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Schmerzzentrum. Seit 1978 gibt es den Ironman, am morgigen Samstag werden wieder rund 1.700 Sportler auf die Strecke in Hawaii gehen.

© Reuters

Erster Ironman-Sieger im Interview: Gordon Haller: "Das Ziel war eine Enttäuschung"

Der US-Amerikaner Gordon Haller gewann vor 35 Jahren den ersten Ironman. Im Tagesspiegel-Interview spricht er über Stoppschilder beim Triathlon und Bier auf der Strecke von Hawaii.

Mister Haller, was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an den Morgen des 18. Februar 1978 denken?

Die Anspannung vor dem Start, eine Mischung aus Vorfreude und Angst. Wir standen am Strand von Waikiki, niemand wusste, was auf uns zukommt.

Gemeinsam mit 14 anderen Sportlern wollten Sie erstmals einen Triathlon absolvieren, der die Vorstellungskraft der meisten Sportler sprengte: 3,86 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer auf dem Rad und zum Abschluss ein Marathon. Wann hatten Sie erstmals von dieser verrückten Idee gehört?
Während des Honolulu-Marathons 1977 musste ich wegen Adduktorenproblemen aussteigen. Als ich noch deprimiert am Straßenrand stand, kam ein Bekannter auf mich zu und sagte: Hey, wir haben grade das perfekte Rennen für dich erfunden.

Wieso perfekt?
Ich hatte schon viele private Trainingseinheiten in ähnlichem Umfang absolviert. Mein erster Gedanke war: Oh, kein Problem, das kann ich schaffen. Kurz darauf wurde schon in einer Zeitungsannonce dazu aufgerufen, sich anzumelden.

Wie professionell war das Ganze?

Wir haben erst einmal eine Weile gebraucht, bis wir uns auf die Strecke geeinigt hatten. Wir haben auch Schablonen gebastelt, um T-Shirts zu drucken. Jeder musste sich ein Auto organisieren, das ihn begleitete. Es gab keine Startnummern, keine gesperrten Straßen. Wir mussten uns an die Verkehrsregeln halten: Vorfahrt achten, Stoppschilder, alles. Manche machten während des Rennens Pause bei McDonald’s, weil sie niemanden hatten, der sie mit Essen versorgte.

Wie waren Sie selbst vorbereitet?
Sehr professionell. Neben meinem Job als Taxifahrer arbeitete ich damals in einem Fitnesscenter, das mich sponserte. Ich hatte zwei Begleitfahrzeuge, einen Masseur, zwei Begleitläufer, eine Begleitperson beim Fahrradfahren. Und natürlich, wie alle anderen auch, einen Begleitpaddler auf einem Surfbrett für die Schwimmstrecke. Für mich hat das Bill gemacht, mein elfjähriger Nachbarsjunge.

Gordon Haller, 63, gewann 1978 als 27-Jähriger den ersten Ironman-Triathlon. Heute lebt der Vater von drei Kindern im US-Bundesstaat Arkansas und arbeitet als Programmierer.
Gordon Haller, 63, gewann 1978 als 27-Jähriger den ersten Ironman-Triathlon. Heute lebt der Vater von drei Kindern im US-Bundesstaat Arkansas und arbeitet als Programmierer.

© Ingo Kutsche

Ein Elfjähriger?
Am Strand, eine Viertelstunde vor dem Start, habe ich ihn gefragt: Schaffst du das? Er hat mich angeguckt und zurückgefragt: Schaffst du das denn? Dann sind wir gestartet. Ich weiß gar nicht mehr, ob es einen Startschuss gab, vielleicht hat jemand auch nur „Los!“ gerufen.

Heutzutage sprinten die Triathleten nach der Schwimmstrecke aus dem Wasser und springen auf ihre Fahrräder, um keine Sekunde zu verlieren. Wie sah das bei Ihnen aus?
Ich habe erst einmal geduscht und mir trockene Klamotten angezogen, das hat zusammen vielleicht so fünfzehn bis zwanzig Minuten gedauert. Wir waren nicht in Eile.

Mit was für einem Fahrrad waren Sie unterwegs? Moderne Triathlonräder sehen wie Experimente aus der Zukunft aus.
Wenn ich mit so einem Ding 1978 an den Start gegangen wäre, hätten die Leute bestimmt geguckt! Ich hatte schon ein richtiges Rennrad, das mein Sponsor für mich gemietet hatte. Allerdings ging die Strecke nach etwa der Hälfte der 180 Kilometer bergauf, die Gänge des Rads waren mir für die Steigung alle zu groß. Deswegen bin ich auf mein eigenes Fahrrad umgestiegen, ein schweres Tourenbike, mit dem ich auf der Abfahrt viel Zeit gutgemacht habe. Heute würde man dafür natürlich disqualifiziert werden.

"Er sah aus wie der Tod in Latschen"

War Ihr zweiter Wechsel vom Rad auf die Marathonstrecke dann ähnlich entspannt wie der erste?
Ich war erschöpft und aufgeheizt und bin zur Abkühlung in einen öffentlichen Springbrunnen gehüpft. Danach hat mich jemand aus meinem Team erst einmal massiert, ich habe ein bisschen was getrunken und einer Zeitung ein Interview gegeben.

Was haben Sie dem Reporter erzählt?
Dass die Marathonbestzeit meines Kumpels John Dunbar, der als Einziger noch vor mir lag, zwölf Minuten schlechter war als meine eigene – und dass ich genau zwölf Minuten zurücklag. Meine Chancen auf den Sieg waren also gut.

Sie haben sich auf den Marathon gefreut?
Allerdings. Ich war damals ziemlich schnell, drei Monate zuvor war ich einen Marathon in 2:27 Stunden gelaufen. Ich bin dann ein bisschen zu schnell angegangen, weil ich John sofort einholen wollte. Ich habe ihn schon zweimal gehabt, musste ihn aber wieder ziehen lassen. Erst musste ich auf die Toilette, dann hatte ich einen Krampf. Ungefähr bei Kilometer 34 habe ich ihn dann das dritte Mal eingeholt und wusste sofort, dass ich das Rennen damit gewonnen hatte.

Wieso waren Sie sich so sicher?

Er sah aus wie der Tod in Latschen, wirklich mies. Sein Gesicht war ganz weiß, er taumelte nur noch die Straße entlang. Später habe ich erfahren, dass seine Betreuer ihm Bier zu trinken gegeben hatten, weil ihnen die anderen Getränke ausgegangen waren. Ich hingegen hatte zwei Begleiter direkt neben mir, der eine mit einer Flasche Wasser, der andere mit einer Flasche Cola. Mir konnte nichts mehr passieren.

Wie war es, nach knapp zwölf Stunden ins Ziel zu kommen?

Enttäuschend. Es war schon dunkel, eine einzelne Glühbirne war das einzige Licht. Ein paar Typen hingen in Klappstühlen rum, um die Zeit zu stoppen. Es gab kein Zielband, selbst die Ziellinie war nicht auf die Straße gemalt, sondern eine Markierung von einem Stoppschild oder so. Ich kam ins Ziel und habe gefragt. War’s das? Yup, das war’s. Bist fertig, kannst gehen.

Kein Foto? Keine der hawaiianischen Blumenketten, die die Ironman-Sieger heutzutage umgehängt bekommen? Keine Reporter und Kameras?

So gut wie gar nichts. Zwei Lokalzeitungen haben über das Rennen geschrieben, in der „Sports Illustrated“ gab es eine Kurzmeldung. Ein Jahr später, 1979 gingen wir wieder zu fünfzehnt an den Start. Ein „Sports Illustrated“-Redakteur, der wegen eines Golfturniers zufällig auf Hawaii war, wurde irgendwie auf den Ironman aufmerksam und schrieb eine elfseitige Reportage. 1980 kamen daraufhin schon 106 Starter – und ein Filmteam von ABC. Das war der Startschuss, das Rennen wuchs und wuchs. Jeder wollte ein Ironman sein.

Herr Haller, Sie sind 63 Jahre alt, haben eine künstliche Hüfte und ein operiertes Knie. Am Samstag werden Sie bei Sonnenaufgang wieder am Strand stehen, es wird Ihr 23. Ironman sein. Was fasziniert Sie immer noch an diesem Rennen?

Der mentale Aspekt. Ich weiß, dass ich schwimmen, Fahrrad fahren und laufen kann. Beim Schwimmen bist du meist noch recht frisch, auf dem Rad kannst du es auch mal rollen lassen. Aber wenn du auf der Laufstrecke bist, irgendwo zwischen Kilometer 25 und 30, mit Schmerzen, dann musst du in dich reinschauen und herausfinden, ob du wirklich das Zeug zu diesem Rennen hast.

Welche Zeit streben Sie am Samstag an?

Schneller als 14 Stunden und 30 Minuten. Ich will mir beweisen, dass ich es noch kann. Aber keine Sorge – ich weiß, dass ich nicht mehr der Mann bin, der ich vor 35 Jahren war.

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