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Tuerkei

© dpa

Analytiker im Interview: Fußball-Wissenschaftler Roland Loy: „Schwache Standards“

Roland Loy analysiert im Tagesspiegel-Interview die Trends der Europameisterschaft. Der Fußball-Wissenschaftler arbeitete unter anderem mit Franz Beckenbauer bei der WM 1990 und beim FC Bayern. 1992 baute er für Sat 1 die „ran“-Datenbank auf. Bei der EM ist er Fachberater für das ZDF.

Herr Loy, was ist die größte Neuerung bei dieser Europameisterschaft?

Erst viele Daten ergeben ein Gesamtbild. Auffällig ist zum Beispiel, dass gilt: „Wer 1:0 führt, der stets gewinnt.“ Es wurden fast nur Spiele gedreht, wenn die Türkei dabei war. Interessant ist auch, dass weit mehr als die Hälfte aller Tore nach der 60. Minute gefallen ist. Und nur 6 von 76 Toren wurden durch Weitschüsse erzielt.

Also doch kein Flatterball?
Tschechiens Torwart Petr Cech hat sich geirrt, als er sagte, dass wir viele Tore durch Weitschüsse sehen werden. Die Flanke, die er gegen die Türkei fallen ließ, hat nicht geflattert.

Was hat denn außer einigen Fehlern von Torhütern die Spiele entschieden?

Eher nicht die Standardsituationen. Da gab es nur 17 Tore, sonst liegt die Quote bei knapp 30 Prozent. Einen direkt verwandelten Freistoß gab es gar nicht, nur zwei indirekte.

Halten sich die Spieler mit taktischen Fouls zurück, um Freistöße zu vermeiden?
Erst einmal muss man sagen, dass diese EM insgesamt sehr fair war. Es gab kaum brutale Grätschen und kaum Ellenbogenchecks. Das sind sehr positive, langfristige Auswirkungen von Regeländerungen der Fifa. Zudem weiß man gar nicht, ob taktische Fouls nicht doch sinnvoll sind. Das kann man statistisch nicht überprüfen, es ist Spekulation.

Warum hat zum Beispiel Deutschland gegen Portugal gewonnen?

Sicher nicht allein wegen des Wechsels zum 4-2-3-1-System. Wer das behauptet, kommt aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Ein Sieg hängt von hunderten Faktoren ab, Pepe köpft knapp drüber, Ballacks Foul vor dem 3:1 wird nicht geahndet.

Die Schiedsrichter haben nicht immer richtig entschieden.
Es gab extreme Fehlentscheidungen. Der Videobeweis sollte weiter diskutiert werden.

Man konnte staunen, als sich der Spanier David Silva kaum beschwerte, nachdem er gegen Italien im Strafraum gefoult worden und der Pfiff ausgeblieben war.

Auch das Reklamieren ist stark zurückgegangen. Das trägt dazu bei, dass die Spiele attraktiver geworden sind als bei der WM 2006. Das gilt allerdings für die Vorrunde, danach wurden die Spiele insgesamt doch unansehnlicher.

Was halten sie vom Lob des Tempofußballs?
Niemand weiß, was es bringt, wenn man den Ball nur einskommanochwas Sekunden am Fuß hat. Daraus zu schließen, dass man gewinnt, ist Humbug. Es werden auch nur 30 Prozent der Spiele von der Mannschaft gewonnen, die mehr in Ballbesitz ist. Diese ganzen Weisheiten müssen grundsätzlich hinterfragt werden, da steht die Wissenschaft noch am Anfang.


Die Fragen stellte Mathias Klappenbach.

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