegen den VfB Stuttgart ein. Mit Spielern wie Detlef Irrgang und Toralf Konetzke, mit dem strengen Trainer Eduard Geyer und mit blau-rot gestreiften Trikots, die denen des FC Bayern München sehr ähnelten. Die alten Streifen-Trikots haben die Cottbuser für diese Jubiläumssaison wieder neu aufgelegt – und die Auslosung für die erste Runde im DFB-Pokal bescherte ihnen obendrein den perfekten Gegner: den VfB Stuttgart. In zwei Wochen empfangen die Cottbuser ihren Finalkontrahenten von vor 20 Jahren.

Wollitz kennt die Befindlichkeiten in der Lausitz

„Das ist schon eine Belohnung“, sagt Wollitz. „Schließlich hat die Ära von Energie Cottbus im deutschen Fußball 1997 angefangen.“ Wollitz, kurze schwarze Haare, schicke schwarze Brille und Dreitagebart, sitzt an einem großen runden Tisch im Besprechungsraum der Geschäftsstelle. An allen Seiten des Zimmers stehen Pokale und Trophäen, an einer Wand hängt ein großes Foto des Stadions der Freundschaft. Doch so modern das Stadion mit seinen vier überdachten Tribünen und mehr als 22 000 Plätzen auch ist – für den Verein ist es derzeit überdimensioniert. Denn von der Ära des FC Energie, der Ära des unbezwingbaren gallischen Dorfes, ist in den vergangenen Jahren wenig übrig geblieben. Mittlerweile spielt Cottbus in der Regionalliga Nordost, der vierten Liga. An diesem Sonntag startet Energie bei der TSG Neustrelitz (13.30 Uhr) in die neue Saison. Das ist der Alltag: Neustrelitz, Meuselwitz, Fürstenwalde. Und schon lange nicht mehr Stuttgart, München, Dortmund – wie zu den Erstligazeiten von 2000 bis 2003 und 2006 bis 2009.

Deshalb sagt Wollitz: „Ich ordne der Liga alles unter. Wir wollen aufsteigen. Der DFB-Pokal ist für uns ein Beibrot.“ Wollitz ist ein emotionaler Mensch. Der 52-Jährige kann mit seiner leidenschaftlichen Art mitreißen und an der Seitenlinie die schönsten Jubelaktionen vollführen, aber auch in die wildesten Wutausbrüche verfallen. Auch im Gespräch schwankt er zwischen diesen beiden Polen.

Wollitz ist beseelt und berührt, wenn er von der Aufbruchstimmung im Verein erzählt. Von den 5500 Fans, die auch in der Regionalliga noch zu jedem Spiel kommen und zuletzt eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrags mitgetragen haben, damit der Klub die Schulden von sieben Millionen Euro weiter abbauen kann. Doch Wollitz zetert und haut mit der flachen Hand auf den Tisch, wenn es um die Probleme des Klubs geht: das Nadelöhr vierte Liga und die Randale rechtsextremer Hooligans.

Wollitz kennt den FC Energie und die Befindlichkeiten in der Lausitz. Von 2009 bis 2011 war er schon einmal Cheftrainer hier, damals noch in der Zweiten Liga. Er sollte junge deutsche Talente entwickeln und oben mitmischen. Das klappte zunächst ganz gut, mit Spielern wie Nils Petersen (heute Freiburg) oder Leonardo Bittencourt (heute Köln). Als Wollitz Ende 2011 gehen musste, war Cottbus Neunter in der Zweiten Liga. „Ich hätte nie gedacht, dass es den Verein so erwischt. Die Situation und die Möglichkeiten waren fantastisch, um den Klub weiter zu etablieren“, sagt Wollitz. „Aber die Ansprüche waren viel zu hoch. Alle dachten: Energie gehört eigentlich in die Bundesliga.“

Cottbus geht als großer Favorit in die Spielzeit

Doch statt des dritten Aufstiegs kam der Absturz. Zunächst stieg Cottbus 2014 in die Dritte Liga ab. Und dann folgte im vergangenen Jahr das „sportliche Desaster“, wie Wollitz es nennt. Der Abstieg in die Regionalliga, den auch Wollitz, der kurz vor Ende der Saison 2016 nach Cottbus zurückgekehrt war, nicht mehr verhindern konnte. „Da lag der Verein am Boden“, sagt er. „Aber die Cottbuser haben dem FC Energie die Hand gereicht. Hier herrscht ein großer Zusammenhalt.“ Dann schlägt seine Stimmung wieder um. Denn all das Positive rund um den Verein sei in den vergangenen Monaten fast komplett in den Hintergrund gerückt.

Ursache dafür sind die Krawalle und die Machenschaften von Rechtsextremen und Hooligans. Am deutlichsten wurde das bedrohliche Potenzial innerhalb der Cottbuser Fanszene – nach Erkenntnissen des Brandenburger Innenministeriums sind mehr als 200 Energie-Anhänger gewaltbereit oder gewaltsuchend – zuletzt im April. Beim Auswärtsspiel in Babelsberg stürmten Vermummte aus dem Energie- Block den Platz, zeigten den Hitler-Gruß, zündeten Leuchtmunition und randalierten. Das Spiel musste zweimal unterbrochen werden und stand vor dem Abbruch.

In den Monaten zuvor richteten einige Cottbuser Hooligans ihre Attacken aber auch gegen andere Energie-Anhänger. Besonders die Gruppe Inferno wollte auf diese Weise die Kontrolle über die Fankurve an sich reißen. Die Situation wurde so brisant, dass sich die Sicherheitsbehörden einschalteten. Im Mai löste sich Inferno auf, aber die Mitglieder sind noch immer in der Fanszene aktiv. Der Konflikt könnte sich also weiter zuspitzen. Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) kritisierte, Energie habe in den vergangenen Jahren nicht auf Hinweise der Behörden reagiert. „Wenn der Verein das nicht umsetzt, muss man sich auch nicht wundern, wenn aus einem kleinen Krebsgeschwür eine große Wucherung entsteht“, sagte Schröter. Besonders gegen die ehemaligen Klub-Verantwortlichen richten sich diese Vorwürfe. Als die Kräfteverhältnisse zwischen Verein und Hooligans in höheren Ligen noch anders waren, hätten sie nichts getan, um die Fanszene in den Griff zu bekommen.

Die aktuelle Vereinsführung mit Präsident Michael Wahlich distanziert sich deutlich von den Hooligans und will eine hauptamtliche Stelle für Vielfalt und Toleranz schaffen, die spätestens 2018 ausgeschrieben werden soll. Umso härter traf den Klub Ende Juni die Strafe des Sportgerichts, aufgrund der Fan-Ausschreitungen müsse Energie das erste Heimspiel ohne Zuschauer austragen und 16 000 Euro zahlen. Das Geisterspiel konnte der Verein im Berufungsverfahren abwenden, die Strafe wurde abgemildert: Nun dürfen keine Energie-Fans zum nächsten Auswärtsspiel in Babelsberg fahren. Die Geldstrafe wurde auf 10 000 Euro reduziert.

Trotzdem stört Wollitz das Bild, das nach all dem vom FC Energie und von Cottbus kursiert: „Wir werden dargestellt, als wäre es hier das Schlimmste auf Gottes Erden. Dagegen wehre ich mich. Cottbus ist eine liebenswerte Stadt, richtig gemütlich.“ In dieser Stadt will Wollitz nun eine neue Ära prägen. Die Vorzeichen sind vielversprechend: Nach Platz zwei in der vergangenen Saison hinter Aufsteiger Jena geht seine Mannschaft als großer Favorit in die Spielzeit. Und der DFB-Pokal gegen Stuttgart bietet einen besonderen Höhepunkt. „Wir alle wünschen uns, dass Energie 20 Jahre nach 1997 wieder so eine Geschichte schreibt“, sagt Wollitz. „Das wird aber ein richtig dickes Brett.“

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