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Sprünge wie ein Wildpferd. Nicht nur Niki Lauda hatte am 1. August 1976 Probleme, auf der unebenen Strecke in der Eifel die Kontrolle über seinen Wagen zu behalten.

© Imago

Formel 1 - Jackie Stewart über den Nürburgring: Rodeo auf der Nordschleife

Niki Lauda verunglückte vor 40 Jahren auf dem Nürburgring. Sein Ex-Kollege Jackie Stewart erklärt für den Tagesspiegel die gefährliche Strecke.

Ja, ich war das. Ich habe die Strecke damals die „Grüne Hölle“ getauft. Denn das war sie ja auch. Der Nürburgring war ohne Zweifel der großartigste Kurs der Welt. Jetzt im Nachhinein würde ich sagen: War das nicht wundervoll? Aber als aktiver Fahrer war der Grand Prix auf der Nordschleife ein wirklich bedrohliches Rennen.

Jedes Mal, wenn ich mein Haus in der Schweiz verlassen habe und zum Nürburgring fuhr, war es dasselbe. Jedes Jahr schaute ich in den Rückspiegel durch die Einfahrt auf das Haus, weil ich nicht wusste, ob ich zurückkommen würde.

Ich glaube, es gab keinen Piloten, der nicht ein bisschen Angst vor dem Ring hatte. Auf einer Runde haben wir in sieben Minuten mehr Angst und Anspannung erlebt als die meisten Menschen in ihrem kompletten Leben. Der Nürburgring beschwor selbst bei leidenschaftlichen Rennfahrern Feindseligkeit gegenüber Maschinen und Rennstrecken herauf. Wenn jemand gesagt hat, dass er es genossen hat, auf dieser Strecke zu fahren – nun, dann war er einfach nicht schnell genug.

Kein Totalschaden. Lauda kam mit dem Leben davon, das Auto war ein Wrack.
Kein Totalschaden. Lauda kam mit dem Leben davon, das Auto war ein Wrack.

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Ich bin Legastheniker und kann mir nicht einmal den Text unserer Nationalhymne merken, aber ich könnte Ihnen heute noch jeden Bremspunkt und jeden Gangwechsel für jede Kurve auf dem Nürburgring nennen. In mein fotografisches Gedächtnis haben sich alle Streckenabschnitte eingebrannt. Der Bereich Fuchsröhre etwa ist eine schmale Schneise in einer stark bewaldeten Senke. Das kann man sich als Außenstehender gar nicht vorstellen, dass wir da mit 280 Stundenkilometern durchgerast sind, obwohl der Wagen ständig auf dem Boden aufschlug und das ganze Chassis zusammengestaucht wurde. Unten in der Talsohle, vor dem Anstieg zum Adenauer Forst, da hatte man den Wagen schlicht nicht mehr in der Gewalt. Da wirkten so hohe G-Kräfte, dass man den Fuß nicht einmal vom Gaspedal nehmen und ihn auf die Bremse stellen konnte.

Wir sind 13 Mal pro Runde richtig bei einem Sprung mit allen vier Rädern abgehoben

Auf dem Nürburgring zu fahren, das war wie Rodeoreiten. Die komplette Oberfläche der Strecke war wegen der bergigen Beschaffenheit der Eifel an keiner Stelle wirklich eben, sie war nirgendwo einfach nur flach und gerade. Wenn die linke Streckenseite oben war, hing die rechte Seite herunter. Wenn man schnell fahren wollte, hatte man das Auto im Grunde nie komplett unter Kontrolle. Es sprang die ganze Zeit hin und her. Als ob man ein bockiges Wildpferd zügeln wollte. Wir sind 13 Mal pro Runde richtig bei einem Sprung mit allen vier Rädern abgehoben.

Die furchteinflößendste Kurve, vielleicht das schauerlichste Schreckgespenst für jeden Rennfahrer, war das berühmte Karussell. Das war eigentlich eher eine Schüssel. Man fuhr im dritten Gang mit Tempo 230 einen steilen Berg hoch und konnte den Kurveneingang nicht sehen, weil das Karussell hinter der Bergkuppe in einer Senke lag. Deswegen haben wir als Orientierungspunkt eine große Tanne hinter der Kurve genutzt – auf die sind wir exakt zugesteuert, um den Eingang zu erwischen. Diesen Tipp hat mir Dan Gurney einmal gegeben. Die Kurve selbst fuhr man im zweiten Gang unten durch eine Art Steilwand. Die Fliehkraft drückte das Auto nach unten, durch die Erschütterungen war alles verzerrt, man sah fast nichts. Am Ausgang flog das Auto regelrecht aus der Schüssel hinaus, und wenn man zu früh Gas gab, flog es einfach direkt geradeaus in die Streckenbegrenzung.

Ich habe auf der Nordschleife sehr oft gewonnen, ich bekam sogar diesen besonderen Ring und darf mich „Ringmeister“ nennen. Dennoch war mein Respekt vor dieser Strecke so groß, dass ich dort nie über das Limit gegangen bin. Wenn du es zu sehr versuchst, wenn du das Auto zu sehr pushst, dann steigt die Wahrscheinlichkeit für einen mechanischen oder einen Einschätzungsfehler. Die Strafe für einen Fahrfehler am Nürburgring konnte der Tod sein. Schon wenn man auch nur einen Meter neben der Linie fuhr.

Je schneller man um den Ring fuhr, desto weniger bekam man davon mit

Es gab so viele Stellen, an denen es auf der Kurvenaußenseite keine Leitplanken gab, nur Felswände, Hecken und Bäume. Wenn man zu Fuß um den Kurs gegangen wäre und sich das angeschaut hätte, wäre man so erschüttert gewesen, dass man dort wohl nie wieder gefahren wäre. Je schneller man um den Ring fuhr, desto weniger bekam man davon mit. Und das war wohl das Beste, das man tun konnte.

1970 haben wir den Nürburgring das erste Mal aus Sicherheitsgründen boykottiert, da wurde der Große Preis von Deutschland dann nach Hockenheim verlegt. Damals war ich noch dabei und mit meinem Einsatz in der Fahrergewerkschaft GPDA habe ich mich ziemlich unbeliebt gemacht, nicht nur bei den Streckenbetreibern, auch beim Weltverband, der damals noch CSI hieß.

Jochen Rindt war damals der Delegierte der GPDA, der die Sicherheitsinspektion am Nürburgring übernahm, weil er Deutsch sprach. Wir hatten einen Forderungskatalog aufgestellt, aber sie haben sich komplett dagegen gestemmt. Die Streckenbetreiber wollten kein Geld ausgeben, die CSI wollte sie nicht dazu drängen.

Jackie Stewart.
Jackie Stewart.

© picture alliance / dpa

Natürlich konnten sie nicht die ganze Strecke sicher machen. Damals war der Nürburgring knapp 23 Kilometer lang und hatte 187 Kurven. Aber sie wollten nicht mal eine Sache ändern. Deswegen habe ich bei unserem GPDA-Treffen in London 1970 darauf gedrängt, nicht am Nürburgring zu fahren. Denn wenn wir hingefahren wären, wie hätten wir dann irgendetwas an den anderen Strecken verändern können?

Nach meinem Karriereende wurde das endgültige Ende des Nürburgrings als Formel-1-Strecke beschlossen. Übrigens schon vor Niki Laudas fürchterlichem Unfall 1976. Sie hatten die Strecke auf Druck von uns Fahrern zwar immer wieder umgebaut und mit Leitplanken versehen, aber sie war einfach nicht mehr zeitgemäß für diese schnellen Autos.

Auch Spa, ebenfalls eine berühmte Strecke, schmissen wir Fahrer aus dem Kalender. Die war damals doppelt so lang wie heute und viel schneller und gefährlicher. Das waren zwar zwei große, historische Strecken der Welt, aber wir hatten keine Wahl. Sie zu boykottieren, war wichtig. Plötzlich sahen die anderen Strecken auch die Notwendigkeit, sich zu verändern.

Dennoch wurde ich stark kritisiert, auch in den Medien. Ich habe sogar Morddrohungen erhalten, als wir den Nürburgring das erste Mal aus dem Rennkalender warfen. Aber das machte mir nichts aus. Wenn man mal eine Runde in einem Formel-1-Auto auf dem Nürburgring gefahren ist, ist man Todesangst gewohnt.

Jackie Stewart, 77, wurde von 1965 bis 1973 drei Mal Formel-1-Weltmeister. Trotz dreier Siege auf dem Nürburgring setzte sich der Schotte gegen die riskante Strecke ein.

- Aufgezeichnet von Christian Hönicke

Jackie Stewart

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